Europäische Impfwoche 2016: Verbreitete Vorurteile gegen Impfungen – und wie Ärzte dagegenhalten können

Petra Plaum

Interessenkonflikte

27. April 2016

„Impfungen sind reine Geschäftemacherei“ oder „Impfen gefährdet Babys“ – solche Argumente kennt jeder Arzt. Anlässlich der laufenden Europäischen Impfwoche haben Autoren des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) 20 besonders verbreitete Vorurteile gegen das Impfen gesammelt und mitsamt Antworten darauf veröffentlicht [1]. Mit Hilfe der enthaltenen Studieninhalte, Zahlen und Argumente können sich Ärzte für Gespräche mit Impfskeptikern wappnen.

Hier 7 besonders verbreitete Vorurteile – und die Gegenargumente:

1. Die Wirksamkeit von Impfungen wurde niemals belegt.

 
Seit 1990 sind in Deutschland keine Erkrankungen durch Wildpolioviren mehr aufgetreten. RKI/PEI
 

Die Gegenbeispiele sprechen für sich. Etwa, dass die Masern dank der Impfungen weltweit erfolgreich zurückgedrängt wurden. Oder die Geschichte der Poliomyelitis: Die Schluckimpfung dagegen wurde in der DDR 1960, in der BRD 1962 eingeführt. „Während in der Bundesrepublik 1961 noch fast 4.700 Kinder an Kinderlähmung erkrankten, waren es 1965 bereits weniger als 50 Kinder“, informieren die Autoren. „Seit 1990 sind in Deutschland keine Erkrankungen durch Wildpolioviren mehr aufgetreten.“

Die Autoren verweisen zudem auf das geltende Arzneimittelrecht. Manche Patienten(eltern) beruhigt die Information, dass keine Impfung auf den Markt kommt, ohne dass vorklinische Untersuchungen und klinische Prüfungen ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit belegt haben.

2. Keiner der behaupteten krankmachenden Erreger wurde bisher gesehen, isoliert und als existent bewiesen.

„Ohne Erreger keine Impfung – so lautet eine Art Grundgesetz der Mikrobiologie“, halten die Autoren dagegen. Offenbar wissen viele Patienten(eltern) noch nicht, dass Impfstoffe auf der Basis von abgeschwächten oder inaktivierten Krankheitserregern oder deren Bestandteilen gewonnen werden. Gelegentlich, könnten Ärzte im Gespräch ergänzen, werden auch nah verwandte Erregerstämme zur Impfstoffherstellung verwendet.

„Ohne ein spezifisches Wissen um die Krankheitserreger wäre demzufolge eine systematische Impfstoffentwicklung nicht möglich gewesen. Auf der Grundlage dieses Wissens lässt sich das Immunsystem des Körpers gewissermaßen auf die echte Erkrankung vorbereiten“, können Ärzte im Gespräch anbringen.

Interessant finden Skeptiker womöglich auch, dass oft sogar der genetische Code der Krankheitskeime bekannt ist. „Dieses Wissen wird beispielsweise zur gentechnischen Herstellung des Hepatitis-B-Impfstoffes in Hefezellen genutzt“, heißt es im RKI/PEI-Papier. „Der Impfstoff besteht lediglich aus einem spezifischen Oberflächenmolekül des Hepatitis-Virus, dem sogenannten HBs-Antigen.“ Sehr viel traditioneller sei die Produktion vieler Grippe-Impfstoffe: Die Grippeviren werden in Hühnereiern vermehrt, anschließend abgetötet und zu hoch gereinigten Impfstoffen verarbeitet. Von wegen „nie gesehen und isoliert“!

3. Wir Eltern haben als Kinder diese Infektionskrankheiten auch durchgemacht und gut überstanden.

Da haben die Eltern von heute Glück gehabt. RKI und PEI erinnern an längst impfpräventable Erkrankungen, die in der Eltern- und Großelterngeneration viele töteten. „Allein in der BRD wurden 1949 insgesamt 1.122 Sterbefälle aufgrund einer Diphtherie registriert“, lautet ein Beispiel.

 
So beinhaltete allein der alte Keuchhusten-Impfstoff … rund 3.000 solcher Antigene; in allen heutigen Schutzimpfungen zusammengenommen finden sich dagegen nur 150. RKI/PEI
 

Der Begriff „Kinderkrankheit“ klinge weitaus harmloser, als die meisten der Erkrankungen sind. Stark unterschätzt wurden etwa lange Zeit die Masern: Eines von 1.000 Kindern, die daran erkranken, bekommt die Masern-Enzephalitis, die häufig zu bleibenden Hirnschäden oder sogar zum Tode führt. Früher wurden zahlreiche Jungen und Männer infolge einer Mumpserkrankung mit Hodenentzündung zeugungsunfähig.

Rötelninfektionen nicht immuner Schwangerer kosteten ihre ungeborenen Kinder die Gesundheit oder das Leben. „Eine zweimalige Röteln-Impfung schützt vor dieser möglichen Krankheitsfolge zu fast 100%“ – diese Information kann Eltern durchaus beeindrucken.

4. Durch die vielen Impfungen und Mehrfachimpfstoffe wird das Immunsystem des kleinen Kindes überlastet.

Babys und Kleinkinder mögen heute gegen mehr Krankheiten geimpft werden als früher. Die Zahl der Antigene, mit denen ihr Immunsystem konfrontiert wird, hat sich gleichzeitig verringert. Die Autoren nennen ein Beispiel: „So beinhaltete allein der alte Keuchhusten-Impfstoff, in dem das vollständige Bakterium enthalten war, rund 3.000 solcher Antigene; in allen heutigen Schutzimpfungen zusammengenommen finden sich dagegen nur 150.“ Die modernen Impfstoffe sind hoch gereinigt und enthalten meistens nur einzelne Bestandteile der Erreger.

Außerdem können Ärzte Eltern an folgendes erinnern: Babys und Kleinkinder, die die Welt vorwiegend mit dem Munde erkunden, setzen sich täglich mit unzähligen Antigenen auseinander – und ihr Immunsystem ist in der Regel bestens dafür gerüstet.

Es gibt zudem keine Hinweise darauf, dass Mehrfachimpfstoffe die Immunabwehr überlasten könnten, ergänzen die Autoren. „Bekannt ist allerdings, dass bestimmte Teilkomponenten der Kombinations-Impfungen das Immunsystem schwächer stimulieren, als wenn man sie alleine gäbe“, räumen sie ein, „weshalb beispielsweise vier statt drei Impfdosen (oder Impfstoffgaben) notwendig sein können.“ Letztlich könne aber die Zahl der erforderlichen Spritzen durch Mehrfachimpfstoffe deutlich reduziert werden.

5. Die Nebenwirkungen und Risiken von Impfungen sind unkalkulierbar.

Patienten(eltern) müssen wissen: Zahlreiche Studienergebnisse, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und ernsten Erkrankungen oder gar Todesfällen nahelegten, sind längst überholt. Prominentestes Beispiel: Der britische Arzt Andrew Wakefield hatte Ende der neunziger Jahre nach einer 12 Patienten umfassenden Studie die Hypothese aufgestellt, dass die Masern-Mumps-Röteln(MMR)-Impfung Autismus begünstige. Danach gab es etliche große Studien zum Thema – keine fand einen Zusammenhang. Schließlich wurde bekannt, dass Wakefield bestochen worden war. Anwälte von Eltern, deren Kinder Autismus hatten, hatten dem Arzt Geld gegeben, auf dass dieser Autismus als Impffolge darstelle. The Lancet zog die Veröffentlichung zur Wakefield-Studie 2010 zurück.

Ein weiteres Beispiel: der plötzliche Kindstod. Immer wieder wurden Fälle gemeldet, in denen ein Kind kurz nach einer Impfung starb. Doch Studien arbeiteten auch hier keinen Zusammenhang heraus. „So stellten Mediziner von der Universität Magdeburg bei einer umfangreichen Analyse von gut 300 Kindstodesfällen sogar fest, dass diese Babys seltener und später geimpft worden waren als üblich“, betonen die Autoren.

Was Pädiater besorgten Eltern noch zum Thema Impfschaden sagen können: „Eine Hauptschwierigkeit liegt hier in der Risikobewertung“, so die Autoren. „Impfungen werden fast allen Kindern gegeben. Es ist somit nicht verwunderlich, dass Gesundheitsstörungen und Erkrankungen, die im Kindesalter gehäuft auftreten, zufällig im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung registriert werden. Ein echter ursächlicher Zusammenhang muss deshalb nicht bestehen.”

6. Impfstoffe enthalten gefährliche Chemikalien, mit denen die Kinder vergiftet werden.

Tatsächlich, erklären die Autoren, sind in einigen Impfstoffen Formaldehyd, Aluminium, Phenol oder Quecksilber enthalten – in geringen Konzentrationen, weit unterhalb toxikologischer Grenzwerte. „Die Substanzen dienen beispielsweise dazu, um Impfviren abzutöten (Formaldehyd), die Immunantwort zu verstärken (Aluminiumhydroxid) oder den Impfstoff haltbar zu machen (Phenol)“, nennen sie die Gründe dafür.

 
Für alle generell empfohlenen Schutzimpfungen sind inzwischen quecksilberfreie Impfstoffe verfügbar. RKI/PEI
 

Für Quecksilber gelte: „Für alle generell empfohlenen Schutzimpfungen sind inzwischen quecksilberfreie Impfstoffe verfügbar.“ Die Vorgeschichte: Vor einigen Jahren stellten US-Mediziner die These auf, der in den USA registrierte Anstieg von Autismus-Diagnosen hänge mit dem quecksilberhaltigen Konservierungsmittel Thiomersal zusammen. „Die WHO, das US-amerikanische Institute of Medicine sowie die EMA sind inzwischen allerdings unabhängig voneinander zu dem Schluss gelangt, dass die verfügbaren Studien gegen einen solchen Zusammenhang sprechen“, informiert die Veröffentlichung. „Gleichwohl haben die Pharmahersteller auf die heftige Debatte reagiert.“ Die Folge: siehe Absatzbeginn.

7. Mit Impfungen will die Pharmaindustrie nur Geschäfte machen.

„Von den knapp 194 Mrd. Euro, die die GKV im Jahr 2014 ausgegeben hat, entfielen 33 Mrd. Euro (17%) auf Arzneimittel und lediglich etwas mehr als 1 Mrd. Euro (0,65%) auf Impfstoffe“, rechnen die Autoren vor. Ein Grund dafür sei, dass Medikamente etwa von chronisch Kranken ein Leben lang eingenommen werden müssen, während Impfstoffe in der Regel nur wenige Male verabreicht werden.

Die Pharmaindustrie habe natürlich ein Interesse daran, Gewinne zu erwirtschaften. Das Geschäft mit Impfstoffen sei aber vergleichsweise wenig profitabel, weil die Herstellung von Vakzinen komplex und teuer sei. „So gibt es weltweit immer weniger Impfstoffhersteller, wozu auch wirtschaftliche Erwägungen beigetragen haben dürften“, führen die Autoren ins Feld.

„Andererseits sollte auch nicht außer Acht gelassen werden, dass durch Impfungen kostenintensive Behandlungen sowie auch Leid von Patienten vermieden werden. Dies wurde in vielen gesundheitsökonomischen Evaluationen errechnet.“

 

REFERENZEN:

1. Robert Koch-Institut/Paul-Ehrlich-Institut (Hg.): Antworten des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts zu den 20 häufigsten Einwänden gegen das Impfen (online) 25. April 2016

 

Kommentar

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