ATMOSPHERE: Aliskiren bringt nichts bei Herzinsuffizienz; Forscher kritisieren Eingriff der Behörden in Studienablauf

Axel Viola

Interessenkonflikte

12. April 2016

Chicago – Dass staatliche Institutionen in den Fortgang einer laufenden Studie eingreifen, ist ein sehr heikles Vorgehen. Geschehen ist dies während der ATMOSPHERE Studie, die nun beim Kongress des American College of Cardiology (ACC) in Chicago/USA vorgestellt worden ist.[1] Problematisch ist eine solche Einflussnahme, weil sie zum einen in die wissenschaftliche Unabhängigkeit eingreift und zum anderen damit die Vertrauensbasis zwischen Forschern und Behörden belastet.

Ihren Widerhall findet diese schwierige Situation in einer ganzen Zahl von Artikeln, die zeitgleich mit der Studienpräsentation beim ACC-Kongress im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden sind: Neben dem Artikel mit den eigentlichen Studienergebnissen wurde eine Stellungnahme der Mitglieder des Data Monitoring Committee der ATMOSPHERE-Studie veröffentlicht, eine gemeinsame Stellungnahme von Vertretern der schwedischen Agentur für Medizinprodukte, der entsprechende Behörde der Europäischen Union, der European Medicines Agency (EMA) sowie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und eine Stellungnahme des Studiensponsors Novartis.[2,3,4,5]

Keine Vorteile durch eine Therapie mit Aliskiren

Was war geschehen? Um den Nutzen des direkten Reninhemmers Aliskiren (Rasilez®) zu untersuchen, wurden in naher Zeitfolge zwischen 2007 und 2009 die 3 Studien ALTITUDE, ASTRONAUT und ATMOSPHERE zu unterschiedlichen Fragestellungen aufgelegt. In letzterer wurde die Wirkung des direkten Reninhemmers im Vergleich zum ACE-Hemmer Enalapril oder in Kombination mit diesem bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse II bis IV) und reduzierter Ejektionsfraktion (EF ≤ 35%) getestet. Primärer Studienendpunkt war die Kombination aus kardiovaskulär bedingter Mortalität und  Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz.

Und in diesem primären Studienendpunkt war das Ergebnis enttäuschend: Weder als Monotherapie noch in der Kombination mit Enalapril brachte Aliskiren einen zusätzlichen Nutzen  im Vergleich zur Therapie mit dem ACE-Hemmer allein. Nach im Durchschnitt annähernd 37 Monaten waren die Raten 33,8% vs 34,6% vs 32,9% (Aliskiren, Enalapril oder Aliskiren plus Enalapril) nicht signifikant unterschiedlich.

Damit wurde auch das vordefinierte Ziel nicht erreicht, nämlich die Nicht-Unterlegenheit einer Behandlung mit Aliskiren bei chronischer Herzinsuffizienz im Vergleich zu Enalapril oder einen Zusatznutzen bei Ko-Medikation mit Enalapril nachzuweisen. Die Patienten, die Aliskiren plus Enalapril erhielten, hatten signifikant häufiger hypotensive Symptome als diejenigen unter alleiniger ACE-Hemmer-Therapie (13,8 vs 11,0%; p = 0,005). Ebenso waren die Serum-Kreatinin-Werte (4,1 vs 2,7%; p = 0,009) und die Kaliumwerte (17,1 vs 12,5%; p < 0,001) signifikant häufiger erhöht.

BfArM sorgte sich um Patienten mit Diabetes in ATMOSPEHRE

Für Irritationen bei den Mitgliedern des Data Monitoring Committee (DMC) der ATMOSPHERE-Studie hatte, noch während die Studie lief, die Anordnung der Clinical Trial Faciliation Group (CTFG – siehe Kasten) im Februar 2013 gesorgt: Sie forderte, bei Teilnehmern mit Diabetes die Therapie mit Aliskiren bzw. die Kombination aus Aliskiren und Enalapril zu stoppen. Der Sponsor Novartis kam der Aufforderung der CTFG nach.

Das Studienprotokoll musste angepasst werden, die Studienlaufzeit verlängerte sich. Dem vorausgegangen war im Januar 2012 unter anderem eine Aufforderung des BfArM an das DMC, die unverblindeten Daten der teilnehmenden Diabetes-Patienten zugänglich zu machen. Dies hatten jedoch die DMC-Vertreter um Prof. Dr. Karl Swedberg, Universität Göteborg, Schweden, abgelehnt.

Der Grund für die Forderung des BfArM waren Sicherheitsbedenken, nachdem die Studie ALTITUDE (Aliskiren Trial in Type 2 Diabetes Using Cardiorenal Endpoints) im Dezember 2011 vorzeigt beendet worden war. Denn bei Patienten, die in dieser Studie Aliskiren in Kombination mit einem ACE-Hemmer oder einem Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) erhalten hatten, waren häufiger kardiovaskuläre bzw. renale Komplikationen aufgetreten.

Die Arzneimittelbehörden hatten daraufhin im Februar 2012 die Kontraindikationen für den Renininhibitor verschärft. Das Verbot einer gleichzeitigen Verordnung mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptor-Blockern (ARB) galt seitdem nicht nur für Diabetiker, sondern für alle Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion.

Studienautoren: Niemals Anzeichen für ein Sicherheitsproblem

Gestützt wurden diese Erkenntnisse unter anderem durch eine Zwischenauswertung der ASTRONAUT-Studie, die vom selben DMC um Swedberg begleitet wurde wie ATMOSPHERE. Das BfArM informierte schließlich die CTFG, die den Studiensponsor Novartis kontaktierte und den Stopp der Aliskiren-Therapie bei Diabetespatienten durchsetzte. Dies geschah, obwohl das DMC darauf hingewiesen hatte, dass es bis zu diesem Zeitpunkt keine Anzeichen für häufigere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) bei dieser Population gegeben hatte.

Swedberg und seine Kollegen erklären nun in ihrer Stellungnahme auch, dass aufgrund des Studienprotokolls von ATMOSPHERE Diabetes-Patienten, die Aliskiren (oder Enalapril) nicht vertrugen, bereits vor der Aufnahme in die Studie identifiziert und aus der Studie ausgeschlossen worden seien. Diese Run-in-Phase sei ein wichtiger Unterschied zwischen ATMOSPHERE und den beiden anderen Studien, bei denen ein solcher Vorlauf nicht zum Studienprotokoll gehörte.

Auch betonen Swedberg und Kollegen, dass es trotz intensivierter Kontrollen niemals im Studienverlauf Anzeichen für ein Sicherheitsproblem gegeben habe. Eine Zwischenauswertung des DMC mit Daten von 6.381 der insgesamt 7.064 Patienten habe dies bestätigt. In der Gruppe der Patienten, die Aliskiren und Enalapril kombiniert erhielten, seien Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz, kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle sogar zahlenmäßig geringer gewesen als unter alleiniger ACE-Hemmer-Therapie.

Data Monitoring Committee sah seine Unabhängigkeit infrage gestellt

Swedberg und Kollegen äußern zwar prinzipiell Verständnis für die Bedenken der Behörden aufgrund der Erkenntnisse aus ALTITUDE und ASTRONAUT. Sie verweisen aber auch darauf, dass bis dato noch nicht untersucht war, ob Patienten mit Herzinsuffizienz von einer doppelten Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems (inklusive Reninhemmer) profitieren.

Um in Zukunft solche Dissonanzen zu vermeiden, schlagen Swedberg und Kollegen eine verbesserte Kommunikation zwischen Forschern und regulatorischen Behörden vor. Dabei dürfe weder die Unabhängigkeit des DMC in Frage gestellt, noch beschnitten werden. Basis dafür sei ein grundlegendes Vertrauen gegenüber den Kernverantwortlichkeiten des DMC.

Die Clinical Trials Facilitation Group (CTFG) ist eine Arbeitsgruppe der Heads of Medicines Agencies (HMA), in der Arzneimittelagenturen von EU-Mitgliedsstaaten organisiert sind. Diese Institutionen sind für die Regulierung klinischer Prüfungen von Humanarzneimitteln im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verantwortlich. Die CTFG beschäftigt sich mit verfahrenstechnischen, rechtlichen und wissenschaftlichen Fragen und unterstützt bei der Koordinierung und Harmonisierung internationaler Studien im EU-Raum.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....