Eine Hormontherapie (HT) gegen gravierende Wechseljahresbeschwerden kann, wenn sie in den Jahren um die Menopause herum beginnt, dem Fortschreiten der Atherosklerose vorbeugen. Das legen die im New England Journal of Medicine publizierten Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten US-Studie ELITE (Early versus Late Intervention Trial with Estradiol) nahe [1]. Ein Therapiebeginn mehr als 10 Jahre nach der Menopause bringt dagegen im Hinblick auf atherosklerotische Gefäßveränderungen keine Vorteile.
Das ELITE-Autorenteam um Dr. Howard N. Hodis von der Atherosclerosis Research Unit an der Keck School of Medicine der University of Southern California in Los Angeles berichtet: „Bei Frauen, die die Menopause zu Studienbeginn weniger als sechs Jahre hinter sich hatten, wuchs die mittlere Intima-Media-Dicke der Arteria carotis communis (CIMT) in der Placebogruppe um 0,0078 mm pro Jahr, in der Östradiolgruppe dagegen nur um 0,0044 mm pro Jahr (p = 0,008).“
Hodis und seine Kollegen schlagen auf Basis dieses Befundes den Bogen zu den Herz-Kreislauf-Erkrankungen – also der Fragestellung, die beim Thema HT am meisten interessiert: „Diese Ergebnisse sind konsistent mit denen anderer Studien, die ebenfalls zeigen, dass der Effekt der HT auf kardiovaskuläre Erkrankungen abhängig ist vom Timing des Therapiebeginns.“
Doch Schlussfolgerungen zu einem potenziellen Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen erlaubt die Studie eigentlich nicht. „Der Surrogatparameter CIMT ist kein Endpunkt von klinischer Relevanz“, kritisiert Dr. Maria J. Beckermann, Gynäkologin und Psychotherapeutin aus Köln mit dem Schwerpunkt Wechseljahre, die auch an der Erstellung der letzten S3-Leitlinie Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause beteiligt war. „Die CIMT korreliert nicht zwingend mit kardiovaskulären Ereignissen und der Mortalität“, ergänzt sie. „Diese experimentelle Arbeit ist somit keine bahnbrechende Studie und wird auch die Verschreibungspraxis nicht verändern. Sie ändert nichts daran, dass die Gesamtbilanz einer Hormonverordnung aus präventiven Gründen negativ ist.“

Prof. Dr. Petra Stute
Auch Prof. Dr. Petra Stute, Leitende Ärztin und Stellvertretende Leiterin der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Frauenklinik des Inselspitals – Universitätsspital in Bern, merkt an, dass sich aus der Untersuchung nicht ableiten lasse, inwiefern eine HT das Herz schütze. „Hätte man Herzinfarkte zählen wollen, wäre ein viel größerer Stichprobenumfang nötig gewesen.“
Die Timing-Hypothese auf dem Prüfstand
Seitdem die große amerikanische Women’s Health Studie (WHI) Anfang des Jahrtausends aufgezeigt hat, dass Frauen unter einer HT vermehrt Brustkrebs, Schlaganfälle und kardiovaskuläre Ereignisse entwickeln, ist die hormonelle Therapie von Wechseljahresbeschwerden heiß umstritten. Doch die WHI-Teilnehmerinnen waren im Mittel 65 Jahre alt und damit deutlich älter als Frauen, die in der Praxis üblicherweise wegen Wechseljahresbeschwerden behandelt werden.
Hodis dagegen erforscht mit seinen Kollegen schon seit Jahren die Frage, ob eine früh nach der Menopause einsetzende Behandlung mit Östrogen und Gestagen (letzteres ausschließlich für Frauen mit Uterus) kardioprotektiv wirkt. Auch in der nun veröffentlichten ELITE-Studie ging es um die Überprüfung dieser „Timing-Hypothese“ – diesmal in Bezug auf atherosklerotische Gefäßveränderungen.
An der randomisierten, doppelt verblindeten, placebokontrollierten Studie nahmen Frauen teil, die sich in Los Angeles untersuchen und behandeln ließen. Zum Rekrutierungszeitpunkt galten sie als gesund, die Atherosklerose war, soweit vorhanden, subklinisch.
Hodis und seine Kollegen teilten die Frauen in 2 Interventions- und 2 Placebogruppen ein. Bei 271 Frauen lag die letzte Regelblutung weniger als 6 Jahre zurück, sie bildeten die Frühe-Postmenopause-Gruppe:137 erhielten als Intervention eine HT, 134 ein Placebo. Zu Studienbeginn waren sie im Schnitt 55,4 Jahre alt. Bei 372 Frauen waren seit der Menopause mindestens 10 Jahre vergangen, sie wurden der Späte-Postmenopause-Gruppe zugeordnet: 186 mit HT, 186 mit Placebo; ihr Durchschnittsalter betrug 63,6 Jahre.
Alle Teilnehmerinnen der beiden Interventionsgruppen erhielten fortan täglich 1 mg 17β-Östradiol oral. Frauen mit intaktem Uterus bekamen zusätzlich an 10 Tagen pro Monat mikronisiertes Progesteron (45 mg) in Form eines 4%igen Vaginalgels. Die Placebogruppe erhielt für beide Präparate, Gel und Tablette, jeweils ein Placebo. Die Rekrutierung für die Studie begann 2004.
Primärer Endpunkt war die per Ultraschall gemessene Veränderung der CIMT im Untersuchungszeitraum. Sekundäre Endpunkte waren der Kalzium-Score in den Koronararterien und das Ergebnis einer CT-Koronarangiographie im Hinblick auf Stenosen. Beide Parameter sind Maße für die Verkalkung und können helfen, das Risiko für einen Myokardinfarkt zu bestimmen.
Intima-Media-Dicke geringer unter HT
Nach durchschnittlich 5 Jahren Follow-up hatte die CIMT bei den Teilnehmerinnen in der Frühe-Postmenopause-Gruppe, die eine HT erhalten hatten, signifikant weniger zugenommen als bei den mit Placebo behandelten Gruppenmitgliedern. „Die absolute Differenz zwischen der Östradiol- und der Placebogruppe betrug, was die mittlere Progressionsrate anging, minus 0,0034 mm pro Jahr“, berichten die Autoren um Hodis.
Bei den Teilnehmerinnen der Späte-Postmenopause-Gruppe fanden die Wissenschaftler dagegen keinen signifikanten Einfluss der HT auf die CIMT. Der Unterschied zwischen Interventions- und Placebogruppe betrug 0,0012 mm pro Jahr (p = 0,29).
Die Kalzium-Scores und die Ergebnisse der CT-Koronarangiographie unterschieden sich zwischen keiner der Gruppen signifikant.
Hodis und seine Kollegen liefern auch Zahlen zu Todesfällen und Nebenwirkungen, die im Rahmen der Studie auftraten: Sowohl unter Placebo- als auch unter HT starb eine Frau an Krebs. Zu schweren unerwünschten Ereignissen kam es bei 44 weiteren Frauen in der Placebogruppe (darunter 8-mal Brustkrebs, 3 Myokardinfarkte, 2-mal tiefe Venenthrombose bzw. Lungenembolie) sowie bei 42 Frauen in der Interventionsgruppe (10-mal Brustkrebs, 1 Myokardinfarkt, 3 tiefe Venenthrombosen bzw. Lungenembolien).
Angesichts der Ergebnisse der WHI-Studie sei bemerkenswert, „dass unerwünschte Ereignisse wie Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Thrombose in der HT-Gruppe trotz oraler Anwendung und bei Frauen mit mehr als zehn Jahren seit Menopause nicht häufiger als in der Placebogruppe auftraten“, kommentiert Stute die Zahlen.
Ergebnisse gut auf Deutschland übertragbar
Die Ergebnisse seien auf Deutschland und die Schweiz übertragbar, betont sie: „Die gewählte HT entspricht einer niedrig dosierten HT mit bioidentischen Hormonen. Diese wird in Europa häufig eingesetzt“, erklärt sie im Gespräch mit Medscape. „Der einzige Unterschied ist, dass in Europa vaginales Progesterongel nicht im Kontext einer HT zugelassen ist; dies ist also ein Off-Label-Use.“ Außerdem sei zu beachten, dass lediglich die Ergebnisse der Frühe-Postmenopause-Gruppe der ELITE-Studie für hiesige Verhältnisse interessant seien. Eine Hormontherapie beginne üblicherweise im oder sogar vor dem 6. Lebensjahrzehnt.
Beckermann gibt zur ELITE-Studie zu bedenken, dass sich der Therapiebeginn der Späte-Postmenopause-Gruppe nicht auf die Behandlung von Wechseljahresbeschwerden beziehe, „denn die sind in den drei Jahren vor bis drei Jahren nach der Menopause am stärksten ausgeprägt. Sechs Jahre nach der Menopause sind starke Beschwerden längst abgeklungen und nach zehn Jahren sind sie vergessen. Wenn – wie in der ELITE-Studie – zu diesem Zeitpunkt eine Hormontherapie begonnen wird, dann nicht zur Behandlung von Beschwerden, sondern aus präventiven Gründen.“
Beckermann ergänzt, dass auch nicht bekannt sei, wie sich die Gefäßwände verändern, wenn die Hormone abgesetzt werden. Bleibt der günstige Effekt erhalten oder nivelliert er sich nach einigen Jahren wieder? Dazu seien noch keine Aussagen möglich.
Was wären relevante Studienendpunkte?
Um zu ermitteln, für welche Frauen mit Wechseljahresbeschwerden die HT Vorteile für die Herzgesundheit mit sich bringe, müsse weiter geforscht werden, meint Stute und betont: „Wünschenswert wäre eine Studie analog zu ELITE, die als primären Endpunkt koronare Ereignisse zählt.“
Beckermann hofft auf Studienergebnisse, die Frauen ganz pragmatisch bei der Behandlung von Wechseljahresbeschwerden unterstützen. Oft genügten niedrigere Dosierungen, als sie die üblichen Hormonpräparate beinhalteten, betont sie. Da die Beschwerdeintensität häufig von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und von Monat zu Monat variiere, seien Anleitungen sinnvoll, die es den Frauen erlaubten, die individuell notwendige Dosis herauszufinden. „Versetzt man Frauen selbst in die Lage, Gel und Tabletten so niedrig wie möglich zu dosieren, bis sie die Hitzewallungen erträglich finden, nehmen sie weniger“, berichtet Beckermann mit Verweis auf eine alte Studie. „Die Kontrolle wird der Frau wiedergegeben.“
REFERENZEN:
1. Hodis HN, et al: NEJM 2016;374:1221-1231
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Hormontherapie in den Wechseljahren: Herz-Kreislauf-Effekte nur eine Sache des Timings? - Medscape - 4. Mai 2016.
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