Mannheim – Ist Sport ein „Allheilmittel“? Werden diejenigen Menschen, die körperlich besonders fit sind, auch besonders alt? Tatsächlich gibt es einen engen Zusammenhang zwischen körperlicher Fitness und Mortalität, betätigte Prof. Dr. Martin Halle, Leiter des Zentrums für Prävention und Sportmedizin an der TU München, beim Internistenkongress in Mannheim: Für jedes Metabolische Äquivalent (MET) mehr Leistung, das man auf dem Fahrradergometer schafft, nimmt die Mortalität um 13% ab, bestätigt eine US-Studie aus dem Jahr 2008 [1].
5 MET entsprechen dabei etwa einer Leistung von 100 Watt oder – als körperliche Aktivität – Spazierengehen, während beim Joggen schon etwa 10 MET anfallen. Beruhigend: Dieser Zusammenhang – je fitter, umso geringer das Sterberisiko – gilt für alle Menschen, egal welche Risikofaktoren oder Vorerkrankungen sie haben, ob sie Raucher oder adipös sind, eine COPD, einen Diabetes oder hohe Cholesterinwerte haben.
Sport ist eines der Schwerpunktthemen beim diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). „Wir wollen den Sport in der Medizin salonfähig machen“, sagte der DGIM-Vorsitzende Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Göttingen, bei der Eröffnungs-Pressekonferenz.
Eine Adipositas lässt sich durch körperliche Fitness (über)kompensieren

Prof. Dr. Martin Halle
Dabei kann körperliche Fitness durchaus ungünstige kardiovaskuläre Risikofaktoren (über)kompensieren. So hat ein schlanker Mensch mit einem Body-Mass-Index (BMI) unter 25 kg/m², der körperlich nicht fit ist, ein etwa doppelt so hohes Risiko, an einer kardiovaskulären Ursache zu sterben, wie jemand, der zwar einen BMI über 30 kg/m² hat, aber trotzdem körperlich fit ist. Das Gleiche, so Halle, gilt für andere Krankheitsrisiken. So nimmt mit zunehmender Fitness z.B. auch das Erkrankungsrisiko an einem Typ-2-Diabetes ab – und auch hier profitieren Adipöse mindestens ebenso wie Normalgewichtige vom regelmäßigen Training.
Aber wieviel Sport ist notwendig, um in den Genuss dieser lebensverlängernden Wirkungen zu kommen? Die Antwort darauf, hat eine Metaanalyse aus dem Jahr 2011 gesucht. Das Ergebnis wird viele Freizeitsportler beruhigen: Der Haupteffekt tritt bereits bei einem wöchentlichen zusätzlichen Energieverbrauch von bis zu 1.100 kcal ein. Durch ein solches Maß an sportlicher Aktivität wird das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis bereits um rund 20% gesenkt. Und dies entspricht etwa den in den meisten Leitlinien empfohlenen 150 Minuten Sport pro Woche.
„Marathon zu laufen, bringt zusätzlich dann nichts mehr“, sagte Halle, „die Effekte von Sport als ‚Allheilmittel‘ spielen sich im eher niedrigen Leistungsbereich ab, nicht im Hochleistungsbereich.“ In einer Studie mit Diabetespatienten waren bereits ab 4 bis 5 Stunden Bewegung (Spazierengehen) pro Woche signifikante Effekte auf verschiedene physiologische Parameter zu verzeichnen, nicht nur auf das Körpergewicht und den Bauchumfang, auch auf HbA1C-Wert, Blutdruck, Cholesterin und Triglyzeride.
Sport bringt auch zusätzlich zu kardiovaskulär hochwirksamen Medikamenten noch etwas

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß
Natürlich, so räumte der Sportmediziner in Wiesbaden ein, sei z.B. die Wirkung von Sport auf das LDL-Cholesterin – etwa im Vergleich zur Wirkung von Statinen – eher bescheiden. Doch zum einen fallen als Folge des Trainings auch die Triglyzeride und das HDL-Cholesterin, das sich medikamentös kaum beeinflussen lässt, steigt. Zum anderen reduziert der Sport, wie Untersuchungen zeigen, aber auch bevorzugt die ganz besonders atherogenen small dense LDL-Partikel.
Und außerdem können auch diejenigen, die bereits ein kardiovaskulär hochwirksames Medikament, nämlich ein Statin, nehmen, durch körperliches Training noch etwas draufsetzen, wie eine prospektive Auswertung der Daten von mehr als 10.000 US-Veteranen ergeben hat. Die Probanden wurden entsprechend den Ergebnissen eines Fitness-Tests in eine von 4 Kategorien eingeteilt. Referenzgruppe waren die am wenigsten fitten Statin-Behandelten, die im Test auf dem Fahrradergometer schon bei unter 5 MET aufgegeben hatten.
Im Vergleich zu diesen hatten die körperlich fittesten Statin-Nutzer (die mehr als 9 MET bzw. rund 200 Watt schafften) ein um relativ 70% niedrigeres Sterberisiko. Bei denjenigen, die kein Statin nahmen und zusätzlich zur unfittesten Kategorie gehörten, war das Sterberisiko um relativ 35% erhöht. Wer allerdings ohne Statin zur fittesten Gruppe gehörte, hatte ein um 47% niedrigeres Mortalitätsrisiko als die unfitten Statin-Behandelten.
Intervall-Training scheint am effektivsten
Bleibt die Frage, welche Art von Sport man machen sollte. Ausdauersport ist immer gut, um die Fitness zu steigern. Allerdings, so Halle, ist dabei – wie er in einer eigenen Studie zeigen konnte – ein Intervalltraining effektiver als eine gleichmäßige körperliche Belastung. In der Studie hatte eine Gruppe 5 mal pro Woche eine Stunde Walking bei 55% der maximalen Herzfrequenz gemacht, die Intervallgruppe dagegen trainierte ebenfalls 5 mal pro Woche, setzte während der gleichmäßigen einstündigen Belastung aber jeweils 3-minütige Phasen sehr intensiver Belastung bis zur maximalen Herzfrequenz. „Das Intervalltraining besserte die Fitness effektiver und war auch bezüglich BMI und Fettabbau wirksamer“, berichtete Halle.
Aber auch Krafttraining hat seine Effekte. In Studien bei Diabetespatienten waren die physiologischen Effekte von Ausdauer- und Krafttraining verglichen worden – beides war ähnlich effektiv, am wirksamsten erwies sich aber die Kombination aus beidem.
Das „Sport-Rezept“ – lapidare Ratschläge reichen nicht
Klar ist: „Eine gewisse muskuläre Belastung muss schon sein“, betonte Halle, um vom Präventionseffekt der sportlichen Betätigung zu profitieren. Eine lapidare Empfehlung an die Patienten, öfter mit dem Hund raus zu gehen oder die Treppe statt den Aufzug zu nehmen, reiche nicht aus, sagte er.
Sport habe Wirkungen wie ein kardiovaskulär wirksames Medikament, solle aber auch genau wie dieses verordnet werden. Das heißt: auf einem Rezept. Er zeigte das Beispiel einer Verordnung von körperlicher Aktivität, wie er sie seinen Patienten ausstellt: Dort wird genau aufgeführt, welchen Sport der Patient machen sollte, wie oft pro Woche, wie lange jeweils und bei welcher Belastung.
Eigentlich sei kein Patient zu alt oder zu krank für ein Training, betonte der Sportmediziner. Die über 80-Jährige mit diastolischer Herzinsuffizienz kann langsam mit wenigen Minuten täglich beginnen, selbst ein Patient mit Herzunterstützungssystem kann auf einem Fahrradergometer (mit sehr geringer Belastung) trainieren, während der Dialyse können Patienten im Liegen ebenfalls ein leichtes angepasstes Ergometertraining absolvieren und sogar ein COPD-Patient unter Sauerstofftherapie kann aufs Laufband – all dies demonstrierte Halle anhand von Bildern aus seinem Institut in München. „Sport sollte Teil der Behandlung aller chronischer Erkrankungen sein!“, betonte er.
Und wenn man mit dem Training mal aussetzt? Nach 3 bis 4 Wochen sind die akuten Effekte, etwa auf die Lipide weg, informierte Halle. Aber der Effekt auf das Gesamtrisiko bleibe erhalten. „Was man einmal auf das Konto der Risikoreduktion eingezahlt hat, das ist auch drauf!“
REFERENZEN:
1. 122. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 9. bis 12. April 2016, Mannheim
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Körperliche Fitness kann kardiovaskuläre Risikofaktoren kompensieren – Sport-Rezept fördert Compliance - Medscape - 11. Apr 2016.
Kommentar