Madrid – Studienergebnisse der letzten Jahre bescheinigen der kognitiven Verhaltenstherapie hervorrangende Ergebnisse in der Primär- und Sekundarprävention von Depressionen. Trotzdem werden häufig allein Antidepressiva verschrieben. Medscape sprach auf dem Europäischen Psychiatriekongress in Madrid mit Prof. Dr. Claudi Bockting über die verschiedenen positiven Effekte der kognitiven Verhaltenstherapie, und wieso sie gerade bei Patienten mit chronischer Depression sehr hilfreich sein kann.
Medscape: Ab wann spricht man von einer chronischen Depression?
Prof. Dr. Bockting: Grundsätzlich kann eine chronische Depression unterschiedlich verlaufen, weshalb es auch nicht eine einzige Definition gibt. Möglich ist eine persistierende Depression (chronische Depression und Dysthymie mit Episoden von mindestens 2 Jahren) oder eine sich wiederholende Depression (mit intermediärer Erhohlung und Remission, gefolgt von Rückfällen).
Insgesamt haben 30-40% der Bevölkerung mindestens einmal im Leben eine depressive Episode, und 3-6% der Gesamtbevölkerung erkranken chronisch daran. Die hohe Prävalenz der chronischen Depression mitsamt ihren Zyklen von Rückfall und Remission ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der aktuellen Depressionsforschung, insbesondere, da dies auch Einfluss auf die Behandlung und Prävention hat.
Medscape: Kann man einem chronischen Verlauf denn im Vorfeld vorbeugen?
Prof. Dr. Bockting: Nur in gewissen Maße. Die Beseitigung von Risikofaktoren verringert das Risiko zumindest. Die chronische Depression ist oft mit Komorbiditäten vergesellschaftet, zum Beispiel mit Angststörung, Posttraumatischer Belastungsstörung, Substanzmissbrauch oder Persönlichkeitsstörungen. Wir beobachten außerdem eine Assoziation mit dem Stress-Coping-Typ: Wer auf Stress mit Vermeidungsverhalten reagiert, neigt bei bestehender Depression eher zu einem chronischen Verlauf. Weiterhin scheinen Kindheits-Traumata eine wichtige Rolle zu spielen. Kinder, die missbraucht oder vernachlässigt worden sind, haben ein höheres Risiko. Psychotherapie ist deshalb nicht nur für die Behandlung der Depression, sondern auch für ihre Prävention entscheidend.
Medscape: Wie genau sieht diese Psychotherapie üblicherweise aus?
Prof. Dr. Bockting: Die meisten psychotherapeutischen Interventionen haben eins gemeinsam: Sie zeigen dem Patienten, wie er mit Stress in der Vergangenheit und kommenden Stress-Situationen umgehen kann, um so ein Stress-befreiteres Leben führen zu können. Obwohl die meisten Interventionen die Konsequenzen eines Kindheitstraumas behandeln, hat sich zunehmend gezeigt, dass eine Verhaltenstherapie ebenso effektiv bei der Behandlung einer Depression sein kann, und womöglich auch bei ihrer Prävention.
Medscape: Welche Rolle spielen dabei Antidepressiva? Können wir eine Depression allein mit kognitiver Verhaltenstherapie behandeln?
Prof. Dr. Bockting: Das hängt von der Art der Depression ab. Bei milder Depression ist es sehr klar, dass die Erstlinien-Therapie psychologischer Natur sein sollte, da Antidepressiva hier nicht besser als Plazebo wirken. Bei einer akuten moderaten oder schweren Depression ist die kognitive Verhaltenstherapie genauso effektiv wie Antidepressiva. Allerdings zeigt die Kombination von beiden etwas bessere Ergebnisse.
Die Psychotherapie ist genauso effektiv wie Medikamente, und zeigt auf lange Sicht sogar bessere Ergebnisse bei der Prävention eines Rückfalls. Nach einer Remission bei Patienten mit multiplen depressiven Episoden zeigen bereits 8 Sitzungen präventiver kognitiver Therapie deutliche Erfolge: Die Zeit bis zum Rückfall wird signifikant verlängert. Dieser Effekt ist sogar noch nach 5-10 Jahren zu beobachten.
Die kognitive Verhaltenstherapie lehrt den Patienten die richtigen Methoden, um die Symptome einer Depression zu bekämpfen. Antidepressiva können einem Rückfall zwar auch vorbeugen und tun dies auch, aber sie müssen dazu lebenslang genommen werden – und wir wissen, dass dies oft eine große Herausforderung darstellt. Die meisten Patienten setzen ihre Medikamente selbstständig ab, oder reduzieren zumindest die Dosis.
Medscape: Und die Compliance für die kognitive Verhaltenstherapie ist größer?
Prof. Dr. Bockting: Die Patienten sind einer solchen Behandlung gegenüber tatsächlich mehr aufgeschlossen. Die Mehrheit bevorzugt eine psychologische Intervention gegenüber der Langzeit-Einnahme von Medikamenten. Aber viele Ärzte wissen nicht viel über den Langzeiteffekt einer Psychotherapie, und tendieren immer noch dazu, häufiger Antidepressiva statt einer Verhaltenstherapien zu verschreiben.
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Diesen Artikel so zitieren: Kognitive Verhaltenstherapie bei Depression: „Genauso effektiv wie Antidepressiva“ - Medscape - 28. Apr 2016.
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