Mannheim – Der Markt für Gesundheits-Apps boomt – auch in Herzensangelegenheiten. Patienten können mittlerweile zahllose Applikationen rund um Vorhofflimmern, Blutdruck, Herzfrequenz und andere kardiologische Themen auf ihr Smartphone oder Tablet laden. Unklar ist allerdings, ob Patienten und Ärzte tatsächlich von den mobilen Gesundheitsanwendungen, die Körperdaten sammeln, dokumentieren und teilweise auch weiterleiten, profitieren – oder ob es sich lediglich um Lifestyle-Produkte handelt.
„Das Thema brennt“, sagte Dr. Axel Müller vom Klinikum Chemnitz, Stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe „Telemonitoring“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) auf der 82. Jahrestagung der Fachgesellschaft in Mannheim [1]. „Apps gewinnen zunehmende Bedeutung für Patienten, Kardiologen und die Gesellschaft allgemein“, stellte er fest. Das Problem sei jedoch, dass sich Medizinprodukte-Apps nicht immer klar von Lifestyle-Apps unterscheiden ließen. So sei bei einer Vielzahl von Apps auf dem Markt der medizinische Nutzen noch unklar.
Derzeit noch keine Nutzenbewertung oder Regulierung in Europa
„Wichtig wäre eine standardisierte und schnelle Überprüfung der medizinischen Qualität und eine entsprechende Kennzeichnung der Evidenz im App Store oder bei Google Play“, sagte Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK Gesundheit, auf der DGK-Tagung. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat bereits 2013 eine Leitlinie zur Regulierung medizinischerApps veröffentlicht. Bis dato habe die Behörde rund 200 Medizin-Apps mit dem Zulassungsverfahren für Medizinprodukte reguliert, sagte Martin Braecklein von Linde Healthcare, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im Verband der Elektrotechnik (VDE). Eine solche Regulierung oder Nutzenbewertung finde jedoch in Europa derzeit nicht statt, kritisierte Rebscher.
Braecklein wies in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungshilfen der Europäischen Kommission zur Kategorisierung einer App als Medizinprodukt hin: „Ausschlaggebend ist die Zweckbestimmung“, sagte er. Lege der Hersteller einen diagnostischen oder therapeutischen Zweck fest, handle es sich nach der Definition des Medizinproduktegesetzes bei der App um ein medizinisches Produkt. Das treffe etwa zu auf eine App als Zubehör eines Schrittmachers, der Daten auf ein Mobiltelefon übertrage, oder eine Anwendung zur Aufzeichnung von Vitalfunktionen; nicht jedoch auf ein mobiles medizinisches Nachschlagewerk oder eine App zur Anatomie des menschlichen Körpers, da keine personalisierten Informationen generiert werden.
Allerdings seien die bisherigen Definitionen und Bewertungen medizinischer Apps schwammig und es gebe keinerlei Beschränkungen des Angebots von medizinischen Apps im Internet, etwa hinsichtlich der Qualität. „Europa schwimmt noch beim Thema mHealth“, so Braeckleins aktuelle Bestandsaufnahme.
Zudem, fügte Rebscher an, sei der Schutz der Nutzerdaten bislang ungeregelt – somit bestehe die Gefahr der unerlaubten Datennutzung, etwa durch den Hersteller einer App.
„Meine Herzinsuffizienz“ schon in 39 Ländern
Rebscher sieht indessen speziell in der Kardiologie eine ganz Reihe sinnvoller Anwendungsfelder mobiler Anwendungen: „Patienten in dünn besiedelten Gebieten mit geringer Ärztedichte könnten auf diese Weise ihre medizinischen Informationen transferieren. Ärzte könnten Behandlungsabläufe koordinieren, etwa mit Infarkt- oder Herzinsuffizienzpatienten. Die Compliance könnte verbessert werden und die Supervision langer chronischer Verläufe deren Therapie verbessern“, zählte er auf.
Das französische Pharmaunternehmen Servier hat gleich mehrere mobile kardiologische Anwendungen kreiert: Die App „pulsgesund“ sei „als Service für Arzt und Patient“ entwickelt worden und verzeichne seit der Markteinführung 2014 rund 41.000 Downloads, sagt Dr. Ulrike Stefanowski von Servier gegenüber Medscape Deutschland. Das mobile Herztagebuch misst den Puls per Mobiltelefon und zeichnet die Messungen auf.
„My HF“ unterstützt Herzinsuffizienz-Patienten und deren Ärzte und Betreuer in 12 Sprachen und 39 Ländern bei der Überwachung und beim besseren Management ihrer Herzinsuffizienz. Mit Hilfe der App können Patienten medizinische Daten wie Gewicht, Blutdruck, Herzfrequenz aufzeichnen und auch ihre Lebensqualität anhand eines kurzen Fragebogens bewerten. Die Entwicklung der Daten wird in einer Grafik dargestellt, die die Patienten etwa beim nächsten Arztbesuch zeigen können.
Können Apps die Compliance verbessern?
Eine Funktion mobiler Anwendungen haben die Entwickler schnell erkannt: „Etwa 19 Milliarden Euro könnte unser Gesundheitssystem sparen, wenn mehr Arzneimittel richtig eingenommen würden“, sagte Dr. Stephan Engels von Bonn Medical Partners. Insbesondere unter chronisch Kranken sei die Compliance auffallend gering. Im Schnitt nehme nur jeder 2. chronisch kranke Patient seine Medizin richtig ein. Abhilfe schaffen könnten Erinnerungs-Apps zur Medikamenteneinnahme.
Mittlerweile gebe es alleine im App-Store rund 140 so genannte Pill-Reminder-Apps, sagt Engels. Er verwies zudem auf die Programmierungsplattform Apple CareKit, die Krankenhäusern und anderen Institutionen die Entwicklung von medizinischen Apps, unter anderem zur Medikamenteneinnahme und Ausführung von physiotherapeutischen Übungen, ermöglichen soll. Ziel für den Patienten sei es, seinen eigenen Gesundheitszustand zu verwalten und mit Ärzten und anderen betreuenden Personen zu teilen.
„Das vereinfacht den Datenaustausch zwischen Arzt und Patient und ermöglicht gegebenenfalls eine schnelle Therapieanpassung“, erklärte Engels. Apple betont, dass der Nutzer bestimme, welche Daten er teilen möchte. „Interessant wäre aber auch zu wissen, was der iPhone-Hersteller mit den Daten macht“, fügte Engels an.
REFERENZEN:
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Herzensangelegenheiten fürs Handy: Sind kardiologische Apps nur Lifestyle-Produkte oder nutzen sie wirklich? - Medscape - 13. Apr 2016.
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