HOPE-3-Studie: Antihypertensiva zur Primärprävention – lohnen nur bei wirklich erhöhtem Blutdruck

aktualisiert am 21. April 2016

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

19. April 2016

Chicago – Im Blutdruckarm der HOPE-3-Studie (Heart Outcomes Prevention Evaluation) – vorgestellt beim ACC-Kongress in Chicago und zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert (wie Medscape Deutschland berichtete) – senkte die Behandlung mit den Antihypertensiva Candesartan (16 mg/Tag) plus Hydrochlorothiazid (12,5 mg/Tag) das Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse nicht [1]. Behandelt worden waren Patienten in der Primärprävention mit mittlerem kardiovaskulärem Risiko und durchschnittlichen Blutdruckwerten (im Mittel 138,1/81,9 mmHg).

„Nach HOPE-3 erweist sich also eine unspezifische moderate Blutdrucksenkung ohne Berücksichtigung des Ausgangsblutdrucks zur Primärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse als ungeeignet“, bestätigt Prof. Dr. Reinhold Kreutz, Professor für Hypertensiologie und Klinische Pharmakologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin im Gespräch mit Medscape. Und sieht damit die deutschen und europäischen Leitlinien zur Blutdruck senkenden Therapie bestätigt: „Die aktuelle Empfehlung der DHL/DGK- und der ESH/ESC-Leitlinien – Klasse-3-Evidenzgrad-A-Empfehlung – von einer medikamentösen Behandlung zur Blutdrucksenkung bei hochnormalem Blutdruck abzuraten, wird durch HOPE-3 erneut bestätigt.“

Statine in der Primärprävention: Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinkt um ein Viertel

Andererseits gelang es im Cholesterin-Arm der Studie durch ein Statin in der Primärprävention das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 25% reduzieren. Und: Die antihypertensive Therapie nutzte zumindest der vordefinierten Subgruppe von Patienten mit Blutdruckwerten im oberen Drittel – und diese Teilnehmer profitieren von der Kombination aus Statin und Antihypertensivum mit einer bis zu 40%igen Risikoreduktion.

„Für keines der Arzneimittel, das in der Studie zur Blutdrucksenkung eingesetzt wurde, konnte bisher in derart niedriger Dosierung eine Reduktion des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse gezeigt werden. Wären höhere Dosierungen verwendet worden, wäre das kardiovaskuläre Risiko möglicherweise signifikant verringert worden“, kommentieren Prof. Dr. William Chandler Cushman, Veterans Affairs Medical Center, Memphis, und Prof. Dr. David C. Goff, Colorado School of Public Health, Aurora, die Ergebnisse im begleitenden NEJM-Editorial [2].

 
Nach HOPE-3 erweist sich also eine unspezifische moderate Blutdruck-senkung ohne Berücksichtigung des Ausgangs-blutdrucks zur Primärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse als ungeeignet. Prof. Dr. Reinhold Kreutz
 

Aber: „Diese Ergebnisse können dabei helfen, um den durchschnittlichen systolischen Blutdruck (< 140 mmHg) und das durchschnittliche kardiovaskuläre Risiko (5%) zu definieren, unter denen eine Blutdrucksenkung über kurze Zeiträume nicht hilfreich sein dürfte“, so ihr Fazit. Allerdings könne man nicht ausschließen, dass ein Teil dieser Gruppe mit niedrigem Risiko von einer länger dauernden Therapie mit Antihypertensiva (medianes Follow-up in HOPE-3 waren 5,6 Jahre) profitieren würde.

Praxisfernes Studiendesign

Dem Einwand des fehlenden Nachweises für die niedrige Dosierung von Candesartan und Hydrocholorthiazid lässt sich nach Ansicht von Kreutz einerseits zustimmen: „Andererseits wissen wir aus Meta-Analysen, dass das Ausmaß der Blutdrucksenkung per se primär entscheidend ist für die Risikoreduktion. In diesem Zusammenhang weisen die Editorialisten schon auf den vermutlich entscheidenden Grund für den fehlenden Effekt in der Gesamtpopulation von HOPE-3 hin. Bei den Patienten ohne Hypertonie, war das durchschnittliche kardiovaskuläre Risiko mit etwa 5% zu gering, um mit der erreichten moderaten Blutdrucksenkung von 6/3 mmHg einen Benefit zu erzielen.“

Kreutz weist weiter darauf hin, dass es für die Interpretation und Bewertung der HOPE-3 Studie wichtig sei, sich den der Studie zugrunde liegenden Forschungsansatz zu vergegenwärtigen: „Dieser besteht in der Entwicklung einer Polypille zum möglichen globalen (weltweiten) Einsatz vor allem in der Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse. Vor diesem Hintergrund ist auch das ungewöhnliche und praxisferne Studiendesign, im Hinblick auf die blutdrucksenkende Therapie zu verstehen.“

In der HOPE-3 waren Frauen ab 65 Jahren und Männer ab 55 Jahren eingeschlossen, die zusätzlich mindestens einen weiteren Risikofaktor hatten, wie ein Taille/Hüft-Verhältnis von mindestens 0,90 (Männer) oder 0,85 (Frauen), die Raucher waren, ein niedriges HDL-Cholesterin, leicht erhöhte Blutzuckerwerte, eine Nierenfunktionsstörung oder eine positive Familienanamnese für eine kardiovaskuläre Erkrankung hatten. Frauen mit 2 Risikofaktoren konnten bereits ab einem Alter von 60 Jahren aufgenommen werden. Der mittlere Blutdruck der Teilnehmer lag bei Studieneinschluss bei 138,1/81,9 mmHg.

Kreutz zu den Einschlusskriterien: „In HOPE-3 wurden die Patienten unabhängig vom Ausgangsblutdruck eingeschlossen und ausschließlich nach dem individuellen kardiovaskulären Risiko anhand von vordefinierten Blutdruck-unabhängigen Risikofaktoren ausgewählt. Nur gut ein Drittel der Patienten wiesen eine Hypertonie auf. In der klinischen Praxis würde man allerdings – im Einklang mit aktuellen Therapieempfehlungen der Deutschen Hochdruckliga – Patienten ohne Hypertonie und unabhängig vom aktuellen Blutdruck nicht medikamentös blutdrucksenkend behandeln.“

In der HOPE-3 erhielten 6.356 Patienten Candesartan/Hydrochlorothiazid und 6.349 Teilnehmer Placebo. 46,2% waren Frauen, nur 22% der Studienteilnehmer hatten bereits Antihypertensiva. Die Patienten wurden im Median 5,6 Jahre beobachtet. Der mittlere systolische Druck sank in der Antihypertensiva-Gruppe um im Schnitt 10,0 mmHg und in der Placebo-Gruppe um 4,0 mmHg, der Unterschied betrug also nur 6,0 mmHg. Ähnlich verhielt es sich mit dem diastolischen Druck, er nahm um 5,7 bzw. 2,7 mmHg ab, der Unterschied betrug also nur 3,0 mmHg.

Der erste koprimäre Endpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod, nichttödlicher Herzinfarkt oder Schlaganfall) trat bei 260 Patienten (4,1%) der Antihypertensiva-Gruppe und bei 279 Patienten (4,4%) der Placebo-Gruppe auf, was eine Hazard-Ratio von 0,93 (p = 0,40) bedeutete.

Der zweite koprimäre Endpunkt (zusätzlich Wiederbelebung nach Herzstillstand, Herzinsuffizienz und Revaskularisationsmaßnahme) war ebenfalls nicht unterschiedlich zwischen den beiden Gruppen. Er trat bei 312 Teilnehmern (4,9%) der Antihypertensiva-Gruppe und bei 328 Teilnehmern (5,2%) unter Placebo auf (HR: 0,95; p = 0,51).

Ergebnisse bestätigen die Empfehlungen der Deutschen Hochdruckliga

„Die aktuellen HOPE-3 Ergebnisse bestätigen die von der Deutschen Hochdruckliga empfohlene Vorgehensweise, weil in der Gesamtkohorte als auch in der vordefinierten Subgruppen-Analyse bei zwei Drittel der Patienten mit systolischen Blutdruckwerten im unteren und mittleren Drittel der Studienpopulation, die letztlich normotone systolische Werte unter 140 mmHg aufwiesen, kein Vorteil der blutdrucksenkenden Intervention im Vergleich zu Placebo nachweisbar war. Im Gegensatz dazu zeigten die Daten für die Gruppe der Patienten mit systolischen Blutdruckwerten im oberen Drittel der Studienpopulation, also über 143,5 mmHg, und damit für Patienten mit Hypertonie, eine signifikante Risikoreduktion für beide kardiovaskulären koprimären Endpunkte. Diese hypertensiven Patienten in HOPE-3 profitieren in ähnlicher Weise von der blutdrucksenkenden Therapie und der LDL-Cholesterinsenkung im Statin-Arm der Studie mit einer relativen Risikoreduktion für den zweiten koprimären Endpunkt um 24 und 20 Prozent“, betont Kreutz.

 
In der klinischen Praxis würde man … Patienten ohne Hypertonie … nicht medikamentös blutdrucksenkend behandeln. Prof. Dr. Reinhold Kreutz
 

Bei Behandlung mit Antihypertensiva wurde außerdem ein leicht erhöhtes Risiko für eine symptomatische Hypotonie, von Schwindel und Benommenheit beobachtet. Synkopen, Nierenfunktionsstörungen oder andere unerwünschte Wirkungen waren jedoch nicht häufiger.

„Unsere Befunde widersprechen der ‚Je niedriger desto besser‘-Hypothese, die aus epidemiologischen Studien abgeleitet wurde. Sie unterstützen das Konzept, das in dieser Population für kardiovaskuläre Ereignisse – im Gegensatz zum Schlaganfall – ein J-Kurven-Phänomen vorliegt“, so die Autoren.

Die Feststellung, dass „Je niedriger desto besser“ im Gegensatz zur LDL-Cholesterinsenkung für die Blutdruckeinstellung offenbar nicht zutrifft ist nach Aussage von Kreutz aber nicht wirklich neu. „Frühe Befunde für ein J-Kurvenphänomen bei Hypertonikern mit koronarer Herzkrankheit wurden bereits 1991 in der Framingham Heart Study berichtet. Wir müssen also differenzieren zwischen der epidemiologischen Beobachtung einer kontinuierlichen Risikosteigerung mit zunehmendem Blutdruck ab einem systolischen Wert von 115 mmHg sowie diastolischem Wert von 75 mmHg und dem in klinischen Studien nachgewiesenen Nutzen einer medikamentösen Blutdrucksenkung. Dies betrifft insbesondere die Blutdrucksenkung bei Patienten mit jahrelang vorbestehender Hypertonie, mit koronarer Herzkrankheit und bei älteren fragilen Patienten, bei denen eine zu starke Senkung des Blutdrucks z.B. unter 120/75 mmHg sogar nachteilig sein kann.“

 
Unsere Befunde widersprechen der ‚Je niedriger desto besser‘-Hypothese, die aus epidemiologischen Studien abgeleitet wurde. Dr. Eva M. Lonn und Kollegen
 

Kreutz weiter: „Vor diesem Hintergrund ist die Beobachtung eines tendenziell höheren Risikos bei den noch normotensiven Patienten mit systolischen Werten im unteren Drittel (≤ 131,5 mm Hg) in HOPE-3 bedeutsam, weil bei diesen Patienten durch die aktive Blutdrucksenkung mit der Kombinationstherapie im Vergleich zu Placebo ein tendenziell höheres Risiko für den ersten und zweiten koprimären Endpunkt beobachtet wurde mit einer Hazard Ratio von 1,16 (0,82-1,63) bzw. 1,25 (0,92-1,70).“

Sein Fazit lautet deshalb: „Der Blutdruckarm aus HOPE-3 liefert insgesamt keine wesentlichen neuen Aspekte, die zu Änderungen der praktischen medikamentösen Behandlung der Hypertonie gegenüber den aktuellen Therapieempfehlungen führen sollten.“

 

Polypille nach Ansicht der DHL gescheitert

Die Ergebnisse der HOPE-3-Studie sind nach Meinung der DHL der Beleg dafür, dass die Idee der Polypille gescheitert ist, da nicht alle ältere Menschen Blutdrucksenker benötigten. Laut einer Pressemitteilung vom 20. April sind die Studienergebnisse „nicht überraschend“. „Seit langem steht fest, dass eine Senkung des Blutdrucks nur bei erhöhten Werten sinnvoll ist“, unterstreicht Prof. Dr. Martin Hausberg, Vorstandsvorsitzender der DHL. 

 

REFERENZEN:

1. Lonn EM, et al: NEJM (online) 2. April 2016

2. Cushman WC: NEJM (online) 2. April 2016

 

Kommentar

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