Mannheim – Wenn Flüchtlinge mit Fieber beim Arzt vorstellig werden, können hierzulande seltene oder gar nicht auftretende Infektionskrankheiten die Ursache sein. Was sich hinter fiebrigen Infekten bei dieser Personengruppe verbergen kann, erläuterte Prof. Dr. Emil C. Reisinger von der Abteilung für Tropenmedizin und Infektionskrankheiten der Universitätsmedizin Rostock auf dem Internistenkongress in Mannheim [1].
Wichtig für eine erste Einschätzung ist das Herkunftsland des Patienten. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) waren die Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge in 2015 Syrien (30,3%), Albanien (14,8%) und der Kosovo (9,7%). Im Januar 2016 kamen die meisten Flüchtlinge aus Syrien (37%), Afghanistan (9,7%) und dem Irak (13%).
2015 suchte eine Million Menschen Zuflucht in Deutschland. Diese Zahl ist bewältigbar, das ist für Reisinger keine Frage: „Wir schaffen das. Wir haben 1992, als der Krieg in Ex-Jugoslawien tobte, auch eine Million Flüchtlinge in Deutschland gehabt und das ganz gut hinbekommen. Aufgrund der rückläufigen Flüchtlingszahlen stabilisiert sich die Situation langsam“, berichtete Reisinger, der mit einem Team aus Ärzten und Medizinstudenten der Universitätsklinik Rostock seit 7 Monaten Flüchtlinge in der Erstaufnahme-Einrichtung Horst in Mecklenburg-Vorpommern betreut.
Bisher keine systematische Erfassung der Erkrankungen von Flüchtlingen
„Flüchtlinge in Deutschland sind keine wesentliche Gefährdung der Bevölkerung“, betonte Prof. Dr. August Stich, Chefarzt der Fachabteilung Tropenmedizin an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg. „Sie selbst sind eine höchst gefährdete Gruppe“, fügte er hinzu. Sowohl Stich als auch Reisinger erinnerten daran, dass es bislang keine systematische Erfassung der Erkrankungen von Flüchtlingen in Deutschland gibt.
Es gebe einzelne Berichte und viele Anekdoten. „Die Erfahrung lehrt uns, dass das Spektrum von Krankheiten sehr unterschiedlich ist, je nachdem welche Rahmenbedingungen vorliegen. Bei der Erstsichtung geht es um Skabies, Läuse, um akute, sofort interventionsbedürftige Erkrankungen wie die Tuberkulose. In den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen wund gelaufenen Füße behandelt werden, bei der permanenten Unterbringung und der späteren Integration spielen andere Dinge, auch chronische Erkrankungen eine Rolle“, so Stich.
Die Untersuchungen sind föderal geregelt – jedes Bundesland handhabt sie anders. „Wir wissen oft nicht, ob eine Erstuntersuchung stattgefunden hat. Die Ergebnisse werden nicht an den Betroffenen kommuniziert, sondern zentral bei den oberen Landesbehörden gespeichert. Das ist ein Problem, selbst wir, die wir Flüchtlinge behandeln, kommen an diese Untersuchungsergebnisse nicht ran“, berichtete Stich.
Stich betonte außerdem, dass die oft monatelange Unterbringung in Turnhallen und Zelten der Gesundheit der Flüchtlinge noch zusätzlich Schaden zufüge. „Die Unterbringung von Flüchtlingen in Massenunterkünften über Monate hinweg ist eine Form der strukturellen Gewalt und wir Ärzte sollten das auch so benennen“, betonte er.
Blutbild liefert erste Anhaltspunkte
Stellt sich ein Patient mit fieberhaftem Infekt vor, liefere oft schon das Blutbild eine erste grobe Einschätzung, mit welchem Erkrankungsbild man es zu tun habe, sagte Reisinger. Zeigt das Blutbild eine verminderte Leukozytenzahl, kann dem eine Typhuserkrankung, eine Salmonellose oder eine Brucellose zugrundeliegen. Eine Leukopenie kann aber auch ein Hinweis auf atypische Pneumonien, Rickettsiose, Ehrlichiose, viszerale Leishmaniose, HIV, Parvovirus B 19 oder Arbovirosen (Dengue-, O‘nyong-nyong-, Phlebotomusfieber u.a.) sein.
Bei einer Thrombopenie sollten Stich zufolge Malaria, Ehrlichiose, HIV, Dengue, Krim-Kongo-Fieber, Hepatitis C, Rubella und Windpocken in Betracht gezogen werden. Bei einer Eosinophilie gilt es, an Schistosomiasis, Ascariasis, Ankylostomiasis, Necator americanus, Strongyloidiasis oder Toxocariasis zu denken. Und eine Lymphozytose deute, so Stich, auf HIV, Cytomegalie (CMV), Pfeiffersches Drüsenfieber (EBV) oder Pertussis hin.
Infektionskrankheiten je nach Herkunftsländern unterschiedlich
Meist weisen Flüchtlinge aus dem östlichen Mittelmeerraum seltener Infektionserkrankungen auf. „In Syrien gab es bis vor drei Jahren eine stabile Gesundheitsversorgung inklusive Impfungen, seit drei Jahren ist das alles zusammen gebrochen“, so Reisinger.
Kommen die Flüchtlinge aus Afrika, sollte der Arzt bei Fieber an Tuberkulose, Malaria, Hepatitis B und Darmparasiten denken. Flüchtlinge aus den GUS-Staaten leiden eher an Hepatitis C, HIV oder Tuberkulose. Einen guten Überblick über Infektionskrankheiten bei Asylbewerbern gibt das Epidemiologische Bulletin des RKI.
Fieber bei Flüchtlingen könnte theoretisch auch auf eine Meningitis zurückgehen. Die Erkrankung ist in Volta (eine Region in Ghana), Nigeria, dem Tschad, Sudan und in Äthiopien verbreitet – potenziellen Herkunftsländern von Flüchtlingen. Der lange Fluchtweg macht es aus Reisingers Sicht aber unwahrscheinlich, dass Flüchtlinge mit Meningokokken-Sepsis nach Deutschland kommen, ausgeschlossen sei das aber nicht.
Eine weitere mögliche Ursache von Fieber kann eine invasive bakterielle Gastroenterocolitis sein. Bei Flüchtlingen werde diese häufig durch Salmonellen verursacht, berichtete Reisinger. Doch auch Shigellen, Campylobacter, Yersinien oder E. coli kommen als Verursacher in Frage. Typisch für die invasive bakterielle Gastroenterocolitis sind neben dem Fieber Tenesmen und exsudative Diarrhoe. Finden sich im Stuhl Blut, Schleim, Eiter oder Leukozyten, deutet dies auf Mukosaschäden hin. Abgesichert werden kann die Diagnose durch eine Stuhlkultur.
Ein weiteres Problem, von dem Reisinger beim Kongress berichtete, sind Noroviren-Ausbrüche in Flüchtlingsunterkünften mit den typischen Symptomen der Infektion wie Erbrechen, Durchfall und Fieber. Die Diagnose werde durch ELISA oder PCR gesichert. Therapeutisch sei vor allem die Gabe von Elektrolyten und Flüssigkeit wichtig.
Typhus erkennen und behandeln
„Wir haben im letzten Jahr vermehrt Typhus-Fälle gesehen, auch bei Flüchtlingen. Typhus spielt bei uns zwar eine untergeordnete Rolle, doch in Kriegsgebieten, wo Kläranlagen und die Kanalisation kaputt gebombt werden, kommt es zu Typhus-Ausbrüchen. In Tadschikistan wurden im Bürgerkrieg gezielt Kläranlagen und die Kanalisation zerstört, um Typhus-Epidemien auszulösen“, berichtete Reisinger. Hoch sei das Typhus-Risiko in Afrika, Indien, Indonesien und Teilen Südamerikas.
Typhus verläuft in 3 Phasen: In der 1. Phase, dem Stadium incrementi, leiden die Patienten an Kopfschmerzen, Husten und Obstipation. Charakteristisch für dieses Erkrankungsstadium ist die grauweiße Zunge, relative Bradykardie, Splenomegalie, Leukopenie und Eosinopenie. In der 2. Phase, dem Stadium fastigii, folgt hohes Fieber, Benommenheit, Roseolen, Diarrhoe und Meningitis; im Stuhl finden sich Monozyten. Die letzte Phase der Typhuserkrankung, das Stadium decrementi, ist gekennzeichnet durch Darmblutung, Perforation des Darmes, Myokarditis, Thrombosen, Abszesse, Sepsis, Arthritis und wiederkehrendes Fieber.
„90 Prozent der Erkrankungen verlaufen entsprechend dieser Stadien. Trotz adäquater Antibiotikatherapie hält das Fieber ein bis zwei Wochen an, bevor der Patient dann treppenförmig wieder abfiebert“, erläuterte Reisinger. Komplikationen, vor allem Darmblutungen, können bei Typhus noch 10 bis 15 Tagen nach Beginn einer adäquaten Antibiotikatherapie auftreten.
Läuserückfallfieber, Fleckfieber und Leishmaniose
2 weitere mögliche fieberhafte Erkrankungen bei Flüchtlingen sind das Läuserückfallfieber und das Fleckfieber. Das Läuserückfallfieber wird durch Kleiderläuse und Zecken übertragen. Die Inkubationszeit liegt bei 5 bis 15 Tagen. Typische Symptome sind neben dem Fieber Schüttelfrost, Ikterus, Petechien, neurologische Auffälligkeiten und Hepatosplenomegalie. Das Fieber verläuft charakteristischerweise in mehreren Schüben, zwischen denen Fieberpausen von 3 bis 5 Tagen liegen können. „Diese Schübe können sich bis zu elf Mal wiederholen, die Letalität ist mit zehn bis 20 Prozent recht hoch“, berichtete Reisinger. Doxycyclin wirke gut, müsse aber 2-mal am Tag gegeben werden.
Die Kleiderlaus könne auch Fleckfieber übertragen, so Reisinger. Die typischen Symptome dieser Erkrankung sind Fieberschübe, Exanthem (allerdings nicht im Gesicht), Somnolenz und Enzephalitis. Zur Therapie werden Doxycyclin, Rifampicin und Chinolone eingesetzt.
Eine weitere mögliche Ursache für Fieber: Eine Infektion mit einzelligen Parasiten der Gattung Leishmania. Die Erreger der Leishmaniose kommen praktisch in allen warmen Ländern vor, auch in Spanien oder Malta. In Spanien herrscht die viszerale Leishmaniose vor, je weiter östlich man kommt, desto eher findet sich die kutane Leishmaniose. 2013 und 2014 sind in der Türkei und Griechenland aber auch mehrere Fälle von viszeraler Leishmaniose aufgetreten.
Die Inkubationszeit beiträgt zwischen 3 und 6 Monaten. Typisch sind Fieber, Gewichtsverlust, graue Hautfarbe, Durchfälle und Hepatitis. Spleno-, Hepato- oder Lymphonodomegalie werden beobachtet, auch eine Panzytopenie (Anämie, Leuko- und Thrombopenie) und die polyklonale IgG-Vermehrung gehören zum Krankheitsbild. Wichtige Differentialdiagnosen sind Malaria, Typhus, Lymphome, Tuberkulose, Endokarditis, Brucellose, Sarkoidose und Bilharziose.
Geringes Risiko für Lassa, Ebola und Marburg, dafür Krim-Kongo
„Dass Lassafieber oder das Ebola- oder Marburg-Virus mit den Flüchtlingen nach Deutschland kommen, würde ich nicht befürchten“, stellte Reisinger klar. Anders sieht es mit dem Krim-Kongo- Fieber (CCHF) aus. Vor einigen Jahren begann sich das CCHF in der Türkei auszubreiten, 2006 wurde von 242 bestätigten Fällen berichtet, darunter 20 Todesfälle. Als Wirtsorganismus nutzt das Krim-Kongo-Virus Hasen, Vögel, Ziegen, Schafe und Rinder, übertragen wird es von der braunen Hundezecke.
Nach 3 CCHF-Fällen in Antalya tauchten 2008 erste Fälle in Griechenland auf. 2009 wurden in der Türkei 1.300 CCHF-Fälle verzeichnet, 2015 waren es 2.000 Fälle. „Es würde mich nicht wundern, wenn demnächst Touristen mit Krim-Kongo-Fieber nach Hause kommen oder wenn es auch bei Flüchtlingen auftritt“, sagte Reisinger
Die Inkubationszeit bei einer Krim-Kongo-Infektion beträgt 2 bis 7 Tage. Fieber ist ein Hauptsymptom und tritt bei 74 bis 95% der Patienten auf. Weitere häufige Symptome sind Kopfschmerzen (66-80%), Hepatitis (45%), Pneumonie (30%) und Hämorrhagie (30%). Die Mortalitätsrate bei Krim-Kongo-Fieber liegt zwischen 7 und 12%. „Was das Krim-Kongo-Virus betrifft, wird uns in den nächsten Jahren noch einiges erwarten“, sagte Reisinger voraus.
Deutlich höhere Tuberkulose-Inzidenz in den Herkunftsländern
Möglicherweise liegt einer Fiebererkrankung aber auch eine Tuberkulose zugrunde: Während die Inzidenz der Erkrankung in Deutschland mit 4 Erkrankten pro 100.000 Einwohnern eher gering ist, liegt sie in Syrien schon bei 20 von 100.000. In weiter östlich liegenden Ländern oder in Afrika steigt das Verhältnis auf 100 von 100.000 Einwohnern, in Südafrika teilweise auf über 500 von 100.000. In Somalia sind 548 von 100.000 Einwohnern an Tuberkulose erkrankt.
„Rechnen wir bei unseren Flüchtlingen mit einer Tuberkulose-Inzidenz von 100 pro 100.000, dann wären das bei einer Million Flüchtlingen ca. 1.000 Tuberkulose-Erkrankte. Und genauso ist es auch. Wir haben 2014 in Deutschland 4.400 gemeldete Tuberkuloseerkrankungen gehabt, im Jahr 2015 mit den Flüchtlingen waren es 5.600 Erkrankungen“, berichtete Reisinger. Durch die Flüchtlinge kamen also 1.000 bis 1.500 Tuberkuloseerkrankungen hinzu.
„Das wird in diesem Jahr schon weniger sein und in den nächsten zehn Jahren wird sich der Anteil an Tuberkulosen, die auf Flüchtlinge zurückgehen, auf zehn Prozent der Fälle beschränken“, prognostizierte Reisinger. Er schätzt, dass dann 100 Fälle pro Jahr auf Flüchtlinge entfallen. Dieses Szenario sei nicht angenehm, aber auch nicht beunruhigend und in den Griff zu bekommen.
„Es sind die Resistenzen bei Tuberkulose, die mir Bauchschmerzen bereiten“, sagte Reisinger. Der Bericht des RKI zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2013 zeigt: Der Anteil der multiresistenten Tuberkulose (MDR-TB: mindestens gleichzeitige Resistenz gegenüber Isoniazid und Rifampicin) an allen Tuberkuloseerkrankungen betrug 3,4% (102 Fälle) und war damit gegenüber dem Vorjahr (2,1%; 64 Fälle) signifikant gestiegen. Es ist der höchste Anteil, der seit Erfassung der resistenten Tuberkulose im Jahr 2001 für Deutschland registriert wurde.
Auch der Anteil von Erregern, die gegen mindestens eines der 5 Standardmedikamente resistent sind, ist 2013 mit einem Anteil von 14,3% (427 Fälle) höher als im Vorjahr (12,7%; 380 Fälle) und übersteigt damit das bisherige Maximum aus dem Jahr 2004.
Eine Studie aus Peru zeigt, wie schwer Patienten mit arzneimittelresistenter Tuberkulose zu behandeln sind. Eingeschlossen wurden 603 Patienten mit MDR-TB, aber auch 48 Patienten mit XDR-TB, einer extrem arzneimittelresistenten Tuberkuloseform (Resistenz gegen alle Erstlinien-Medikamente und mindestens 2 Zweitlinien-Medikamente). Von den MDR-TB-Patienten konnten 66% geheilt werden, von den XDR-TB-Patienten 60%. In der XDR-TB-Gruppe trat bei 10% der Patienten ein Medikamentenversagen auf, in der MDR-TB-Gruppe war das bei 2,1% der Fall. Von den XDR-TB-Patienten starben 23%, von den MDR-Patienten 20%.
„In Deutschland liegt die Letalität von Tuberkulose unter einem Prozent. Die extrem arzneimittelresistente Tuberkulose sei aber ein massives Problem, mit dem in den nächsten Jahren auch hierzulande zu rechnen sei, betonte Reisinger.
Zusätzliche Masernfälle durch ungeimpfte Flüchtlinge
Eine mangelnde Durchimpfung bei den Flüchtlingen führt dazu, dass auch immer wieder Windpocken und Masern auftreten. Letztere hätten 2015 deutlich zugenommen, berichtet Reisinger. „Zwar sind die Masern in Deutschland zurückgedrängt, aber leider nicht ausgerottet.“ Alle 2 Jahre sind stärkere Ausbrüche zu verzeichnen. 2015 waren es 2.464 Masern-Erkrankungen, das sind 700 mehr als noch 2013.
„Diese zusätzlichen Fälle sind zu einem großen Teil auf erkrankte Flüchtlinge zurückzuführen“, so Reisinger. „Umso wichtiger ist es, die Neuankömmlinge und vor allem die Kinder zu impfen, nicht nur gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR), sondern auch die Sechsfach-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Polio, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und Hepatitis B durchzuführen“, betonte er.
REFERENZEN:
1. 122. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 9. bis 12. April 2016, Mannheim
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Differenzialdiagnose Fieber bei Flüchtlingen – was kann alles dahinterstecken? - Medscape - 28. Apr 2016.
Kommentar