Kliniken nur noch Wirtschaftsunternehmen? Ökonomischer Druck raubt Chefärzten die medizinische Entscheidungsfreiheit

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

27. April 2016

Berlin – Die zunehmend auf ökonomische Effizienz ausgelegten wirtschaftlichen Vorgaben in den Krankenhäusern bedrohen die Entscheidungsfreiheit der Chefärzte und das Wohl der Patienten, warnt die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) anlässlich ihres 133. Jahreskongresses in Berlin [1]. Viele Kliniken verstünden sich heute als Wirtschaftsunternehmen, die schwarze Zahlen schreiben und möglichst hohe Gewinne abwerfen wollten.

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer

„Deshalb müssen medizinische Entscheidungen zunehmend auch nach ökonomischen und administrativen Gesichtspunkten getroffen werden. Gleichzeitig ist eine wachsende Disziplinierung der leitenden Ärzte – vor allem durch die kaufmännische Geschäftsführung – festzustellen“, kritisierte Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer, Generalsekretär der DGCH, auf einer Vorab-Pressekonferenz zum Chirurgenkongress. Dessen Motto lautet denn auch passend: „Chirurgie im Spannungsfeld von Technik, Ethik und Ökonomie“.

Belastende Konflikte mit der Klinikverwaltung

Wie eine Umfrage des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen ergab, empfindet fast ein Drittel der leitenden Krankenhausärzte Konflikte mit der Klinikverwaltung als besonders belastend. Eine häufige Ursache dieser Konflikte ist laut DGCH, dass sich viele Chefärzte mit fertigen Lösungen – besonders vorgegebenen Mengenvorgaben für einzelne operative Eingriffe – durch die Geschäftsführung konfrontiert sähen: „Wenn dabei die Auswirkungen dieser Vorgaben auf das Wohl und die Sicherheit der Patienten unklar oder gar schädlich erscheinen, ist der Konflikt programmiert“, sagte Meyer.

 
Gleichzeitig ist eine wachsende Disziplinierung der leitenden Ärzte – vor allem durch die kaufmännische Geschäftsführung – festzustellen. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
 

Besonders, aber nicht nur in Häusern unter privatwirtschaftlicher bzw. Konzern-Trägerschaft würden die administrativen und betriebswirtschaftlichen Führungsetagen immer mehr aufgebläht, so Meyer weiter. „Demgegenüber rutschen die eigentlichen ärztlichen Leistungserbringer in den Organigrammen kontinuierlich ab und befinden sich selbst als Chefärzte auf einer Ebene mit den Leitern von Rechnungswesen und Pflegedienst nur mehr noch im mittleren Management.“ Das erleichtere es den Kliniken ebenfalls, die Positionen der Chefärzte schneller oder gar nach Belieben auszutauschen.

Mehr gegenseitiges Verständnis gefordert

Vielfach gebe es ein mangelndes Verständnis zwischen der ärztlichen und der administrativen Ebene, wobei Kommunikationsprobleme nicht zuletzt durch die „unterschiedliche Terminologie von Medizinern und Juristen“ entstünden. „Hier Wege zu ebnen und gegenseitig mehr Verständnis zu entwickeln, ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich“, betonte Meyer.

Es sei klar, dass Ärzte auch wirtschaftliche Gesichtspunkte und die Rentabilität einer Klinik berücksichtigen müssten. „Medizinisches Denken und Handeln sollten sich dabei aber mit den ökonomischen Zwängen die Waage halten.“ Meyers Empfehlung: „Verwaltung und Chefärzte müssen gemeinsam Strategien und Konzepte entwickeln und sich dabei immer wieder fragen, was machbar und was sinnvoll ist.“

Prof. Dr. Gabriele Schackert

Der seit Einführung der DRGs bestehende ökonomische Druck lasse die Krankenhäuser immer intensiver daran arbeiten, „wirtschaftlich passgenaue Patientenfälle“ zu versorgen: „Es geht ihnen darum, mit möglichst vielen schwierigen Fällen bei mittlerer Verweildauer den maximalen Erlös zu erzielen“, kritisierte DGCH-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Schackert in Berlin. Hingegen schlage sich nicht in der Vergütung wieder, wie viel Zeit tatsächlich mit den Patienten verbracht werde.

Zeitmangel als zentrales Problem

„Zeitmangel ist das zentrale Problem in der heutigen Medizin – mit teilweise gravierenden Folgen“, betonte Schackert. So sei Zeitknappheit eine der Ursachen dafür, dass in verschiedenen Fachgebieten die Operationszahlen anstiegen: „Viele Eingriffe würden entfallen, wenn wir die Zeit hätten, im Gespräch besser den Willen des Patienten kennenzulernen und die richtige, individuelle Indikation zu stellen.“

 
Viele Eingriffe würden entfallen, wenn wir die Zeit hätten, im Gespräch besser den Willen des Patienten kennenzulernen. Prof. Dr. Gabriele Schackert
 

Zu wenig Zeit und ökonomischer Druck, so Schackert, führten häufig nicht nur zu einem Informations-, sondern auch zu einem Vertrauensverlust im Arzt-Patienten-Verhältnis. Dabei sei das Gespräch mit dem Patienten auch in operativen Fächern eine wesentliche ärztliche Leistung und sollte entsprechend vergütet werden.

Zeit für die eigentliche ärztliche Arbeit ließe sich Schackert zufolge gewinnen, wenn Klinikärzte von administrativen und Dokumentationsaufgaben entlastet würden und diese besser delegieren könnten: „Wir müssen Wege finden, wie Ärzte weniger bürokratisch und dafür im Umgang mit ihren Patienten wieder so tätig sein können, wie es ihrem ärztlichen Ethos entspricht.“

Georg Baum

Auch Krankenhäuser sind für Entbürokratisierung

Bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) löst die Aussage, dass es seit Einführung der DRG-Klinikvergütung vor allem um die Erzielung wirtschaftlicher Gewinne gehe, Widerspruch aus: „Ein Patient, der ins Krankenhaus kommt, wird nach seinem Krankheitsbild behandelt, und das Patientenwohl steht an erster Stelle“, betont DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum auf Anfrage von Medscape Deutschland. „Dass das Krankenhaus für die Behandlung Erlöse erzielt, ergibt sich aus Gesetz und Vergütungssystematik. Das Patientengespräch, die Aufklärung über Eingriffe und das gemeinsame Abwägen sind selbstredend zentrale Bestandteile der ärztlichen Arbeit und bilden sich auch in der Kalkulation der entsprechenden DRGs ab.“

Handlungsbedarf bei der Bürokratie sieht aber auch die DKG: „Wir benötigen eine Entbürokratisierung in allen Abläufen des Gesundheitswesens“, so Baum weiter. „Wir stehen zur Transparenz, diese darf aber nicht dazu führen, dass Datenerhebung und Berichtswesen von der eigentlichen Tätigkeit, der medizinischen und pflegerischen Arbeit, abhalten.“

 

REFERENZEN:

1. 133. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 26. bis 29. April 2016, Berlin, Vorab-Pressekonferenz am 20. April 2016

 

Kommentar

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