Antikoagulation bei Vorhofflimmern: Bei eingeschränkter Nierenfunktion gelten eigene Regeln

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

26. April 2016

Mannheim – Als Indikationen für eine Antikoagulation gelten Thromboembolien und künstliche Herzklappen sowie Vorhofflimmern mit einem CHA2DS2-VASc-Score ab 2. Doch gelten diese Indikationen nicht für alle Patienten: „Bei niereninsuffizienten Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score über zwei gibt es Hinweise, dass Blutverdünner eher schaden. Das gilt vor allem, wenn es sich um Dialysepatienten handelt“, erläuterte PD Dr. Georg Schlieper von der Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten an der RWTH Aachen beim Kardiologenkongress in Mannheim [1]. Schlieper gab Tipps, wie und mit welchen Mitteln niereninsuffiziente Patienten antikoagulativ behandelt werden können.

Je nierenkränker die Patienten, desto höher der CHA2DS2-VASc-Score

Fünf Stadien werden bei der chronischen Niereninsuffizienz CKD (Chronic Kidney Disease) je nach Glomerulärer Filtrationsrate (GFR) unterschieden:

  • Stadium I (Nierenschaden allein, GFR > 90),

  • Stadium II (leicht reduzierte GFR 60–89),

  • Stadium III (mittelgradig reduzierte GFR 30–59),

  • Stadium IV (hochgradig reduzierte GFR 15–29)

  • und Stadium V, das Nierenversagen ( GFR < 15).

Dementsprechend sollte beim Labor neben dem Kreatininwert auch die GFR angefordert werden.  „Bei älteren Damen beispielsweise kann ein Kreatininwert von 1,2 oder 1,3 schon von einer mittelgradig reduzierten GFR begleitet sein“, gab Schlieper zu bedenken.

Laut der DOPPS-Studie ist bei Dialysepatienten die Prävalenz von Vorhofflimmern im Vergleich zur Normalbevölkerung 2- bis 3-fach erhöht. Etwa 20% aller Dialyse-Patienten haben europaweit Vorhofflimmern – über alle Altersgruppen hinweg. Während für nierengesunde Patienten mit Vorhofflimmern gilt, dass ab einem CHA2DS2-VASc-Score von 2, also einem mittleren Risiko, antikoaguliert werden sollte, sieht dies bei Niereninsuffizienz anders aus. „Auf nierenkranke Patienten ist das nicht so einfach übertragbar, denn der Score wurde für Nierengesunde evaluiert“, betonte Schlieper.

 
Bei niereninsuffizienten Patienten mit einem CHA 2DS 2-VASc-Score über zwei gibt es Hinweise, dass Blutverdünner eher schaden. PD Dr. Georg Schlieper
 

Daten an über 3.000 Patienten zeigen, dass sich der CHA2DS2-VASc-Score der Patienten parallel zum Stadium der Niereninsuffizienz verschlechtert. So steigt der Anteil von Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 oder höher bis zum Stadium V der CKD auf beinahe 80%. „Je nierenkränker die Patienten sind, desto höher ist auch der CHA2DS2-VASc Score“, so Schlieper. Formal müssten also sehr viele Patienten mit Niereninsuffizienz und Vorhofflimmern Antikoagulantien erhalten – dagegen spricht, dass eben der Score für nierenkranke Patienten bislang nicht evaluiert ist.

Vorhofflimmern tritt gehäuft während der Dialyse auf

Aus einer kleinen Studie an 40 Patienten ist bekannt, dass das Vorhofflimmern (VHF) bevorzugt während der Dialyse und in den 4 Stunden danach auftritt.

Eine wichtige Frage bei chronischer Niereninsuffizienz: Wie sieht der Vitamin-K-Status aus? Schlieper erläuterte die Zusammenhänge zwischen Blutverdünnung mit Vitamin-K-Antagonisten und der physiologischen Rolle des Vitamin K: Dieses wird u.a. für die Carboxylierung der Matrix-Gla-Proteine benötigt, die für Knochen und Gefäße wichtig sind. Labormäuse, denen dieses Protein fehlt, sterben nach 6 bis 8 Wochen an einer Ruptur der Aorta: „Das Protein muss carboxyliert werden, damit es aktiviert ist“, erläuterte Schlieper. Auch bei Dialyse-Patienten sei das Gla-Protein ein Überlebensprädiktor: „Patienten, die mehr Gla-Protein aufweisen, überleben eher als Patienten, die weniger davon haben.“

Vitamin K1 und K2 sind aber auch für die Steuerung der Blutgerinnung von entscheidender Bedeutung: Sie aktivieren die Carboxylase, durch die Proteine zur Blutgerinnung wie Faktor II, XII, IX und X, aber auch Protein S und C, entstehen. Bei diesem Vorgang wird Vitamin K der aktiven Form oxidiert und muss vom Körper anschließend wieder reduziert werden. Genau da setzt der Vitamin-K-Antagonist Phenprocoumon an, indem er die Rückführung in die aktive Form hemmt. „Und das setzen wir therapeutisch ein, um die Blutgerinnung zu beeinflussen“, erläuterte Schlieper. „Aber möglicherweise haben wir dadurch ja auch weniger Matrix-Gla-Protein.“

Niereninsuffiziente Patienten haben subklinischen Vitamin-K-Mangel

In Tierversuchen habe sich gezeigt, dass bei Urämie das Enzym Gamma-Glutamylcarboxylase (GGCX) weniger aktiv ist. Dies spreche für eine Hemmung der Carboxylase als unerwünschte Wirkung von Phenprocoumon. Auch aus nordamerikanischen und europäischen Kohorten weiß man, dass nicht nur Hämodialyse-Patienten, sondern auch Patienten mit CKD-Stadium III bis V erhöhte Spiegel an uncarboxylierten Proteinen aufweisen. Dies lasse bei niereninsuffizienten Patienten auf einen subklinischen Vitamin-K-Mangel schließen, fasste Schlieper zusammen.

 
Das Gla-Protein ist ein Überlebensprädiktor bei Dialyse-Patienten: Patienten, die mehr Gla-Protein aufweisen, überleben deutlich häufiger als Patienten, die weniger davon haben. PD Dr. Georg Schlieper
 

Welche Auswirkungen hat dies für die Antikoagulation bei Niereninsuffizienz? Zwar kann Warfarin laut einer kleineren Metaanalyse bei CKD-Patienten (ohne Dialyse) das Schlaganfallrisiko um etwa 60% senken. Jedoch lag andererseits in einer Studie mit 1.671 Dialyse-Patienten im Jahr 2009 das Schlaganfallrisiko unter Warfarin sogar höher als bei Patienten, die keine Blutverdünner nahmen. Dieses Ergebnis bestätigte die DOPPS-Studie, in der besonders über 75-jährige Patienten ein mehr als doppelt so hohes Schlaganfallrisiko unter Warfarin hatten. Bei jüngeren Patientengruppen war das Risiko um etwa 30% (nicht signifikant) erhöht.

Eine dänische Registerstudie hatte die Daten von 132.000 Patienten mit Vorhofflimmern analysiert, von denen 3.600 unter einer chronischen Nierenerkrankung litten. Knapp 1.000 dieser Patienten bekamen eine Nierenersatztherapie (RRT), also Hämodialyse, Peritonealdialyse, aber auch Nierentransplantation. Es zeigte sich, dass das Risiko für thromboembolische Ereignisse bei CKD-Patienten um etwa 50% erhöht war.

Im Ergebnis senkte die Warfarin-Gabe in jeder Patientengruppe das Risiko für thromboembolische Ereignisse: um 41% bei Patienten ohne Nierenerkrankung, um 16% bei nicht-terminaler Niereninsuffizienz und sogar um 56% bei RRT-Patienten. In dieser Gruppe wurde aber nicht weiter nach Art der Ersatztherapie unterschieden und nicht korrekt adjustiert. Hinzu kamen andere Limitationen wie ein jüngeres Alter der CKD-Patienten oder mögliche zusätzliche Indikationen für Warfarin wie künstliche Herzklappen. Auch wurden keine INR-Werte erfasst.

Dialysepatienten: Wohl kein Benefit durch Phenprocoumon, NOAKs sind kontraindiziert

Eine retrospektive Kohortenstudie ergab für Warfarin-Patienten mit Dialyse (n = 1.626) beim Endpunkt Schlaganfall eine adjustierte HR von 1,14, die HR für eine Blutung lag bei 1,44. Bei Warfarin-Patienten mit CKD, die keine Dialyse erhielten (n = 204.210), betrug die HR 0,87 für Schlaganfall und 1,19 für Blutungen.

Zusammengefasst deute eine relativ umfangreiche Studienlage darauf hin, so Schlieper, „dass Dialysepatienten nicht zwingend einen Benefit von Marcumar haben und dass zwei Studien, die Nierenersatztherapie und Nierentransplantierte eingeschlossen hatten, für diese Subgruppe einen Benefit zeigen“. Allerdings fehlten dazu noch immer randomisierte kontrollierte Studien.

 
Es gibt aber keine pharmazeutischen Daten, die zeigen, dass NOAKs in Stadium IV auch wirklich sicher sind. PD Dr. Georg Schlieper
 

Und die NOAKs? Nach einer Metaanalyse von Steinberg haben NOAKs bei nierengesunden Patienten mit Vorhofflimmern gegenüber Warfarin keinen Nachteil. Eine andere Metaanalyse verglich die Wirkungen von NOAKs (5.100 Patienten) mit der Wirkung von Warfarin (4.200 Patienten) bei nicht dialysepflichtiger CKD und Vorhofflimmern. Schlaganfälle waren in der NOAK-Gruppe um 20% seltener.

Eine Studie untersuchte 2012 die pharmakologische Wirkung der neuen oralen Antikoagulanzien an CKD-Patienten. Eine nähere Untersuchung dieser Daten durch Reinecke ergab 2013, dass die NOAKs beim Schlaganfall und beim Embolierisiko „besser oder gleichwertig“ zu Warfarin abschneiden. Das gelte für alle 3 aufgeführten GFR-Kategorien (> 80, 50-80, < 50), allerdings war keine Kategorie für Werte unter 30 ausgewiesen. Ähnlich wie beim Schlaganfall-und Embolierisiko schnitten die NOAKs in diesen Kategorien beim Blutungsrisiko ab, allerdings war auch hier die GFR-Kategorien unter 30 nicht untersucht worden.

 
Bei Hämodialysepatienten mit VHF empfehle ich einen zurückhaltenden Einsatz von Coumarinen, der möglicherweise in der Sekundärprophylaxe weiterer Schlaganfälle sinnvoll ist. PD Dr. Georg Schlieper
 

Bei Dialysepatienten dürfe man NOAKs nicht einsetzen, warnte Schlieper und wies auf die Daten einer US-Studie an 30.000 Dialyse- Patienten mit VHF hin. 6% der Patienten hatten dabei trotz bestehender Kontraindikation NOAKs erhalten. Sie hatten ein um 30% erhöhtes Blutungsrisiko im Vergleich zu Patienten, die Warfarin erhalten hatten.

NOAKs im Stadium IV der CKD besser nicht einsetzen

Welche Antikoagulantien kann man bei Patienten mit CKD und VHF nun einsetzen? Das sei abhängig vom CKD-Stadium, so Schlieper. Bei Stadium III (GFR 30–60) können Patienten sowohl Warfarin als auch NOAKs erhalten. „Aber – achten Sie auf die Dosierung!“ Bei Warfarin liegt das Ziel bei einer INR von 2 bis 3, bei Dabigatran sind Dosierungen von 110 mg oder 150 mg 2-mal täglich möglich. Apixaban kann 2-mal täglich in einer Dosierung von 5 mg gegeben werden. Rivaroxaban in einer Dosis von 15 mg täglich bei einer GFR von 30 bis 49 und 20 mg täglich bei einer GFR von 50 bis 59.

„Im Stadium vier dürfen wir Marcumar einsetzen, aber auch die NOAKs“, so Schlieper. Für Dabigatran sind 75 mg 2-mal täglich angegeben, für Rivaroxaban 15 mg täglich, für Apixaban 2,5 mg 2-mal täglich. „Es gibt aber keine pharmazeutischen Daten, die zeigen, dass NOAKs in Stadium IV auch wirklich sicher sind“, warnte Schlieper und fügte hinzu: „Die Daten wurden von den Zulassungsbehörden nur extrapoliert. Ich glaube deshalb, dass man NOAKs in Stadium IV bis auf weiteres nicht einsetzen sollte.“

Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz ist in der Primärprävention bei VHF keine Antikoagulation empfohlen, weil kein Benefit gezeigt werden konnte.

„Künstliche Herzklappen und thromboembolische Ereignisse sind eine klare Indikation für Blutverdünner. Patienten mit zusätzlicher CKD im Stadium III profitieren sowohl von Warfarin als auch von NOAKs“, fasste Schlieper die Situation bei den anderen Indikationen zusammen. Die Datenlage zur Blutverdünnung durch die neuen oralen Antikoagulanzien bei nicht dialysepflichtiger CKD in Stadium IV ist schlecht, Coumarine, so Schlieper, seien wahrscheinlich günstig. „Und bei Hämodialysepatienten mit VHF empfehle ich einen zurückhaltenden Einsatz von Coumarinen, möglicherweise ist ihr Einsatz in der Sekundärprophylaxe weiterer Schlaganfälle sinnvoll.“

 

REFERENZEN:

1. 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 30. März bis 2. April 2016, Mannheim

 

Kommentar

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