Die Dosis macht den Schutz: Mehr Ejakulationen, weniger Prostatakrebs

Nick Mulcahy

Interessenkonflikte

18. April 2016

Auf dem letzten Jahrestreffen der American Urological Association (AUA) sorgte eine Studie über Ejakulationsfrequenzen und Prostatakarzinome für Aufsehen. Ende März wurde sie nun in der Zeitschrift European Urology veröffentlicht [1].

Die Publikation verspricht einen genaueren Blick auf die Kernaussage, nach der ein Mann sein Prostatakarzinomrisiko durch häufigere Ejakulationen senken kann. Die Autoren unter Leitung von Dr. Jennifer Rider, Epidemiologin an der Boston University School of Public Health mit Schwerpunkt Onkologie, schreiben: „Diese groß angelegte prospektive Studie ist aktuell der eindeutigste Hinweis für den präventiven Einfluss der Ejakulation auf die Entstehung von Prostatakarzinomen.“

Allerdings warnt eine andere Expertin vor allzu schnellen Schlussfolgerungen. Dr. Janet Stanford vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, USA, die zum Prostatakarzinom forscht, jedoch an der Studie nicht beteiligt war, äußert sich zu den Ergebnissen: „Eine Korrelation ist noch keine Kausalität und man sollte mit Deutungen vorsichtig sein.“

Die Daten wurden in der prospektiven Health Professionals Follow-up-Studie an 31.925 Männern erhoben, die von 1992 bis 2010 beobachtet worden waren. Das Durschnittsalter der Männer lag 1992 bei 59 Jahren.Während der Verlaufsbeobachtung über 18 Jahre wurde bei 3.839 Männern ein Prostatakarzinom diagnostiziert, 364 starben daran.

 
Diese … Studie ist aktuell der eindeutigste Hinweis für den präventiven Einfluss der Ejakulation auf die Entstehung von Prostatakarzinomen. Dr. Jennifer Rider
 

In einem Fragebogen von 1992 wurden die Männer gebeten, ihre durchschnittliche monatliche Ejakulationsfrequenz für 3 Zeitperioden anzugeben: 20 bis 29 Jahre, 40 bis 49 Jahre sowie im Jahr vor dem Eintritt in die Studie.

Dosis-Wirkungs-Beziehung erkennbar

Nach Anpassung der Ergebnisse um potenzielle Störfaktoren lag das relative Risiko für ein Prostatakarzinom bei Männern mit einer Ejakulationsfrequenz von mindestens 21/Monat etwa 20% niedriger als bei Männern, die nur auf 4 bis 7 Ejakulationen pro Monat kamen. Nur wenige Männer hatten 0 bis 3 Ejakulationen monatlich angegeben, sodass die Gruppe mit einer Frequenz von 4 bis 7 als Referenzgruppe galt. Bei der sehr hohen Ejakulationsfrequenz war die Risikominderung in allen 3 Zeitperioden erkennbar (p < 0,0001 für alle).

Nachdem die Ergebnisse erstmalig auf dem AUA-Meeting vorgestellt worden waren, hatten sie ein großes Echo in der Presse, wie Rider berichtete. Aber in einigen dieser Pressemeldungen lag das Hauptaugenmerk auf den Männern, die wenigstens 21-mal monatlich ejakulierten. Zwar sei es zutreffend, dass die Risikominderung in der Gruppe mit hoher Ejakulationsfrequenz deutlicher ausgeprägt war als in der Gruppe mit niedrigerer Frequenz. Es gab jedoch auch eine signifikante Verringerung des relativen Risikos um 10% bei Männern, die zwischen 40 und 49 Jahren auf 8 bis 12 Ejakulationen kamen und ebenfalls von 20% bei Männern mit 13 bis 20 Ejakulationen in diesem Lebensabschnitt (p<0,0001).

Rider hatte daher schon im vergangenen Jahr in einem Medscape-Interview vor einer Überbewertung der Zahlen in der Gruppe mit hoher Ejakulationsfrequenz gewarnt. „Wir sollten uns nicht zu sehr mit der absoluten Zahl an Ejakulationen aufhalten, sondern eher auf die Dosis-Wirkungs-Beziehung schauen.“ Zusammenfassend sagte sie: „Sexuelle Aktivitäten sind gut für die Prostata.“

Bemerkenswerterweise bestand kein Zusammenhang zwischen der Ejakulationshäufigkeit und schweren, fortgeschrittenen oder tödlichen Krankheitsverläufen, was bisher nicht erklärt werden konnte.

Die Risikoverringerung in dieser Studie ist laut Rider und Stanford als „moderat“ einzustufen, und sie weisen auch darauf hin, dass in anderen Studien die sexuelle Aktivität selbst als möglicher Risikofaktor für die Entwicklung eines Prostatakarzinoms in Erscheinung trat.

Besonderheiten der Gruppe mit sehr häufigen Ejakulationen

 
Eine Korrelation ist noch keine Kausalität und man sollte mit Deutungen vorsichtig sein. Dr. Janet Stanford
 

Zu der Gruppe mit über 21 Ejakulationen sagte Rider gegenüber Medscape: „Dies ist eine sehr interessante Gruppe.“ Sie berichtete, dass die Männer in dieser Gruppe mehr Kalorien zu sich nahmen, mehr Alkohol tranken, sich häufiger sexuell übertragbare Erkrankungen wie Syphilis und Gonorrhö zuzogen und überdurchschnittlich oft Raucher oder ehemalige Raucher waren. Auch war bei ihnen ein PSA-Screening in der Vorgeschichte seltener durchgeführt worden.

All diese Faktoren irritierten die Wissenschaftler. Sie erklärten, dass einige Verhaltensmuster bei diesen Patienten eher mit einer höheren Morbidität und Mortalität verbunden seien, die jedoch andere Ursachen haben. „Wir machten uns Gedanken darüber, dass die statistische Verminderung des Prostatakarzinoms in dieser Gruppe auf ein vorzeitiges Ableben aus anderen Gründen zurückzuführen ist, wodurch es häufiger zu nicht diagnostizierten Prostatakarzinomen kommen könnte.“

Durch die Anwendung eines speziellen statistischen Verfahrens, dem Modell konkurrierender Risiken, konnten die Wissenschaftler jedoch feststellen, dass die geringe Quote an Prostatakarzinomen in dieser Gruppe offenbar nicht allein mit vorzeitigen Todesfällen anderer Genese erklärt werden konnte.

Änderung des Mikromilieus durch Ejakulationen?

Stanford zeigte sich von der Sorgfalt bei der Studie beeindruckt. „Es hat eine umfassende Analyse stattgefunden, und es wurden auch alternative Erklärungsversuche für die beobachteten Effekte herangezogen“, schreibt sie in einer E-Mail an Medscape. Sie bezeichnet die Studie als „qualitativ hochwertig“ und zeigte sich neugierig auf die möglicherweise in zukünftigen Untersuchungen zu entdeckenden Mechanismen.

 
Sexuelle Aktivitäten sind gut für die Prostata. Dr. Jennifer Rider
 

Die Studienautoren spekulieren darüber, welcher Mechanismus dahinterstecken könnte und bieten auch einen Erklärungsansatz: Die Prostata akkumuliert unter Umständen potenziell karzinogene Sekrete, die ein Prostatakarzinom begünstigen können. Diese Vorstellung existiere bereits seit Jahrzehnten, erklärt Rider (Prostate Stagnation Hypothesis). „Diese interessanten Ergebnisse sollten andere Forscherteams motivieren, den möglichen Veränderungen des Mikromilieus in der Prostata durch die Ejakulation nachzugehen.“

Diese Theorie hat auch ihre Entsprechung im Volksglauben. Als die Befunde im vergangenen Jahr publik wurden, kommentierte ein Medscape-Leser sie mit Hinweis auf den gesunden Menschenverstand und forderte seine männlichen Zeitgenossen dazu auf, „das Rohr immer gut durchzuspülen“.

Dieser Artikel wurde von Dr. Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

REFERENZEN:

1. Rider JR, et al: Eur Urol (online) 29. März 2016

 

Kommentar

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