Mannheim – Wie wirksam und sicher schützt ein Vorhofohrverschluss vor Schlaganfällen? Antwort auf diese Frage lieferte eine Keynote-Session beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim [1].
Der Goldstandard zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern ist die orale Antikoagulation (OAK). Mit ihr lässt sich eine relative Risikoreduktion für zerebrovaskuläre Insulte und andere systemische Embolien von bis zu 70% und eine Mortalitätsreduktion von bis zu 30% erreichen. „Doch nur etwa die Hälfte der Patienten, die sie eigentlich bekommen sollten, nehmen tatsächlich Antikoagulanzien ein“, berichtete Prof. Dr. Horst Sievert, Leiter des CardioVasculären Centrums (CVC) in Frankfurt.
Zwar ist nach den Daten des Garfield-Registers „nur“ ein Drittel der Patienten nicht antikoaguliert, doch: „Dabei handelt es sich um Patienten, bei denen das Vorhofflimmern neu diagnostiziert wurde. Das heißt, am Anfang werden ungefähr 70 Prozent der Patienten antikoaguliert, aber 30 Prozent eben nicht“, erklärte Sievert.
Eine Arbeit von Dr. Jonathan Piccini und seinen Kollegen aus 2012 zeigt sogar: Je höher das Schlaganfallrisiko bzw. der CHADS-VASc-Score ist, desto weniger werden die Patienten antikoaguliert. „Das liegt daran, dass es sich um Patienten handelt, die hohe Blutungsrisiken aufweisen“, erklärte Sievert.
Entscheidend aber sei: Über den Zeitverlauf wird die Antikoagulation gestoppt, weil die Patienten Kontraindikationen entwickeln – wie eine Studie zeigt, die die Daten von Allgemeinmedizinern ausgewertet hatte. „Nach sechs Jahren werden nur noch 23 Prozent der Patienten antikoaguliert – und zwar unabhängig vom Alter“, kommentierte Sievert. In der klinischen Praxis funktioniere die langfristige Schlaganfall-Risikoreduktion nur bei wenigen Patienten.
90 Prozent der Thromben entstehen im linken Vorhofohr
Als mechanischer Schutz vor Blutgerinnseln und Schlaganfällen kommt dann der Verschluss des linken Vorhofohrs (LAA: „left atrial appendage“) infrage. „Bei 90 Prozent der Patienten mit Vorhofflimmern entstehen die Thromben im linken Vorhofohr“, berichtet Sievert. Damit sei der LAA-Verschluss eine kausale und lokale Therapie im Gegensatz zu einer symptomatischen und systemischen durch Antikoagulanzien. Allerdings wird der Pathomechanismus bei Vorhofflimmern durch den Vorhofohrverschluss nicht behoben.
Die PROTECT AF-Studie war die erste große Studie zur Effektivität des Watchman™-Implantats und konnte auch dessen Nicht-Unterlegenheit gegenüber Phenprocoumon beweisen. 707 Patienten wurden randomisiert. Die 4-Jahres-Daten überspannen einen Beobachtungszeitraum von 2.621 Patientenjahren und zeigten in der 463 Patienten umfassenden Implantat-Gruppe 39 Ereignisse (8,4%). Zu den schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen gehörten schwere Blutung, Perikarderguss und Implantat-Embolisation. In der Warfarin-Gruppe traten bei 244 Patienten insgesamt 34 Ereignisse (13,9%) auf. Umgerechnet auf 100 Patientenjahre entspricht dies 2,3 Ereignissen in der Implantat-Gruppe und 3,8 Ereignissen in der Warfarin-Gruppe.
Es zeigt sich ein kleiner signifikanter Unterschied zugunsten des perkutanen Verschlusses des linken Vorhofohres. Bezogen auf postoperative Komplikationen war der Vorhofohrverschluss der Medikation unterlegen, doch nach 4 Jahren glichen sich die Kurven an – „in der Kontrollgruppe traten weiterhin Blutungen auf“, so Sievert.
Seiner Ansicht nach ist heute der Vorhofohrverschluss sicherer und besser durchführbar als damals bei der PROTECT-AF-Studie. Wie die Daten des EWOLUTION-Registers zeigen, lag die Implantationserfolgsrate bei 98,5%, die Zahl der unerwünschten Ereignisse bei 2,8%. In PROTECT-AF hatte die Implantationserfolgsrate noch bei 90,9% gelegen (die Rate unerwünschter Ereignisse bei 8,7%). Im CAP-Register (Continued Access Registry), der Fortsetzung der PROTECT-AF-Studie, lag die Implantationserfolgsrate bereits bei 94,4% (Rate unerwünschter Ereignisse bei 4,1%). Offenbar spielt die Lernkurve der Implanteure eine wichtige Rolle.
Registerdaten zeigen ermutigende Ergebnisse bei Patienten mit OAK-Kontraindikationen
Wie EWOLUTION-Mitautor Prof. Dr. Martin W. Bergmann vom Cardiologicum Hamburg berichtete, wiesen die 1.025 aufgenommenen Patienten einen durchschnittlichen CHA2DS2-VASc-Score von 4,5±1,6 und einem HAS-BLED-Score von 2,3±1 auf. 61,8% der Patienten kamen nicht für eine orale Antikoagulation infrage. Bei 38,7% dieser Patienten zeigten sich schwerwiegende Blutungen oder die Veranlagung dazu. 15% der Patienten hatten zuvor einen hämorrhagischen Schlaganfall erlitten, 19,7% der Patienten einen ischämischen Schlaganfall.
Die Inzidenz schwerer unerwünschter Ereignisse innerhalb von 30 Tagen war unter den mit Okkluder versorgten Patienten signifikant geringer als unter den Patienten, die antikoaguliert wurden (6,5% vs 10,2%, p = 0,042). Periprozedurale Komplikationen hatten bislang den Nettobenefit des Eingriffs limitiert. Die Echtzeitresultate aus EWOLUTION heben deshalb die Rolle der LAA-Okklusion als Routinebehandlung für Patienten mit hohem Schlaganfallrisiko hervor, bei denen eine langfristige OAK nicht die ideale Behandlung ist, meinte Bergmann.
Weitere Okkluder in der Entwicklung
Mit einer Implantationserfolgsrate von 94,7% schnitt auch eine kleine Studie (n = 94, Durchschnittsalter 78 Jahre) mit dem Amplatzer™-Okkluder gut ab, wie PD Dr. Suzanne Fateh-Moghadam von der Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Tübingen berichtete. Die periprozedurale Komplikationsrate lag bei 2,1%. Der Verschluss des linken Vorhofohrs könnte eine gute Alternative für ältere Patienten mit einer gesicherten Kontraindikation für eine orale Antikoagulation sein, allerdings können schwerwiegende Nebenwirkungen (LAA-Perforation, Schlaganfälle) auftreten.
„Man sollte aber bedenken, dass diese Patienten, die nicht geeignet für eine Warfarin-Therapie sind, Patienten sind, die zu einer Hochrisikogruppe mit vielen Komorbiditäten zählen“, betonte Fateh-Moghadam.
Neben Watchman™ und Amplatzer™ gibt es inzwischen eine ganze Reihe von weiteren Okkludern, am bekanntesten und am besten untersucht dürfte aber der Watchman™-Okkluder sein. Einige Okkluder befinden sich noch in der Entwicklung, im Tierexperiment oder in klinischen Studien. Das LARIAT®-System arbeitet mit einem anderen Ansatz: Mittels epikardialer Ligation wird versucht, das Vorhofohr zu verschließen. Der Charme der Idee: Es verbleibt kein Metall im Körper.
Sievert hebt hervor, dass der Eingriff aufgrund der anatomischen Komplexität und Variabilität des linken Vorhofohrs nur in erfahrenen Zentren erfolgen sollte. Ein standardisiertes, postinterventionelles Antikoagulationsregime, auch mit dualer Plättchenhemmung, während der 3- bis 6-monatigen „Einheilungsphase“ nach Implantation wird inzwischen empfohlen.
Überzeugende Ergebnisse – jetzt müssen randomisierte Studien folgen
Vivek Reddy und seine Kollegen konnten in der ASAP(ASA Plavix Feasability) Studie zeigen, dass das Watchman™-Device auch bei Patienten mit OAK-Kontraindikation ebenso gute Ergebnisse erzielt wie in der PROTECT-AF- oder der CAP-Studie, in der diese Patientengruppe keine Berücksichtigung gefunden hatte. In der Implantat-Gruppe der ASAP-Studie konnte das relative Risiko, einen ischämischen Schlaganfall zu erleiden, um 77% gesenkt werden. Die Studiendauer betrug 14,4 Monate. Zur Risikostratifizierung kam der CHADS2-Score zum Einsatz. Die späten Langzeitergebnisse (über 6 Jahre) zeigen eine Senkung des relativen Risikos um 90%.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Apostolos Tzikas und seine Kollegen, die mit dem Multicenter Amplatzer Register diesen Okkluder untersucht hatten. Aufgenommen wurden 1.047 Patienten, die allerdings nicht randomisiert wurden. Die Implantationserfolgsrate lag bei 97,3%. Periprozedural traten 52 (4,97%) schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf. Das relative Risiko für einen ischämischen Insult sank um 59%, das Blutungsrisiko um 61%. „Überzeugende Ergebnisse – wir warten jetzt auf randomisierte Studien“, kommentierte Sievert.
Was sagen die Leitlinien?
Die ESC-Leitlinien zu Vorhofflimmern aus 2012 empfehlen die LAA-Okklusion für „Patienten, bei denen Antikoagulation kontraindiziert ist“, eine Klasse IIb-Empfehlung bei einem Evidenzgrad B. Im Konsensus-Statement von EHRA und EAPCI vom August 2014 geht man schon einen Schritt weiter, dort heißt es, dass Ärzte „ihre Patienten über die Möglichkeiten des Vorhofohrverschlusses informieren sollten.“ Dann sollte der Patient darüber aufgeklärt werden, dass die orale Antikoagulation der Goldstandard sei. Doch wenn der Patient das nicht wolle, sollte ein LAA-Verschluss erwogen werden.
In den Leitlinien der ESC und der European Association for Cardio-Thoracic-Surgery (EACTS) aus 2014 schließlich ist vermerkt: Der Vorhofohrverschluss sollte erwogen werden bei Patienten, die nach Stent-Implantation keine Triple-Therapie vertragen können, oder bei Patienten, denen man von vornherein keine Triple-Therapie verordnen kann. Und in den Stroke-Präventions-Leitlinien von AHA/ASA aus 2014 steht: „Der Vorhofverschluss kann überlegt oder erwogen werden bei Patienten, die nicht für eine Antikoagulation geeignet sind.
Generell betrachtet steht die derzeitige Praxis der klinischen Anwendung des Okkluders – nämlich Implantation bei Patienten mit absoluter oder relativer Kontraindikation für eine systemische orale Antikoagulation – noch nicht im Einklang mit der Datenlage: Denn PROTECT-AF wurde bei Patienten durchgeführt, die auch für eine OAK zur Verfügung standen, quasi wurde der Okkluder als Alternative zur medikamentösen Therapie getestet.
LAA als Alternative zu NOAK?
Und was ist mit der LAA als Alternative zu NOAK? „Die neuen oralen Antikoagulanzien sind besser als Marcumar® oder Warfarin, aber der Vorhofohrverschluss ist auch besser als Warfarin“, erinnerte Sievert. In der RE-LY-Studie hatte Dabigatran 2009 eine geringere Blutungsrate als Warfarin gezeigt (3,11% vs 3,36%), bei der ROCKET-AF-Studie unter Rivaroxaban lag die Rate bei 3,6 vs 3,4%, bei der ARISTOTLE-Studie, die Apixaban gegen Warfarin getestet hatte, bei 2,1 vs 3,0%.
Sievert betonte, dass NOAK nicht wesentlich besser als Phenprocoumon toleriert würden und verweist auf die Absetzraten, die in ROCKET bei 24% unter Rivaroxaban und bei 22% unter Warfarin lagen, in ARISTOTLE bei 25% (Apixaban) und 28% (Warfarin). „Die Absetzraten liegen immer um die 20 bis 25 Prozent – sowohl bei Marcumar® als auch bei NOAK“, stellte Sievert fest.
Er erinnerte daran, dass alle Antikoagulanzien lebenslang gegeben werden müssen, ein Blutungsrisiko mit sich bringen und dass dieses Blutungsrisiko mit dem Alter steige: „Und an irgendeinem Punkt im Lauf des Lebens muss die Antikoagulation bei allen Patienten gestoppt werden.“ Für die Praxis bedeute das: Für ältere Patienten seien Antikoagulanzien keine gute Alternative wegen des höheren Blutungsrisikos im Alter. Und bei jungen Patienten seien sie auch keine gute Alternative, weil diese Patienten länger antikoaguliert werden müssen, das Blutungsrisiko aber kumulativ sei.
Interessant wären randomisierte Studien, in denen NOAK gegen LAA-Verschluss getestet werden. „Allerdings ist es schwierig, solche Studien durchzuführen. Denn gegen welche NOAK soll randomisiert werden“, fragte Sievert. Vielleicht, so seine Idee, sollten zunächst die NOAK untereinander randomisiert und in Studien verglichen werden. Dann könne man das NOAK, das am besten abgeschnitten habe, herausgreifen und einen LAA-Verschluss gegen dieses testen.
REFERENZEN:
1. 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 30. März bis 2. April 2016, Mannheim
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Vorhofohrverschluss zur Prävention von Schlaganfällen – eine Alternative, wenn die orale Antikoagulation kontraindiziert ist - Medscape - 14. Apr 2016.
Kommentar