Am Donnerstag hat der Bundestag das neue Antikorruptionsgesetz beschlossen [1]. Dr. Edgar Franke (SPD), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses sagte im Vorfeld der Entscheidung zu Medscape: „Das Gesetz bedeutet einen Paradigmenwechsel. Korruption im Gesundheitswesen ist nun erstmals strafbar, also kriminalisiert.“
Das Gesetz bedroht Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen mit Geldstrafen oder mit bis zu 3, in schweren Fällen sogar bis zu 5 Jahren Haft. Der Bundesgerichtshof hatte bereits 2012 auf eine Gesetzeslücke verwiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass Niedergelassene keine Angestellten der Krankenkassen sind – und deshalb bei der gegenwärtigen Gesetzeslage auch nicht wegen Korruption belangt werden können. Nun also ist der Gesetzgeber aktiv geworden, um die Lücke zu schließen.
Sollten zukünftig etwa Pharmaunternehmen Ärzten Geld zahlen, damit sie bestimmten Medikamente verordnen, oder sollten Physiotherapeuten Kopfprämien zahlen, damit ein Hausarzt seine Patienten zu ihnen schickt – dann greift das Strafrecht.
Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen nun Offizialdelikte
Die neue Regelung gilt für alle Mitglieder von Gesundheitsberufen, also Physiotherapeuten, Logopäden und weitere Therapeuten, Ärzte in Kliniken, Privatärzte und Niedergelassene, kurz: alle Heilberufler. „Für die Niedergelassenen waren Fragen der Korruption im SGB V geregelt, also im Sozialrecht, für angestellte Krankenhausärzte im Paragraf 299 StGB und für Privatärzte überhaupt nicht“, erklärt Franke.
Nun wird der neue Strafbestand im § 299a und b StGB geregelt. Franke: „Wir mussten das im Strafrecht regeln, damit alle gleich behandelt werden.“ Umstritten war bis zuletzt die Frage, wann eigentlich die Straftaten verfolgt werden. Schließlich hat der Rechtsausschuss des Bundestages beschlossen, dass Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen so genannte Offizialdelikte sind. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaften nicht auf Antrag aktiv werden, sondern ausschließlich von sich aus.
Lobbyisten am Werk?
Für die jetzige Lösung mussten Franke und sein Kollege, Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), bei ihren letzten Änderungsforderungen am Gesetzestext allerdings noch 2 Kröten schlucken und dem Koalitionspartner CDU/CSU nachgeben, wie Franke sagte. Es dreht sich dabei erstens darum, dass alle, die Medikamente oder Heil- und Hilfsmitteln abgeben, vom Zugriff des neuen Paragrafen verschont bleiben (Apotheker etwa sind also ausgenommen). Gleiches gilt, wenn Heilberufler gegen ihr Berufsrecht verstoßen.
Der AOK Bundesverband, Transparancy Deutschland und Patientenvertreter sehen darin keine Lappalien und kritisieren in diesen Punkten das Gesetz: Die Beeinflussung von Apothekern falle als Strafbestand nun unter den Tisch, bemängelte etwa Martin Litsch, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Meistens entscheide der Apotheker, welches Medikament der Patient erhalte und das dann von der Kasse bezahlt wird. „Die GKV gibt jährlich mehr als 35 Milliarden Euro für Arzneimittel aus“, so Litsch. „deshalb ist das ein hochgradig korruptionsgefährdeter Bereich, der nun im Dunklen bleiben darf.“
Zudem fand die ursprünglich geplante Anbindung der Berufsordnungen nicht den Weg in den Gesetzestext. „Als besonders gravierend betrachten wir die ersatzlose Streichung des alternativen Tatbestandes ‚seine berufsrechtliche Pflicht zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit verletzen‘“, kritisiert etwa die Organisation „Mein Essen zahl ich selbst" (MEZIS). Das Berufsrecht schränke das Sponsoring von Fortbildungsveranstaltungen und der Annahme von geldwerten Vorteilen für die Teilnahme an einer Fortbildung ein, so MEZIS.
Die Anbindung des neuen Gesetzes an die Berufsordnung wurde mit dem Argument gestrichen, dass die Berufsordnungen von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden seien. Dadurch würden weiterhin „Beeinflussungen von Ärzten durch pharmagesponserte Kongresse, die Übernahme von Fahrtkosten, Teilnahmegebühren oder Essenseinladungen straffrei bleiben“, kritisiert MEZIS.
Mit der Regelung sei in der Tat ein „wichtiger Bestandteil des Gesetzes“ gestrichen worden, wie auch das Thema Anwendungsbeobachtungen (AWB) zeige, kritisiert Transparency Deutschland. Im Rahmen der AWB müssten Ärzte unterschreiben, dass sie Nebenwirkungen der Medikamente „nur an den Sponsor der AWB, nicht aber an die zuständige Arzneimittelbehörde“ melden, teilt Transparency in einer Stellungnahme mit.
„Damit wird in Anwendungsbeobachtungen regelmäßig gegen die ärztliche Berufsordnung verstoßen. Es wird der Eindruck erweckt, dass das Schweigen der Ärzte mit hohen Honoraren erkauft wird“, sagt Dr. Angela Selsberg, Leiterin der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen von Transparency Deutschland. Dabei sei die Meldung schwerer Nebenwirkungen an die Behörden in den Länder-Berufsordnungen vorgeschrieben. Da die Berufsordnungen nun nicht ans Gesetz gebunden wurden, werden Pharmahersteller und Ärzte weiterhin ungestraft ihre bedenklichen Verträge unterschreiben, so Transparency.
Auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, übt harsche Kritik: „Was zum Schutz der Patienten gedacht war, entpuppt sich jetzt als Wettbewerbsstärkungsgesetz für Pharmaunternehmen, Ärzte und Apotheker“, so Brysch auf Anfrage von Medscape Deutschland. „Patienten müssen weiter fürchten, korruptem Verhalten ausgeliefert zu sein.“
Franke indessen wertet das Gesetz trotzdem als „großen politischen Erfolg“, wie er zu Medscape sagt. Staatsanwaltschaften könnten Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen nun als strafrechtliches Vergehen leichter verfolgen.
REFERENZEN:
1. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen
Anti-Korruptionsgesetz fürs Gesundheitswesen: Ja, aber … – Verbände fordern konkretere Vorgaben
Von den Kassen begrüßt und den Ärzten kritisiert – das Antikorruptionsgesetz ist auf dem Weg
Korruption oder Kooperation? KBV will im neuen Gesetz deutlicher machen, was geht und was nicht
Schwammiges Anti-Korruptionsgesetz? Richterbund unterstützt Kritik der Bundesärztekammer
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Diesen Artikel so zitieren: „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ statt Patientenschutz? Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen sind jetzt strafbar - Medscape - 15. Apr 2016.
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