Mit den Flüchtlingsströmen kommen auch vermehrt neue und „exotische“ Erkrankungen

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

9. Mai 2016

Berlin – Ärzte in Deutschland sollten sich darauf einstellen, künftig häufiger seltene oder rar gewordene Krankheiten wie die Tuberkulose zu diagnostizieren. „Mit den Flüchtlingsströmen kommen vermehrt auch wieder Krankheiten nach Deutschland, die hiesige Ärzte oft nur noch aus dem Medizinstudium kennen“, sagte Dr. Gunda Leschber, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie, auf einer Pressekonferenz während des 133. Chirurgenkongresses in Berlin [1].

Ein Schwerpunkt bei Krankheiten von Flüchtlingen liegt im Bereich der Atemwege – entsprechend sind hier für Diagnostik und Therapie Allgemeinmediziner, Internisten, Pneumologen und Thoraxchirurgen gefordert. In verschiedenen Herkunftsländern von Flüchtlingen kommen bestimmte Atemwegserkrankungen wie Lungentuberkulose wesentlich häufiger vor als bei uns. So nennt der WHO Global Tuberculosis Report 2015 TB-Inzidenzraten (Erkrankte pro 100.000 Einwohner im Jahr 2014) für Afghanistan von 189, für Nigeria von 322 und für Mosambik von 551. Die entsprechenden Raten für Syrien und den Irak lagen allerdings lediglich bei 17 bzw. 43. Zum Vergleich: In Deutschland erkrankten im Jahr 2014 durchschnittlich 6 Menschen pro 100.000 Einwohner an einer Tuberkulose.

Bereits mehr als zwei Drittel der TB-Patienten stammen aus dem Ausland

Dr. Gunda Leschber

Nachdem die Tuberkulose hierzulande über viele Jahre rückläufig war, deutet sich mit der Zunahme der Flüchtlingszahlen – nicht erst seit dem vergangenen Jahr – ein Ende des Abwärtstrends an, wie das Robert Koch-Institut berichtete. Demnach hat sich bereits im Zeitraum zwischen 2001 und 2014 der Anteil außerhalb Deutschlands geborener TB-Patienten von 42% auf 63% erhöht.

Dass nun mehr TB-Fälle registriert werden, ist in erster Linie eine Folge des gesetzlich vorgeschriebenen Screenings von Asylsuchenden, welches in der Regel mittels Röntgenaufnahme erfolgt. „Die oft großen Strapazen während der Reise der Flüchtlinge führen nicht nur vermehrt zu Pneumonien, sondern tragen ebenso dazu bei, dass sich eine latente Infektion zur offenen Lungentuberkulose entwickeln kann“, erläuterte Leschber, die in der Evangelischen Lungenklinik Berlin die Klinik für Thoraxchirurgie leitet. In fortgeschrittenen Fällen sei eine medikamentöse Therapie oft nicht mehr ausreichend, und es müsse Lungengewebe reseziert werden: „Wir rechnen damit, dass deshalb auch in Deutschland die Operationszahlen steigen werden.“

Expertin: Keine Gefährdung der einheimischen Bevölkerung

Zwar sei Lungen-TB keine hochinfektiöse Erkrankung, und es bestehe so gut wie keine Gefährdung der Allgemeinbevölkerung durch eventuell infizierte Asylsuchende, betonte Leschber. Vor allem ärztliche Kollegen, die Flüchtlinge betreuen, sollten bei Symptomen wie einem über mehrere Wochen anhaltenden Husten differentialdiagnostisch jedoch immer auch an eine Tuberkulose denken. „Wer sie rechtzeitig erkennt, erspart dem Patienten mit der medikamentösen Therapie dann die Lungenresektion“, sagte Leschber im Gespräch mit Medscape.

 
Mit den Flüchtlingsströmen kommen vermehrt auch wieder Krankheiten nach Deutschland, die hiesige Ärzte oft nur noch aus dem Medizinstudium kennen. Dr. Gunda Leschber
 

Echinokokkose, Sichelzellanämie, Enzymdefekte

Die Thoraxchirurgin nannte noch weitere „in Deutschland bisher eher als exotisch geltende“ Erkrankungen, die hier demnächst häufiger auftreten könnten. Dazu zählt die Echinokokkose: Der Hundebandwurm-Parasit, der in Lunge und Leber infizierter Personen Zysten verursacht, ist z.B. in der Türkei, dem Nahen Osten bzw. im südlichen Mittelmeerraum verbreitet. Durch die aktuellen Migrationsströme nach Mitteleuropa sind Erkrankungsfälle jedoch nicht mehr auf diese Regionen beschränkt. Je nach Lokalisation der Zysten kann es zu Husten, Atembeschwerden oder Bauchschmerzen kommen. Die Zysten müssen vorsichtig (als Ganzes) chirurgisch entfernt werden.

Besonders bei Menschen aus dem tropischen Afrika sollte Leschber zufolge daran gedacht werden, dass sie unter Umständen eine Sichelzellanämie haben könnten. „Symptome wie Brustschmerzen und Atemnot sowie Infiltrate im Röntgenbild können hier zu der falschen Diagnose Pneumonie verleiten.“ Statt Antibiotika bräuchten die Patienten jedoch Sauerstoff, Flüssigkeit und starke Analgetika, um eine Sichelzellkrise zu überwinden.

 
Wer sie (die Tuberkulose) rechtzeitig erkennt, erspart dem Patienten mit der medikamentösen Therapie dann die Lungenresektion. Dr. Gunda Leschber
 

Zu den bei uns seltenen, aber gehäuft bei Mittelmeeranrainern und Bewohnern Afrikas vorkommenden genetisch bedingten Enzymdefekten gehört der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel. Nehmen davon betroffene Patienten bestimmte Medikamente wie Acetylsalicylsäure oder Sulfonamide ein, kann dies bei ihnen rezidivierende Hämolysen und eine chronische Anämie verursachen.

Bewusstsein in der Ärzteschaft wecken

„Wir müssen in der Ärzteschaft ein Bewusstsein dafür wecken“, so Leschber, „dass solche Krankheiten – obwohl sie jahrzehntelang in Deutschland so gut wie keine Rolle spielten – jetzt durchaus von Bedeutung sein können. Deshalb sollte bereits während der Anamneseerhebung berücksichtigt werden, aus welchem Land ein Patient kommt und welche Bedeutung dies möglicherweise für seine Diagnose und Therapie hat.“

 

REFERENZEN:

1. 133. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 26. bis 29. April 2016, Berlin

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....