Dämpfer für DAA-Hype: Bei Interferon-freier HCV-Therapie kehrt bei einem Drittel der Patienten der Leberkrebs zurück

Andrea Warpakowski

Interessenkonflikte

18. April 2016

Barcelona – Interferon-freie Therapien mit direkt antiviral wirksamen Substanzen (Direct Acting Antivirals, DAA) haben die Behandlung chronischer Infektionen mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) revolutioniert: Mehr als 90% der mit DAA behandelten Patienten können damit von HCV geheilt werden.

Prof. Stefano Brillanti

Doch 2 Studien aus Italien und Spanien sind unabhängig voneinander zu einem beunruhigenden Ergebnis gekommen: Für HCV-Patienten, die die DAA-Therapie nach einem erfolgreich behandelten hepatozellulären Karzinom (HCC) erhalten, scheint das Fehlen des immunstimulierenden Interferons ein Nachteil zu sein. Ein Drittel von ihnen erlitt in den beiden Untersuchungen kurz nach Ende der DAA-Therapie ein Rezidiv des HCC.

Schnelles HCC-Rezidiv nach HCV-Heilung

Grundsätzlich sei die Heilung der HCV-Infektion mit einer Verringerung des HCC-Risikos assoziiert, betonte Prof. Stefano Brillanti, Universität Bologna, Italien, beim International Liver Congress in Barcelona [1]. Doch bei Patienten mit einer Leberzirrhose bleibe das HCC-Risiko auch nach einer Heilung erhöht. Brillanti und seine Kollegen untersuchten deshalb retrospektiv den Effekt einer Interferon-freien Therapie mit DAA bei zirrhotischen HCV-Patienten. Sie werteten die Krankenakten von insgesamt 344 HIV-negativen HCV-Patienten mit Zirrhose und ohne aktives HCC aus [2].

Die Patienten waren median 63 Jahre alt und 60% waren Männer. Am häufigsten waren sie mit dem HCV-Genotyp 1 infiziert (n=237), gefolgt vom Genotyp 4 (n=29), Genotyp 2 (n=40) und Genotyp 3 (n=38). 153 Patienten hatten zuvor noch keine HCV-Therapie erhalten, 191 waren vorbehandelt. Die meisten Patienten (n=305) hatten eine Zirrhose im Child-Pugh-Stadium A (geringster Schweregrad), 39 Patienten erfüllten die Kriterien für das Child-Pugh-Stadium B (mittlerer Schweregrad).

 
Wir waren überrascht, dass innerhalb einer so kurzen Zeit nach Ausheilung der chronischen HCV-Infektion bei so vielen Patienten wieder ein HCC auftrat. Prof. Stefano Brillanti
 

Abhängig von der Verfügbarkeit erhielten die Patienten folgende DAA-Regime: Sofosbuvir und Simeprevir (34%), Ombitasvir/Paritaprevir/Ritonavir plus Dasabuvir 3D (22%), Sofosbuvir und Ribavirin (17%), Sofosbuvir und Daclatasvir (16%) sowie Sofosbuvir und Ledipasvir (10%). Ein HCC wurde durch den Vergleich der Ultraschall- und MRT/CT-Befunde zu Therapiebeginn und 6 Monate nach DAA-Therapieende diagnostiziert.

Insgesamt 89% der Patienten erreichten ein anhaltendes virologisches Ansprechen (sustained virological response, SVR) 12 Wochen nach Ende der DAA-Therapie (SVR12), das einer Heilung entspricht. 24 Wochen nach Ende der Therapie wurde bei 26 Patienten (7,6%) ein aktives HCC nachgewiesen – nach den Worten von Brillanti eine unerwartet hohe HCC-Rate, denn normal sei eine Rate von 2-3% pro Jahr.

 
(Es) steht schon jetzt fest, dass wir HCV-Patienten mit Zirrhose nach einer interferon-freien Therapie gut überwachen müssen. Prof. Stefano Brillanti
 

Hauptrisikofaktor: HCC in der Vorgeschichte

Als Hauptrisikofaktor identifizierten die Wissenschaftler ein HCC in der Vorgeschichte: Von den 59 Patienten mit einem zuvor erfolgreich behandelten HCC wurde bei 17 Patienten (29%) erneut ein HCC diagnostiziert. Bei den 276 Patienten, die noch nie ein HCC hatten, entwickelte sich nach der DAA-Therapie nur bei 3,2% eines.

Brillanti wies daraufhin, dass die Art der Therapie, der HCV-Genotyp und das Ansprechen keinen Einfluss auf die HCC-Rate hatten. Als weiteren Risikofaktor nannte er eine fortgeschrittene Lebererkrankung, charakterisiert durch den Child Pugh-Score B, vermehrte Steifigkeit der Leber (Schwellenwert >21,2 kPa) und eine geringere Thrombozytenzahl (durchschnittlich 100.000/m3).

„Wir waren überrascht, dass innerhalb einer so kurzen Zeit nach Ausheilung der chronischen HCV-Infektion bei so vielen Patienten wieder ein HCC auftrat“, sagte Brillanti. „Auch wenn wir dieses Ergebnis noch weiter untersuchen müssen, steht schon jetzt fest, dass wir HCV-Patienten mit Zirrhose nach einer interferon-freien Therapie gut überwachen müssen.“

Höhere HCC-Rate durch zweite Studie bestätigt

In einer weiteren Studie untersuchten spanische Wissenschaftler 103 HCV-Patienten mit vorangegangenem, erfolgreich behandeltem HCC, die eine DAA-Therapie erhielten [3]. 59 Patienten erfüllten die Einschlusskriterien (u. a. kein Interferon im Therapieregime), und wurden median 5,7 Monate nachbeobachtet.

3 Patienten starben während des Follow-up und bei 16 Patienten (27,6%) konnte ein radiologisch gesichertes HCC nachgewiesen werden: bei 3 Patienten ein intrahepatisches Wachstum, bei 9 Patienten eine neue intrahepatische Läsion und bei 3 Patienten ein infiltrierendes, nicht abgrenzbares HCC und/oder extrahepatische Läsionen. Die Zeit zwischen der antiviralen Therapie mit DAA und dem Wiederauftreten des Tumors betrug im Median nur 3,5 Monate.

 
Diese Studie zeigt eine unerwartet hohe Rate und ein unerwartetes Muster an wiederauftretenden Leberkarzinomen. Prof. Laurent Castera
 

„Diese Studie zeigt eine unerwartet hohe Rate und ein unerwartetes Muster an wiederauftretenden Leberkarzinomen”, kommentierte Prof. Laurent Castera, Sekretär der European Association for the Study of the Liver (EASL) die Daten. „Auch wenn die Patientenkohorte relativ klein ist, bestätigen diese Ergebnisse aus Spanien die italienische Studie. Wir sollten dieses Signal beachten und in einer größeren Studie den Pathomechanismus untersuchen, insbesondere den zugrundeliegenden Mechanismus der Reaktivierung des Tumors.”

Wie geht es jetzt weiter?

Eventuell schwächten die antiviralen Substanzen das Immunsystem, weshalb die Tumorzellen in der Leber wieder wachsen könnten, spekulierte Castera. Brillanti und Castera waren sich einig, dass es noch viel zu früh sei, die DAAs alleine für das Wiederauftreten der HCCs verantwortlich zu machen.

Für die europäische Arzneimittelbehörde EMA sind die Daten aber Grund genug, sich dieses neu entdeckte Risiko für HCC-Rezidive im Rahmen einer bereits laufenden Sicherheitsüberprüfung der DAAs genauer anzuschauen (wie Medscape berichtete).

 

REFERENZEN:

1. The International Liver Congress (ILC) 2016; 13. bis 17. April 2016, Barcelona

2. Buonfiglioli F et al. ILC 2016; J Hepatology 2016; suppl 2, 64:S218; Abstract LPB506

3. Reig M et al. J Hepatology (online) 14. April 2016

 

Kommentar

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