Bundeskabinett beschließt: Cannabis als Medikament für schwer kranke Patienten ab 2017 auch in Deutschland

Christian Beneker

Interessenkonflikte

4. Mai 2016

Ab 2017 soll Cannabis für schwer Kranke als Medikament zur Verfügung stehen. So hat es am 4. Mai 2016 das Bundeskabinett beschlossen. Eine Legalisierung und den kontrollierten Verkauf der Droge an Erwachsene, wie die Grünen im Bundestag fordern, lehnte das Kabinett aber ab.

Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann. Hermann Gröhe

Der Anbau der Droge soll über eine Agentur organisiert werden, die ihrerseits Anbaubetriebe anschreiben soll. Bis der Anbau in Deutschland auf die Beine gestellt ist, soll Cannabis importiert werden. Nach Angaben der Bundesregierung sollen die Konsumenten des medizinisch genutzten Cannabis dazu verpflichtet werden, für eine Begleitforschung des Projektes zur Verfügung zu stehen.

Die Kassen zahlen

Mit dem Gesetz „soll Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen nach entsprechender Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen ermöglicht werden, diese Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken in standardisierter Qualität durch Abgabe in Apotheken zu erhalten", heißt es in dem Gesetzentwurf [1].

„Unser Ziel ist, dass schwerkranke Menschen bestmöglich versorgt werden", kommentierte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). „Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann. Außerdem wollen wir eine Begleitforschung auf den Weg bringen, um den medizinischen Nutzen genau zu erfassen."

Zwar ist die Absicht, ein solches Gesetz zu etablieren, schon seit 2 Jahren bekannt. Mit dem Gesetzentwurf dürfte die Regierung nun auch auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes (BVG) von Anfang April reagieren: Darin erlauben die Richter erstmals einem schwer kranken Patienten mit Multipler Sklerose (MS) den Eigenanbau von Cannabis und verpflichteten das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dazu, die eigene Plantage des Patienten zu genehmigen.

In Deutschland könnten es rund eine Million Menschen sein, die Cannabis als Arznei verschrieben bekommen. Maximilian Plenert

Bis dahin war das unmöglich, wie Maximilian Plenert, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Hanfverband, sagt. „Das BfArM darf keinen Eigenanbau genehmigen", sagt Plenert. Allerdings erlaubt das BfArM bisher per Ausnahmeregelung zum Beispiel Schmerzpatienten, Cannabis in der Apotheke zu kaufen – wenn auch auf eigene Rechnung. Derzeit sind in Deutschland 647 Patienten berechtigt, sich in einer Apotheke Cannabis zu kaufen, so die Zahlen des BfArM (Stand 5.4.2016).

„Von den derzeitig gültigen Ausnahmeerlaubnissen wurden 618 für den Erwerb von Cannabis-Blüten und 37 für den Erwerb von Cannabis-Extrakt erteilt. Acht Patientinnen und Patienten wurde sowohl die Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis-Blüten als auch den Cannabis-Extrakt erteilt", schreibt das BfArM an Medscape. Der Kabinettsentwurf soll nun klare Verhältnisse schaffen.

Die Verpflichtung (zur Begleit-forschung) sehe ich als ethisch höchst fragwürdig an. Maximilian Plenert

Patienten profitieren

Von der neuen Regelung könnten nun viele Patienten profitieren, meint Plenert. „In Israel oder den USA geht man von 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung aus“, sagt er. „In Deutschland könnten es rund eine Million Menschen sein, die Cannabis als Arznei verschrieben bekommen." Die Hälfte von ihnen sind Schmerzpatienten, die andere Hälfte sind MS-Patienten, Patienten mit Tourette-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Depressionen, so Plenert.

Allerdings kritisiert er, der Gesetzentwurf habe viel zu lange auf sich warten lassen. „In den vergangenen zwei Jahren habe viele Schmerzpatienten gewartet", so Plenert. Außerdem kritisiert er die für die Patienten zwingend vorgesehene Begleitforschung. „Die Verpflichtung sehe ich als ethisch höchst fragwürdig an." Auch die Ergebnisse dürften unten jenen Umständen kaum belastbar sei.

Die Bundesregierung geht das Thema medizinisches Cannabis immer noch mit Scheuklappen an. Harald Terpe

Die Grünen im Bundestag begrüßten und kritisierten den Kabinettsbeschluss [2]. „Die Bundesregierung geht das Thema medizinisches Cannabis immer noch mit Scheuklappen an", so der drogenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Harald Terpe. Sie habe „zumindest begriffen, dass sie das Thema nicht weiter ignorieren kann." Terpe kritisierte, dass nur dann Cannabis verschrieben werden könne, „wenn die Betroffenen alle anderen Behandlungsmöglichkeiten erfolglos ausprobiert haben. Zudem soll die Krankenkasse erst dann zahlen, wenn sich die Betroffenen für die Forschung zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung legt damit Schwerkranken auf der Suche nach Hilfe weiterhin dicke Steine in den Weg.“

Erst im März wurde das von den Grünen eingebrachte Cannabiskontrollgesetz im Gesundheitsausschuss beraten. Es sollte den Konsum von Cannabis für Erwachsene legalisieren und Minderjährige effektiver schützen.

Cannabis nichts für „late prescribers"

Dr. Konrad Cimander, substituierender Allgemeinmediziner aus Hannover, begrüßt den Kabinettsentwurf als „guten, aber kleinen Schritt." Vor allem für Schmerzpatienten. So sei zum Beispiel die Diagnose M54 (Rückenschmerz) die in Deutschland überhaupt am häufigsten codierte Diagnose. „Viele dieser Patienten erhalten Opioide als Therapie, die im Zweifel auch abhängig machen können", sagt Cimander. Mit anderen Worten: Ein Teil dieser chronisch kranken Patienten könnte mit Cannabis besser behandelt werden. Und die Ärzte können es ihnen nun auch straffrei verordnen, weil das neue Gesetz Cannabis verkehrsfähig machen wird.

Allerdings fürchtet der Suchtmediziner und Hausarzt, „dass die Schmerztherapeuten und Anästhesisten Cannabis eher zurückhaltend verschreiben werden, trotz den neuen Gesetzes. Denn deutsche Ärzte sind eher vorsichtige `late prescribers´, die bei neuen Präparaten zunächst die Erfahrungen anderer Ärzte abwarten, bevor sie selber zum Rezeptblock greifen."

REFERENZEN:

1. Gesetzentwurf zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, 26. April 2016

2. Pressemitteilung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen: Cannabis als Medizin: Trippelschritte sind nicht genug. 4. Mai 2016

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....