Das Risiko für einen Zika-Virus-Ausbruch in Europa demnächst – im späten Frühjahr und Sommer – ist niedrig bis mittelhoch. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Risikoeinschätzung, die das WHO-Regionalbüro für Europa heute bei einer Online-Pressekonferenz vorgestellt hat [1, 2]. Allerdings variiert das Risiko zwischen den einzelnen europäischen Ländern erheblich. Höher ist es z. B. in Ländern, in denen Stechmücken der Gattung Aedes vorkommen. Der primäre Vektor des Zika-Virus ist Aedes aegyptii. Diese Mücke findet sich allerdings nur in begrenzten Gebieten der Europäischen Region, etwa auf der Insel Madeira und an der nordöstlichen Küste des Schwarzen Meeres (in Georgien und im südlichen Teil der Russischen Föderation). Dort ist das Risiko eines Zika-Ausbruches laut WHO-Einschätzung „hoch“. Ein sekundärer Vektor des Zika-Virus, Aedes albopictus, ist dagegen weitaus verbreiteter in Europa – und auch in Deutschland zu finden. In Ländern mit Aedes albopictus-Vorkommen schätzt die WHO das Risiko eines Zika-Ausbruches als „mittelhoch“ ein. Dazu zählen neben Deutschland noch 17 andere europäische Länder, etwa Österreich, die Niederlande, Dänemark oder Schweden. In die Risikoeinschätzung der WHO fließt nicht nur die Wahrscheinlichkeit ein, mit der das Zika-Virus sich in einem Land ausbreitet, sondern auch die Kapazitäten des jeweiligen Landes, einem lokalen Ausbruch schnell genug entgegenzuwirken. Ländern der Europäischen WHO-Region, in denen Aedes aegypti und Aedes albopictus vorkommen, empfiehlt die WHO, sich auf die Gefahr einer autochthonen Ausbreitung des Zika-Virus vorzubereiten. Zum einen durch Strategien zur Bekämpfung der Vektoren, die an das jeweilige Risikolevel des Landes angepasst sein sollten, zum anderen durch ein leistungsfähiges Frühwarnsystem: Medizinisches Personal muss demnach in die Lage versetzt werden, lokal begrenzte Zika-Ausbrüche schnell zu erkennen und schon den ersten Fall einer Ansteckung sowie die infektionsbedingten Komplikationen innerhalb von 24 Stunden nach Diagnose zu melden. Ein dritter Punkt: Es müssen die klinischen und labortechnischen Kapazitäten vorhanden sein, um auf das Zika-Virus zu testen. Und nicht zuletzt: Die Bevölkerung muss über das Risiko aufgeklärt werden, insbesondere gefährdete Personen wie schwangere Frauen oder Reisende, auch über die Möglichkeit der sexuellen Übertragung von Zika. Alle anderen Länder hält die WHO an, Strategien zur Vektorkontrolle einzuführen, die ihrem Risikolevel einer Zika-Ausbreitung angepasst sind. Aus anderen Ländern eingeführte Zika-Fälle müssten rasch entdeckt werden und Reisende in betroffene Länder hinsichtlich des Zika-Virus aufgeklärt warden. |
Paris – In einigen Ländern wie Brasilien, Kolumbien und den Kapverden ist die Zika-Epidemie bereits im Rückgang begriffen, doch die Zahl der vom amerikanischen Kontinent nach Europa importierten Fälle steigt noch an. Die nun bevorstehenden warmen Frühlings- und Sommertage bieten günstige Bedingungen für die Verbreitung von Mücken, die das Zika-Virus übertragen können. Ist nun eine Zika-Epidemie in Europa zu befürchten?
„Die Möglichkeit einer Übertragung durch Mücken und die wahrscheinliche Übertragbarkeit auf sexuellem Wege lässt eine Zunahme der Zahl der mit Zika infizierten Personen sowie der mit dem Virus verbundenen medizinischen Komplikationen erwarten“, erklärte WHO Assistant Director-General for Health Systems and Innovation, Dr. Marie-Paule Kieny, bei einer Pressekonferenz der WHO anlässlich des 1. Internationalen Zika Summit in Paris [3]. Basierend auf dem aktuellen Forschungsstand scheint das Risiko einer Epidemie aber limitiert.
„Unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Argumente sowie von sozialen, Verhaltens- und Umweltaspekten erscheint das Risiko für eine Zika-Epidemie in Südeuropa in diesem Jahr klein. Im Gegensatz dazu ist es sehr wahrscheinlich, dass wir einige autochthone Fälle wie im vergangenen Jahr mit Chikungunya haben werden“, sagte Dr. Jean-François Delfraissy vom Institut national de la santé et de la recherche médicale (Inserm), Paris.
Zwei Gefahrenszenarien untersucht
Das Zika-Virus könnte in Europa wohl von Aedes albopictus, der Asiatischen Tigermücke, oder von Aedes aegypti, der Ägyptischen Tigermücke, übertragen werden. Für die Invasion des Virus nach Europa wurden bislang 2 Szenarien wissenschaftlich untersucht: In einem Szenario wären Reisende, die z.B. aus den französischen Übersee-Departements zurück nach Paris kommen, die Quelle für eine Zika-Kontamination von Aedes albopictus. Die Tigermücke ist inzwischen in 20 europäischen Ländern und 30 französischen Departments heimisch. Sie beginnt im Mai aktiv zu werden.
Im zweiten Szenario wäre die Insel Madeira, die wichtige Handelsbeziehungen mit Brasilien und Venezuela unterhält, der Ausgangspunkt für die Kontamination mit dem Virus. Die Mücke Aedes aegypti ist dort seit 2005 aktiv. Sie spielte schon beim Dengue-Ausbruch auf Madeira im Jahr 2012 eine wichtige Rolle.
Um die Wahrscheinlichkeit dieser beiden Szenarien zu testen, haben Virologen vom Institut Pasteur unter Leitung von Dr. Anna-Bella Failloux in Zusammenarbeit mit portugiesischen Wissenschaftlern die Virus-Übertragungskapazität von 4 Mückenpopulationen untersucht: 2 Populationen von Aedes aegypti von der Insel Madeira (aus Funchal und aus Paul do Mar de Madeira) und 2 Populationen von Aedes albopictus aus Südfrankreich (aus Nizza und aus Bar-sur-Loup). Die Wissenschaftler infizierten die weiblichen Mücken mit dem Zika-Virus vom asiatischen Genotyp, der derzeit in Brasilien im Umlauf ist.
Die Ergebnisse zeigen, dass Aedes aegypti das Virus besser überträgt als Aedes albopictus. In Aedes-aegypti-Mücken brauchte der Virus nur 9 Tage, um einen kompletten Zyklus zu durchlaufen und die Speicheldrüsen des Insektes zu erreichen – und damit bereit zu sein, mit dem nächsten Stich auf einen neuen Wirt übertragen zu werden. In Aedes-albopictus-Mücken braucht das Virus für den gleichen Zyklus dagegen 14 Tage, was seine Übertragung limitiert.
„Die Asiatische Tigermücke ist nicht sehr kompetent darin, das Zika-Virus zu übertragen. Nimmt man bei vergleichbarem Titer die gleiche Mücke und infiziert sie mit Chikungunya, braucht es nur 3 Tage für einen Zyklus. Das ist ein extrem wichtiger Fakt, denn im Kampf gegen die übertragenden Insekten bedeutet dies, dass die Moskito-Bekämpfungseinheiten nach Auftreten der ersten Zika-Fälle zehn Tage Zeit haben, um zu reagieren. Sie können in dieser Zeit die Mückendichte minimieren, um so zu vermeiden, dass sich das Virus über die Stechmücken verbreitet“, erklärte Failloux.
Hinzu kommt: Im Vergleich zu Aedes aegypti „ist Aedes albopictus ein viel weniger effektiver Vektor, da die Mücke sich nicht nur am Menschen nährt und da sie schnell satt ist. Ihr reicht ein einziger Stich, Aedes aegypti sticht dagegen im Durchschnitt 7 Mal bis sie satt ist“, betonte Prof. Dr. Duane Gubler, Singapur, beim Einführungssymposium des Kolloquiums.
Übertragung durch die Gemeine Stechmücke?
Aber auch andere Verbreitungsszenarien können nicht ausgeschlossen werden, z.B. durch andere Mückenarten als Überträger. „Es ist noch sehr unsicher, welche Insekten als Vektoren in Frage kommen und unter welchen Umständen. Die Mücken im Wald sind wahrscheinlich nicht die gleichen, die das Virus in der Stadt übertragen. Es sind die Hauptvektoren und die Gelegenheitsvektoren, die genetisch suszeptibel für das Virus sind, die zu seiner Verbreitung beitragen werden. Wenn sich beispielsweise herausstellen sollte, dass eine Mücke, die so verbreitet ist wie Culex pipiens, die Gemeine Stechmücke, die wir auf der ganzen Welt finden, ein Vektor für Zika ist, hätte das bedeutende Implikationen für die Vektorkontrolle, die nicht zu vergleichen wären mit denen, die sich auf Aedes aegypti und Aedes albopictus beschränken“, erläuterte Dr. Frédéric Simard von der Abteilung für Infektions- und übertragbare Krankheiten am IRD France-Sud in Montpellier.
„Wenn die Mücke Culex pipiens Überträger sein sollte, würde das Vieles ändern, denn das ist eine Mücke, die sich überall herumtreibt“, so Failloux.
In einer kurz vor der Publikation stehenden Arbeit (deren Ergebnis noch nicht öffentlich ist) haben Failloux und ihre Kollegen Gemeine Stechmücken aus der Region Paris, aus dem Maghreb und aus Südfrankreich mit Zika infiziert, um herauszufinden, ob diese Mücke das Virus ebenfalls übertragen könnte.
Müssen wir um die EM 2016 fürchten?
Andere wichtige Aspekte sind die – wie sich zwischenzeitlich herausstellte – mögliche Übertragung auf sexuellem Weg, aber auch das Vorgehen bei Großereignissen wie der EM 2016 in Frankreich: „Die EM 2016 wiegt schwer auf unseren Schultern“, betonte der Sprecher des französischen Gesundheitsministeriums bei der Einführungsveranstaltung. „Für diese Sportveranstaltung wird viel Aufklärungsarbeit und Information der Teilnehmer und Besucher notwendig sein, da es sich um Mücken handelt, die am Tag stechen. Die Leute müssen vermeiden, sich unnötig zu exponieren, aber das wird sehr schwierig werden. Wahrscheinlich werden wir Insektizide einsetzen müssen, intelligent und sparsam, aber so werden wir es machen“, präzisierte Simard.
Abgesehen von der Frage nach der Übertragung bleibt die Frage nach den klinischen Konsequenzen, die die Erkrankung in Europa haben könnte. In Europa ist die Bevölkerung ebenso wie in Nordamerika noch nie dieser Art von Virus ausgesetzt gewesen. „Das Auftreten von Zika kann deshalb beträchtliche Konsequenzen haben“, schlussfolgerte Simard.
Neue Arbeitsgruppe nimmt Konsequenzen unter die Lupe
Bei vielen infizierten Personen nimmt die Krankheit einen milden Verlauf, dennoch können die möglichen neurologischen Komplikationen verheerend sein. „Jüngste Daten legen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Zika-Virus, schweren angeborenen Gehirnschäden, einem vermehrten Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) sowie anderen neurologischer Erkrankungen nahe, etwa Myelitis und Meningoenzephalitis“, erklärte etwa Prof. Dr. John England von der Louisiana State University in New Orleans, in einer aktuellen Mitteilung der World Federation of Neurology (WFN).
England ist der Vorsitzende einer neu gegründeten Zika-Arbeitsgruppe der WFN. Er betont: „Derzeit gilt die öffentliche Aufmerksamkeit besonders der Mikrozephalie bei Babys.“ Häufig übersehen würden aber die gravierenden Komplikationen, die bei infizierten Erwachsenen auftreten können. Allein 13 Länder und Territorien hätten seit dem Ausbruch der aktuellen Zika-Welle einen Anstieg von Fällen des Guillain-Barré-Syndroms berichtet.
Die neue Arbeitsgruppe wird die Priorität England zufolge vor allem auf die Überwachung des Infektionsverlaufes, Möglichkeiten der Moskito-Bekämpfung, zuverlässige diagnostische Tests und die Entwicklung von Impfstoffkandidaten legen. Außerdem müsse herausgefunden werden, wie sich die Häufigkeit von Erkrankungen im Verhältnis zur Virusausbreitung entwickelt, welche Personengruppen besonders gefährdet sind, neurologische Komplikationen zu entwickeln, und warum das Zika-Virus gerade mit dem Guillain-Barré-Syndrom und anderen immunvermittelten ZNS-Erkrankungen assoziiert sei.
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.fr übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. WHO Regionalbüro für Europa: Zika Virus Technical Report vom 18. Mai 2016
2. Online-Pressekonferenz des WHO Regionalbüros für Europa, Kopenhagen, 18. Mai 2016
3. International Zika Summit 2016, 25. bis 26. April 2016, Paris
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Diesen Artikel so zitieren: WHO ist sich sicher: Zika wird sich in Europa ausbreiten – Risiko in Deutschland: „mittelhoch“ - Medscape - 18. Mai 2016.
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