Der GLP-1-Agonist Liraglutid (Victoza®) ist bereits seit 2009 in Kombination mit anderen Antidiabetika zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen. Aber auch bei übergewichtigen oder adipösen Typ-1-Diabetikern scheint sich diese Therapie positiv auf die Blutzuckerkontrolle und das Gewicht auszuwirken. Das zeigt eine kürzlich in der Zeitschrift Diabetes Care veröffentlichte Studie [1]. Die zusätzlich mit Liraglutid behandelten Patienten wiesen dosisabhängig u.a. moderat verringerte Blutzuckerspiegel auf, verloren an Gewicht und konnten die tägliche Insulindosis geringfügig reduzieren.
Vorschnell aufgegeben?
Mit insgesamt 72 randomisierten Patienten handelt es sich um die bisher umfangreichste Untersuchung zur Wirksamkeit des Inkretin-Mimetikums bei Typ-1-Diabetes. Finanziert wurde die Studie vom Liraglutid-Hersteller Novo Nordisk. Das dänische Pharmaunternehmen hat schon zuvor 2 randomisierte Untersuchungen gesponsert, in denen sich Liraglutid in Bezug auf die Reduktion der HbA1c-Werte als zu wenig wirksam erwies.

Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Deshalb habe Novo Nordisk inzwischen die Forschung in dem Bereich eingestellt, schreiben Dr. Nitesh D. Kuhadiya von der State University of New York in Buffalo und seine Kollegen in ihrer aktuellen Publikation. War das möglicherweise zu voreilig?
Die Wissenschaftler um Kuhadiya zeigen sich jedenfalls von der Relevanz ihrer neuen Resultate überzeugt: „Unsere Untersuchung ebnet den Weg für größere klinische Studien“, halten sie fest. Künftige Studien sollten sich jedoch auf übergewichtige und adipöse Typ-1-Diabetiker konzentrieren und einen zusammengesetzten Endpunkt ansetzen, der neben dem HbA1c-Wert auch das Körpergewicht, die Insulindosis und die Häufigkeit der Hypoglykämien berücksichtigt. Zudem sollten die Kosten der zusätzlichen Therapie gegenüber den Vorteilen genau abgewogen werden.
Auf Nachfrage von Medscape Deutschland äußert sich Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Stellvertretender Ärztlicher Direktor an der Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Tübingen, ähnlich. „Die Ergebnisse rechtfertigen die weitere Erforschung des Therapieansatzes“, sagt er. Das Gros der Patienten sei zwar mit der intensivierten Insulintherapie gut eingestellt. Angesichts des steigenden Anteils adipöser Patienten unter den Typ-1-Diabetikern seien gemischte Therapieansätze aber von zunehmendem Interesse.
Drei Monate, drei verschiedene Liraglutid-Dosierungen
Kuhadiya und seine Kollegen verglichen in ihrer randomisiert-kontrollierten, doppelblinden Phase-4-Studie die Effekte von 3 verschiedenen Liraglutid-Dosierungen (0,6 mg; 1,2 mg; 1,8 mg) gegenüber einem Placebo (jeweils als Add-on zum Insulin).
72 übergewichtige oder adipöse Patienten mit Typ-1-Diabetes (C-Peptid-Nüchternwert < 0,1 nmol/l, HbA1c ≤ 8,5%) wurden in die 12-wöchige Studie eingeschlossen (jeweils 18 Teilnehmer pro Untersuchungsgruppe). Die Probanden nutzten entweder eine Insulinpumpe oder injizierten sich seit mehr als 12 Monaten mindestens 4-mal täglich Insulin. Zusätzlich zur Selbstmessung der Plasmaglukose wurde bei allen Patienten der Blutzuckerverlauf mittels CGM (Continuous Glucose Monitoring) überprüft.
Als primären Endpunkt hatten die Wissenschaftler die Differenz zwischen dem mittleren wöchentlichen Blutzuckerwert zu Beginn der Studie und nach 12 Wochen definiert. Außerdem dokumentierten sie Auswirkungen u.a. auf die mittleren HbA1c-Werte, die Insulindosen, das Körpergewicht, die Kohlenhydrataufnahme, postprandiale Glucagon-Werte und wie lange die Patienten bestimmte Blutzuckerspiegel (68-159, 159-240, 240-401, 55-70 und < 55 mg/dl) aufwiesen.
Reduzierte Blutzuckerwerte, Gewichtsverlust und geringere Insulindosen
Effekte zeigten sich am Ende vor allem in den Gruppen, die Liraglutid in den höheren Dosierungen (1,2 mg und 1,8 mg) injizierten. So sank bei diesen Patienten der mittlere wöchentliche Blutzuckerwert innerhalb von 3 Monaten um jeweils 10 mg/dl (p < 0,0001). Bei Teilnehmern, die ein Placebo oder 0,6 mg Liraglutid spritzten, blieb dieser Parameter dagegen unverändert.
Begleitet wurden die reduzierten Blutzuckerwerte bei den höher dosierten Patientengruppen von signifikanten Gewichtsverlusten um im Schnitt 5 kg und von einer um 30% reduzierten Kohlenhydrataufnahme. Insgesamt verloren 89% der mit Liraglutid behandelten Teilnehmer an Gewicht; darunter auch Probanden der 0,6-mg-Gruppe (-3 kg; p = 0,006). Kein Gewichtsverlust wurde dagegen in der Placebogruppe verzeichnet.
In der 1,2-mg- und 1,8-mg-Gruppe war zudem der postprandiale Glucagon-Anstieg am Ende des 3-monatigen Studienzeitraums weniger stark als zu Studienbeginn: In der 1,2-mg-Liraglutid-Gruppe stieg das Glucagon nach einer Mahlzeit um 47% weniger an und in der 1,8-mg-Liraglutid-Gruppe fiel der Glucagon-Anstieg 72% geringer aus. Auch die hyperglykämischen Zeitspannen – die Zeiten, in denen die Patienten Blutzuckerwerte zwischen 159 und 240 mg/dl aufwiesen – reduzierten sich um 3-4%. Außerdem verringerten sich bei diesen Probanden die täglichen Insulindosen, z.B. postprandial um 6,1 (1,2 mg Liraglutid) bzw. 8,2 Einheiten (1,8 mg Liraglutid).
Uneinheitliche Ergebnisse zum HbA1c
Bei den HbA1c-Werten waren die Ergebnisse allerdings nicht einheitlich. Ein signifikanter Unterschied zur Placebogruppe zeigte sich nur in der Gruppe, die täglich 1,2 mg Liraglutid spritzte. Hier sank der mittlere HbA1c -Wert um 0,78%. Die Wissenschaftler vermuten, dass dies mit dem höheren mittleren Ausgangswert in dieser Patientengruppe zusammenhängt, zumal sie eine deutliche Korrelation zwischen dem Basiswert und HbA1c-Veränderungen im Studienzeitraum errechnen konnten.
Mehr Gemeinsamkeiten zeigten sich in den Liraglutid-Gruppen dann wieder bei der Rate unerwünschter Nebenwirkungen. So berichteten insgesamt 65% der Probanden unter Liraglutid-Therapie von Übelkeit. Bei 11 Patienten in der 0,6-mg-Gruppe, 10 in der 1,2-mg-Gruppe und 9 Patienten in der 1,8-mg-Gruppe war die Übelkeit allerdings nur vorübergehend. Weitere 5 Probanden aus diesen Gruppen brachen die Studie jedoch wegen anhaltenden Brechreizes ab. In der Placebogruppe litten 3 Patienten zeitweilig an Übelkeit, einen Studienabbruch hatte dies bei ihnen nicht zur Folge.
Die im hypoglykämischen Bereich (< 68 mg/dl und < 55 mg/dl) verbrachte Zeit verlängerte sich bei den Patienten, die den GLP-1-Agonisten in einer Dosierung von 1,2 mg oder 1,8 mg injizierten, um jeweils 1%. Hospitalisierungen oder Notfallmaßnahmen zog dies nicht nach sich.
Wie lohnenswert ist weitere Forschung?
Bei Typ-2-Diabetikern wird die Wirkung des Inkretin-Mimetikums vor allem auf die GLP-1-vermittelte Stimulation der Insulinfreisetzung aus den Beta-Zellen zurückgeführt. Worauf die Effekte von Liraglutid bei Typ-1-Diabetikern, bei denen die Beta-Zellen zerstört sind, beruht, ist noch nicht geklärt. Bekannt ist allerdings – und das wurde auch in der vorliegenden Studie wieder gezeigt –, dass der GLP-1-Agonist auch den postprandialen Glucagon-Anstieg senkt. „Bei Typ-1-Diabetikern führt dieser Effekt zu einer Einsparung von kurz wirkenden Insulinen zu den Mahlzeiten“, erläutert Gallwitz.
Die Blutzuckerkontrolle könne aber auch durch das abgeschwächte Hungergefühl (eine Folge der verzögerten Magenentleerung unter Liraglutid) und die verringerte Kohlenhydrataufnahme verbessert worden sein, vermuten Kuhadiya und seine Kollegen. Und jüngere Untersuchungen mit dem GLP-1-Agonisten Exenatid deuteten darauf hin, dass die Wirkstoffgruppe die Insulinsensitivität verbessern könne, schreiben sie.
Es besteht also noch viel Forschungsbedarf. Als Fazit ihrer Untersuchung halten die Autoren um Kuhadiya aber schon einmal fest: „Die beiden höheren Liraglutid-Dosierungen können verschiedene Indizes der Blutzuckerkontrolle verbessern, reduzieren den postprandialen Glucagonanstieg, die tägliche Insulindosis, die Kohlenhydrataufnahme und das Körpergewicht.“ Ihrer Ansicht nach haben sich die Türen für weitere Studien deshalb noch nicht geschlossen.
REFERENZEN:
1. Kuhadiya ND, et al: Diabetes Care (online) 5. April 2016
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Studie: GLP-1-Agonist Liraglutid senkt auch bei übergewichtigen Typ-1-Diabetikern Blutzucker und Körpergewicht - Medscape - 19. Apr 2016.
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