Allein in Deutschland sind rund 400.000 Typ-1-Diabetiker auf tägliche Insulingaben angewiesen. Ein mit dem Smartphone verbundenes Closed-Loop-System (CLS), der Diabetes Assistent (DiAs), könnte den Alltag der Betroffenen in naher Zukunft erleichtern. In einer kleinen Studie, in der 30 Patienten mit Typ-1-Diabetes den DiAs 4 Wochen lang zuhause erprobten, erwies sich das System als sicher und effektiv.
„Der Einsatz des DiAs in der Nacht reduzierte das Auftreten nächtlicher Hypoglykämien. Außerdem befanden sich die Patienten sowohl nachts als auch tagsüber länger im Blutzuckerzielbereich“, berichten Dr. Stacey M. Anderson von der University of Virginia, Charlottesville, USA, und ihre Mitarbeiter in der Zeitschrift Diabetes Care [1]. Auch im 24-Stunden-Einsatz verbesserte das künstliche Pankreas mit CLS die tagsüber und nachts im Zielbereich verbrachte Zeitspanne. Verglichen mit dem Übernacht-Einsatz bot die dauerhafte Anwendung des CLS einen zusätzlichen Hypoglykämieschutz am Tag“, ergänzen die Autoren.

Prof. Dr. Thomas Danne
„Mit einem solchen CLS ist ein nahezu normales Leben ohne großes Nachdenken um die Höhe der Insulingaben möglich“, erklärt Prof. Dr. Thomas Danne, Chefarzt Diabetologie, Endokrinologie und Allgemeine Pädiatrie und klinische Forschung am Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover, im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Vergleich von Nacht- und 24-Stunden-Einsatz
Bereits seit mehreren Jahren testen weltweit Patienten verschiedene Clodes-Loop-Systeme für die Insulintherapie unter zahlreichen verschiedenen Sicherheitsbedingungen wie Übernachtstudien, betreuten Sommercamps mit Jugendlichen oder unter Alltagsbedingungen allein zu Hause. Die Autoren um Anderson untersuchten nun in einer multizentrischen internationalen Studie 30 Patienten mit Typ-1-Diabetes zwischen 18 und 66 Jahren, die das System 4 Wochen lang zuhause unter Alltagsbedingungen trugen: In den ersten beiden Wochen nur über Nacht und danach 2 Wochen lang kontinuierlich 24 Stunden am Tag.
Eingeschlossen wurden Patienten, die seit mindestens einem halben Jahr eine Insulinpumpe benutzten und mit wenigstens einem Familienangehörigen zusammenlebten, der mit dem System vertraut war.
Das CLS besteht aus dem Smartphone mit dem DiAs-Programm, einem tragbaren kontinuierlich messenden Glukosesensor, der die Zuckerwerte per Bluetooth an den DiAs übermittelt, einer Insulinpumpe, die ebenfalls per Bluetooth verbunden ist, und einem externen Monitor, der die Werte über G3-Netz oder WIFI überträgt.
„Bislang hat man jedoch noch keine Möglichkeit, den Zuckeranstieg durch Mahlzeiten vorher zu berechnen, da die Systeme rund 90 Minuten benötigen, um zu erkennen, ob ein Anstieg der Glukosewerte in Zusammenhang mit einer Nahrungsaufnahme steht oder nicht. Daher müssen Mahlzeiten nach wie vor über das System eingegeben werden“, schränkt Danne ein. „Zudem ist momentan in der Erforschung, inwieweit Bewegung ebenfalls über das System eingegeben werden muss.“
Sicherheit geht vor: Akustische Warnungen beim Autofahren
Zusätzlich muss das System auch dann funktionieren, wenn das Smartphone einmal ausfallen sollte, etwa weil das Aufladen vergessen wurde oder es gerade kein Netz gibt. DiAs ist daher so programmiert, dass es automatisch auf eine vorprogrammierte Insulinpumpenbehandlung umschaltet, wenn es kein Signal zum Smartphone aufbauen kann. Außerdem können die Patienten DiAs in verschiedenen Sicherheitsmodi bedienen, so werden sie z. B. beim Autofahren durch akustische und optische Signale vor hypo- oder hyperglykämischen Phasen gewarnt.
Die 30 Studienteilnehmer hatten aber auch die Möglichkeit, ihren Zuckerspiegel manuell zu messen und gegebenenfalls durch Traubenzucker oder Insulinboli gegenzusteuern.
„Wir haben in unserer Klinik bereits Erfahrungen mit einem ähnlichen Closed-Loop-System machen können“, berichtet Danne. „Beide Systeme unterscheiden sich u.a. dadurch, ob man nur eine Änderung der Basalrate vornimmt, oder ob man zusätzlich auch Bolusgaben verabreichen kann, wie bei dem System, das wir verwenden und gegenwärtig in einer Studie bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen evaluieren.“
In der Untersuchung von Anderson und ihren Kollegen hatten die Studienteilnehmer die Gelegenheit, die Insulinpumpe und den tragbaren Glukosesensor in einer 2-wöchigen Eingewöhnungsphase erst einmal auszuprobieren. Die in dieser Zeit gemessenen Werte nutzen die Wissenschaftler als Ausgangswerte.
CLS reduziert hypoglykämische Phasen
Im Vergleich zu diesen Ausgangswerten aus den beiden Eingewöhnungswochen, in denen der DiAs noch nicht eingesetzt wurde, verringerte sich die Anzahl der hypoglykämischen Phasen in der Folgezeit signifikant. Die Verbesserung zeigte sich schon in den ersten 2 Wochen, in denen die Probanden das CLS nur über Nacht einsetzten: Hatten sie zuvor noch 3% der Zeit im hypoglykämischen Bereich (< 70 mg/dl) verbracht, waren es nun nur noch 1,1% (p < 0,001). Dafür befanden sie sich nun 75% der Zeit im Glukosezielbereich von 70-180 mg /dl, zuvor waren es 61% gewesen (p < 0,001). Die Glukosevariabilität reduzierte sich von 36% auf 30% (p < 0,001).
Ähnliche Verbesserungen ergab das rund um die Uhr getragene CLS: Die Probanden befanden sich nur noch 1,7% der Zeit im hypoglykämischen Bereich – im Vergleich zu 4,1% in der Eingewöhnungsphase (p < 0,001). Der Glukosewert lag zu 73% der Zeit im Zielbereich, zuvor waren es 65% gewesen (p < 0.001). Die Glukosevariabilität sank von 38% auf 34% (p < 0,001).
Die Autoren schlossen, dass Patienten das smartphonegestützte CLS sicher und wirksam unter Alltagsbedingungen tragen können und das Risiko für Hypoglykämien deutlich gesenkt werden kann.
„Ein ähnliches System, wie das in der hier vorgestellten Studie untersuchte, wird möglicherweise bereits Ende dieses Jahres die Zulassung erhalten“, mutmaßt Danne. „Die Ergebnisse werden Mitte dieses Jahres auf dem Kongress der Amerikanischen Diabetes Gesellschaft präsentiert werden.“
REFERENZEN:
1. Anderson SM, et al. Diabetes Care 2016 (online) 13. April 2016
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Künstliches Pankreas mit Smartphone-App: Closed-Loop-System beweist sich im Alltagstest - Medscape - 22. Apr 2016.
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