Mannheim – Gibt es einen Zusammenhang zwischen Entzündungsparametern, KHK und psychosozialem Stress? Erste Ergebnisse einer Add-On-Untersuchung der SPIRR-CAD-Studie weisen darauf hin: Eine psychotherapeutische Intervention über 18 Monate senkte danach signifikant die Entzündungsmarker Interleukin 6 und TNF-alpha. Dies berichtete Dr. Joram Ronel, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der TU München, auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) [1].
Psychotherapie gegen Depression: Wirkt vor allem bei Patienten mit „Typ-D-Muster“
Die SPIRR-CAD-Studie fand über rund 5 Jahre an 10 Standorten in Deutschland statt. 570 KHK-Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen erhielten entweder als „Interventionsgruppe“ zusätzlich zur kardiologischen Therapie 3 psychotherapeutische Einzelsitzungen und nach Bedarf noch 1 Jahr lang eine Gruppentherapie oder als „Kontrollgruppe“ nur zusätzlich eine kurze Beratung zur Bedeutung von psychosozialen Problemen bei der KHK.
Die Auswertung ergab, dass die Patienten der Interventionsgruppe am Ende der Studie zwar nicht weniger depressiv waren als die der Kontrollgruppe. Allerdings waren alle Patienten – unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit – am Ende der Studie weniger depressiv als zu Beginn.
Die Wissenschaftler untersuchten auch Subgruppen – ob bestimmte Patienten stärker von der psychotherapeutischen Behandlung profitierten als andere. Und tatsächlich: Bei Patienten mit „Typ-D-Muster" war die Psychotherapie wirksamer, als bei Patienten, die nicht zu diesem Typus gehören. Zum Typ-D-Muster gehören Menschen, die dazu neigen, häufiger belastende Emotionen zu erleben, nicht nur Depressionen, sondern auch innere Anspannung, Ängstlichkeit und Gereiztheit. Diesen Menschen fällt es besonders schwer, sich anderen Menschen vertrauensvoll zuzuwenden. Bei diesen Patienten besserten sich die Depressionen nur in der Interventionsgruppe, in der Kontrollgruppe wurden sie dagegen schlimmer.
Add-On-Analyse
In die beim DGK-Kongress vorgestellte Add-On-Analyse schlossen Ronel und seine Kollegen 533 Patienten ein [2]. Die Katamnese erfolgte nach 18 Monaten, zu diesem Zeitpunkt lagen noch 336 Datensätze mit vollständigen Fragebogen- und Labordaten vor. Die Laborergebnisse: Im Verlauf der 18 Monate fiel das C-reaktive Protein (CRP) in der Interventionsgruppe tendenziell ab (p = 0,093), Interleukin 6 (p = 0,034) und TNF-alpha (p = 0,001) fielen signifikant.
Die Forscher bildeten aus diesen 3 Entzündungsparametern einen so genannten Inflammations-Score (Inflammatory Burden, IB). Dieser unterschied sich nicht signifikant zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe (p = 0,136). „Das haben wir erwartet. Die Hauptstudie SPIRR-CAD zeigte ja auch keine signifikanten Effekte im Hinblick auf die Unterscheidung der Studienarme“, so Ronel.
Inflammations-Score sank bei Patienten mit hohem sozioökonomischem Status deutlicher
Doch in der univarianten Analyse bezüglich des sozioökonomischen Status (SES) fanden sich Unterschiede: Bei Probanden mit mittlerem und hohem SES ging die IB deutlicher zurück (63%) als bei Probanden mit niedrigem SES (52%). Doch was hat der SES mit der Inflammation zu tun? „Das können wir nur vermuten: Bedeutet ein hoher sozioökonomischer Status womöglich eine bessere Compliance? Weniger gesundheitliche Probleme? Auf jeden Fall scheint es einen noch nicht sicher zu benennenden Mediator zu geben, der sich möglicherweise auf die Depression auswirkt“, so Ronel.
Ein mittlerer oder hoher SES war prädiktiv für eine Verbesserung der Inflammation. Wer einen geringeren SES hatte, musste also mit höheren Entzündungswerten rechnen, bestätigt Ronel.
Auch reduzierte sich die Inflammation weniger bei Patienten, die auf der Hamilton-Skala moderat bis stark depressiv waren, als bei denjenigen mit geringeren Werten. Bei denjenigen, die an einer moderaten bis schweren Depression litten, nahm zudem der Entzündungs-Score (47%) weniger ab als bei Probanden, die weniger depressiv waren (62%). „Das überrascht nicht, denn es entspricht der Grundthese der Psycho-Neuro-Immunologie, dass Depressionen chronischen Stress auslösen und dieser dann proinflammatorisch wirkt“, erklärte Ronel.
Betrachtete man die psychosozialen Variablen, zeigten sowohl die Lebensqualität als auch das Persönlichkeitsmuster Typ D keine signifikanten Effekte auf den Entzündungs-Score.
Compliance bei der Psychotherapie scheint die Entzündungswerte zu verbessern
Welchen Einfluss hatte nun die regelmäßige Teilnahme an der Psychotherapie auf die Inflammationswerte? Die Gruppentherapie fand über einen Zeitraum von 12 Monaten einmal pro Woche statt. Wer häufig an den Gruppensitzungen teilnahm (10- bis 25-mal) dessen Inflammations-Score verbesserte sich deutlicher (-68%) als der Score von Patienten, die nur selten (1- bis 9-mal) daran teilnahmen (-42%). Überraschenderweise schnitten die Patienten, die nicht an den Gruppensitzungen teilgenommen hatten, tendenziell besser ab (-52%) als diejenigen, die selten teilgenommen hatten.
Ronel: „Der erste Teil der Ergebnisse passt gut. Was zu dem Zusammenhang ‚keine Teilnahme‘ zu sagen ist: Die, die nicht an den Sitzungen teilgenommen haben, sind im Wesentlichen Drop-Outs. Möglicherweise sind ein Teil der Drop-Outs gerade die, die am meisten belastet sind und ein anderer Teil diejenigen, die das Gefühl haben, nichts mehr zu brauchen. Das entspricht zumindest einigen Voruntersuchungen.“
Auch in der multivariaten Analyse zeigten sich Anhaltspunkte für Verbesserungen bei den Patienten, die häufiger an den Sitzungen teilgenommen hatten. Doch kann man daraus schließen, dass psychotherapeutische Hilfe doch direkt auf biologische Parameter wirkt? Ronel: „Das wäre die Gretchenfrage! Psychotherapie wirkt auf Depressionen. Die Psycho-Neuro-Immunologie sagt ja, dass chronischer Stress – also auch Depressionen – Entzündungen fördern. Wir können das natürlich nicht belegen, aber denkbar wäre es.“
Verbindung von Psyche-Herz, Herz-Immunologie und Immunologie-Psyche
Ronel zieht aus den Daten folgende Schlüsse: „Zunächst einmal klinisch, dass wir eine Verbindung zwischen den drei Achsen Psyche-Herz, Herz-Immunologie und Immunologie-Psyche herstellen können. Und dass das bei depressiven KHK-Patienten möglicherweise klinisch relevant – weil langfristig protektiv – sein könnte. Wissenschaftlich ist es eine der zentralen paradigmatischen Fragen: Lässt sich durch eine psychosoziale Intervention bei somatischen Patienten biologisch etwas verändern? Da stehen wir noch sehr am Anfang.“
Geplant sind jetzt weitere Analysen: „Wir haben eine Unmenge an Daten, die wir nach und nach weiter anschauen werden“, sagt Ronel. „Und vielleicht können wir die Modelle weiter verbessern. Aber auch jetzt schon bin ich mit dem Ergebnis nicht unzufrieden: Ein wichtiger Schritt im Verstehen des Bio-Psycho-Sozialen Modells.“
REFERENZEN:
1. 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 30. März bis 2. April 2016, Mannheim
2. Die Add-On-Analyse der SPIRR-CAD-Studie liegt Medscape Deutschland vor, ist aber noch nicht veröffentlicht.
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Diesen Artikel so zitieren: Gut für Herz und Seele: Regelmäßige Psychotherapie scheint Entzündungsparameter bei KHK-Patienten zu verbessern - Medscape - 25. Apr 2016.
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