Zika-Virus und vorgeburtliche Schädigung: Auch RKI-Experten halten den Zusammenhang nun für erwiesen

Dr. Ingrid Horn

Interessenkonflikte

21. April 2016

Für die gehäuft aufgetretenen Schädelfehlbildungen bei Feten und Neugeborenen vor allem in Brasilien und Französisch-Polynesien hat es in jüngster Zeit zunehmend Indizien gegeben, dass hierfür eine Infektion der Mütter durch das Zika-Virus während der Schwangerschaft ursächlich sein könnte. Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta haben jetzt im New England Journal of Medicine (NEJM) einen Bericht vorgelegt, wonach sie den Kausalzusammenhang als erwiesen betrachten [1].

Unter der Leitung von Dr. Sonja A. Rasmussen haben Experten der Behörde alle derzeit verfügbaren Studien, Fallbeschreibungen und Berichte anhand bekannter Kriterien bewertet und so das Zika-Virus eindeutig als teratogen erkannt. „Damit ist wissenschaftlich belegt, was Hunderte betroffener Familien seit langem vermutet hatten. Das Zika-Virus ist die Ursache der tragischen Zunahme von Mikrozephalie und anderer schwerer Hirndefekte“, kommentierte Dr. Tom Frieden, Direktor der CDC, bei einem Pressetermin das Ergebnis.

Auch das RKI sieht Kausalitätskriterien weitgehend erfüllt

„Die umfassende und strukturierte Zusammenstellung der Evidenz durch die Autoren des Berichtes ist sehr zu begrüßen“, meint Dr. Christina Frank von der Abteilung Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin gegenüber Medscape Deutschland. Frank und weitere RKI-Experten hatten bereits Mitte März Überlegungen zur Kausalität zwischen Zika-Virus und Mikrozephalie publiziert und dabei die Bradford-Hill-Kriterien für Kausalität in der Medizin zugrunde gelegt.

 
Damit ist wissenschaftlich belegt, was Hunderte betroffener Familien seit langem vermutet hatten. Dr. Tom Frieden
 

In der Tat hätten einige der neusten wissenschaftlichen Veröffentlichungen jetzt Lücken geschlossen, die in der Zusammenschau der Evidenzlinien bislang noch fehlten, erläutert die Berliner Epidemiologin. „Wir stimmen den NEJM-Autoren darin zu, dass die Bradford-Hill-Kriterien für den kausalen Zusammenhang nun weitgehend erfüllt sind und weiterhin keine Evidenz gegen den Zusammenhang spricht“, stellt sie fest. Mit ihren amerikanischen Kollegen ist sie sich auch einig, dass noch viele Detailfragen beispielsweise zum Phänotyp der Missbildungen sowie zur Risikobewertung für Mutter und Kind und zur Risikobeeinflussung offen sind.

Amerikaner stellen Shepard-Kriterien in den Mittelpunkt

Grundsätzlich ist der Nachweis über eine einzige Studie derzeit nicht zu führen. Rasmussen und ihre Kollegen wählten deshalb die Shepard-Kriterien als Bewertungsrahmen für ihre Analyse der verfügbaren Quellen. Schon 1994 hatte der Teratologe Thomas Shepard 7 Kriterien definiert, die als Beweis für die fruchtschädigende Wirkung eines Agens dienen. Für den Nachweis genüge es, dass die Kriterien 1, 3 und 4 voll erfüllt seien, schreiben die Autoren.

Als erstes galt es nachzuweisen, dass es für das schädigende Ereignis ein kritisches Zeitfenster in der Embryonalentwicklung gibt. Danach ist das Risiko für das an sich seltene Ereignis einer Mikrozephalie besonders hoch, wenn die Feten während des ersten und zweiten Trimesters einer Schwangerschaft einer Zika-Virus-Infektion ausgesetzt sind.

Außerdem lässt sich zeigen, dass das Zika-Virus ein spezifisches und sich wiederholendes Muster an Defekten verursacht. Neben der Mikrozephalie sind entsprechende Hirnschäden per CT und MRT nachweisbar.

Letzteres belegt erneut eine gerade im British Medical Journal (BMJ) erschienene brasilianische Studie [2]. Dort hat man bei 23 Kindern mit Verdacht auf eine Zika-Virus-Infektion bzw. nachgewiesener Infektion hauptsächlich Kalzifizierungen an der Verbindung zwischen der subkortikalen und kortikalen weißen Substanz gefunden. Außerdem gab es Fälle mit vergrößerter Cisterna magna, Anomalien des Corpus callosum sowie von Cerebellum und Hirnstamm. Weitere regelmäßig auftretende körperliche Fehlbildungen wie zusätzliche Kopfhaut und Augendefekte sind ebenfalls bekannt.

 
Wir stimmen den NEJM-Autoren darin zu, dass die Bradford-Hill-Kriterien für den kausalen Zusammenhang nun weitgehend erfüllt sind ... Dr. Christina Frank
 

Die Autoren halten auch das Kriterium 4 für belegt, bei dem die Seltenheit einer Exposition mit der Seltenheit der Schädigung assoziiert sein muss. „Berichte, wonach an sich seltene Fehlbildungen bei Neugeborenen aufgetreten sind, deren Mütter sich als schwangere Reisende nur kurze Zeit in Regionen mit Zika-Virus-Übertragung aufgehalten haben, stimmen mit der Forderung überein, dass der Kontakt mit dem Zika-Virus ein seltenes Ereignis ist“, schreibt Rasmussen.

Eindeutigkeit hilft der Risikokommunikation

Zur Absicherung ihrer Beweisführung zogen die US-Experten zusätzlich die auf den Bradford-Hill-Kriterien basierende Analyse von Frank und ihren Kollegen heran und aktualisierten sie. Von den 9 Kriterien, die Sir Austin Bradford Hill für eine Kausalitätsprüfung 1965 definiert hatte, sind nun 7 belegbar.

„Der Wechsel von der Hypothese, dass das Zika-Virus mit bestimmten Geburtsschäden in Verbindung gebracht werden kann, zur Feststellung, dass es ursächlich ist, erleichtert uns die direkte Kommunikation über die Gefährdung“, schreiben die Autoren. Hierzu gehört auch die Übertragung des Zika-Virus durch sexuelle Praktiken. Eine aktuelle Fallbeschreibung aus Frankreich legt nahe, dass dies sowohl auf oralem wie auf vaginalem Wege geschehen kann [3]. Bei einem erkrankten Paar, das mehrfachen Sexualkontakt nach der Rückkehr des Mannes aus Brasilien hatte, wurde das Virus im Samen des Mannes und im Speichel der Frau nachgewiesen.

Vorsichtsmaßnahmen, wie sie von der WHO und Gesundheitsbehörden verschiedener Länder für die in den gefährdeten Regionen lebenden Menschen und für Reisende in diese Gebiete publiziert worden sind, bleiben weiterhin gültig und werden – so hoffen die CDC – jetzt nach der Kausalitätsprüfung in der Bevölkerung auf mehr Resonanz stoßen.

 

REFERENZEN:

1. Rasmussen SA, et al: NEJM (online) vom 14. April 2016

2. de Fatima Vasco Aragao M, et al: BMJ 2016;353:i1091

3. D’Ortenzio E, et al: NEJM (online) 14. April 2016

 

Kommentar

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