Du bist, was Deine Eltern gegessen haben: Typ-2-Diabetes und Adipositas werden auch epigenetisch weitergegeben

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

7. April 2016

Du bist, was Deine Eltern gegessen haben. Im Mausmodell zumindest trifft das zu: Über Eizellen und Spermien können Fettleibigkeit und Diabetes epigenetisch an die Nachkommen vererbt werden. Das konnten Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) am Helmholtz Zentrum München um Prof. Dr. Johannes Beckers in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München nachweisen. Ihre Studienergebnisse haben sie in Nature Genetics publiziert [1].

Prof. Dr. Andreas Fritsche

Das Forscherteam vom Institut für Experimentelle Genetik (IEG) am Helmholtz Zentrum verwendete für seine Untersuchung Mäuse, die aufgrund einer fettreichen Nahrung adipös geworden waren und einen Typ-2-Diabetes entwickelt hatten. Die Nachkommen dieser Mäuse wurden ausschließlich über In-vitro-Fertilisation aus Eizellen und Spermien gewonnen. Ausgetragen wurden die Nachkommen dann von gesunden, normalgewichtigen Leihmüttern.

„So konnten wir sicherstellen, dass die Vererbung, die wir sehen tatsächlich über Eizellen und Spermien an die Nachkommen weitergegeben wurden“, erklärt Studienleiter Beckers, stellvertretender Institutsleiter im IEG, in einem Interview auf dem Videoportal Vimeo. Zusätzliche Faktoren wie das Verhalten der Eltern, das möglicherweise an die Nachkommen hätte weitergegeben werden können und auch Einflüsse der Mutter während der Schwangerschaft und des Säugens wurden so minimiert.

Die Ernährung der Eltern vor der Zeugung hat offenbar einen Einfluss auf das Aussehen, den Stoffwechsel und das Übergewicht der Kinder, bestätigt Prof. Dr. Andreas Fritsche, der die Studienergebnisse als „sehr starken Hinweis“ wertet. „Nun müssen Nachfolgeexperimente beweisen, dass die bisherigen Beobachtungen richtig sind. Dazu wird an Spermien und Oozyten nach biochemischen Grundlagen gesucht, die die epigenetischen Phänomene bestätigen können. Die Untersuchungen dazu laufen bereits“, erklärt der Lehrstuhlinhaber für Ernährungsmedizin und Prävention am Universitätsklinikum Tübingen im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Epigenetische Vererbung könnte den rasanten Diabetes-Anstieg erklären

Ein durch Ernährung erworbener Diabetes kann über Eizellen und Spermien direkt an die Nachkommen vererbt werden. Prof. Dr. Johannes Beckers

„Ein durch Ernährung erworbener Diabetes kann über Eizellen und Spermien direkt an die Nachkommen vererbt werden. Das geschieht epigenetisch – die Änderung erfolgt also nicht innerhalb der DNA-Sequenz sondern außerhalb“, erklärt Beckers. Während die genetische Vererbung im Genom fixiert ist, wird die Erbsubstanz bei der Epigenetik nur vorübergehend geändert, bestimmte Schalter werden an und ausgeschaltet. Es handelt sich nicht um substanzielle, sondern um modifizierende Veränderungen, die deshalb auch reversibel sind. „Man kann sich also überlegen, wie man die epigenetische Vererbung des erworbenen Diabetes vielleicht auch verändern kann“, meint Beckers.

„Diese Art der epigenetischen Vererbung einer durch Fehlernährung erworbenen Stoffwechselstörung könnte eine weitere wichtige Ursache für den weltweiten dramatischen Anstieg der Diabetesprävalenz seit den 1960er Jahren sein“, betont Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis, Direktor des IEG und Initiator der Studie in einer Pressemitteilung des DZD.

Durch genetische Veränderungen allein sei der weltweite Diabetesanstieg nicht zu erklären – dazu schreite er zu schnell voran. Laut WHO hatten im Jahr 2014 rund 422 Millionen Menschen weltweit eine Diabeteserkrankung. Damit hat sich die Zahl der Erkrankten seit 1980 fast vervierfacht, damals gingen Experten noch von rund 108 Millionen Erkrankten aus.

Diese Art der epigenetischen Vererbung … könnte eine weitere wichtige Ursache für den weltweiten dramatischen Anstieg der Diabetes-Prävalenz seit den 1960er Jahren sein. Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis

Nach Schätzungen aus Versorgungsdaten lag die Diabetesprävalenz in Deutschland im Jahr 2007 bei 8,9%. In absoluten Zahlen sind dies über 7 Millionen Menschen in Deutschland, die wegen eines Diabetes mellitus behandelt wurden. Nur 5 bis 10 % davon sind an Typ-1-Diabetes erkrankt. 1998 lag die Prävalenz von Diabeteserkrankungen in Deutschland noch bei 5,9%.

„Wir haben auch festgestellt, dass sowohl Mutter als auch Vater einen wichtigen Beitrag zur Diabetesentstehung bei den Nachkommen leisten“, erklärt Beckers. Ein Befund, den Fritsche erfreulich findet, weil dadurch veraltete Rollenzuschreibungen infrage gestellt werden. Bislang sei hauptsächlich die werdende Mutter dazu angehalten worden, auf eine gesunde Lebensführung zu achten. „Die Studienergebnisse zeigen uns aber: Die Gesundheit der Nachkommen, ihr Adipositias- und Diabetes-Risiko hängen eben nicht nur von der Mutter und ihrem Verhalten ab, sondern von beiden Geschlechtern. Eine möglichst gesunde Lebensführung geht also Mann und Frau etwas an“, kommentiert er.

Wir haben auch festgestellt, dass sowohl Mutter als auch Vater einen wichtigen Beitrag zur Diabetesentstehung bei den Nachkommen leisten. Prof. Dr. Johannes Beckers

Ganz ausgeglichen ist das Geschlechterverhältnis in der Studie allerdings nicht: Die epigenetische Information, die über die Eizelle weitergegeben wird, war etwas stärker als die, die über die Spermien weitergegeben wurde. Die männlichen Nachkommen neigten eher zu einem erhöhten Blutzucker, die weiblichen Nachkommen hingegen eher zu Übergewicht. „Über das ganze Experiment hinweg hatten die Mütter einen stärkeren Einfluss auf den Phänotyp bei den Nachkommen als die Väter“, fügt Beckers hinzu.

Ergebnisse werfen drei zentrale Fragen auf

Wie Beckers berichtet, wurden in den vergangenen 10 bis 15 Jahren etwa 70 Genloci identifiziert, die mit Diabetes beim Menschen in Zusammenhang stehen. „Wir sehen jetzt aber durch unsere Studie, dass nicht alles nur genetisch bedingt ist, sondern dass eben auch erworbene Einflüsse wie z.B. die Ernährung der Eltern eine ganz wichtige Rolle spielen bei der Vererbung des Diabetes auf die Nachkommen. Insofern hat der Mensch einen Einfluss darauf und trägt die Verantwortung dafür, wie er sein Leben gestaltet und welchen Einfluss das auf seine Nachkommen haben wird“, betont Beckers.

Die Studienergebnisse sind für die Wissenschaftler nun Anlass, weiter zu forschen. Denn daraus leiten sich laut Beckers 3 zentrale Fragen ab:

1. Wie ist die Information in den Elterntieren beschaffen, die notwendig ist, damit eine epigenetische Änderung in den Keimbahnzellen erfolgt?

2. Wie sehen die epigenetischen Veränderungen in der Eizelle und in den Spermien aus? „Wir sehen schon jetzt, dass es Unterschiede gibt – je nach dem was die Eltern gegessen haben“, sagt Beckers dazu.

3. Was passiert, wenn Eizelle und Spermien zusammenkommen und damit die unterschiedlichen epigenetischen Profile abhängig von der Diät der Eltern? Wie entwickeln sich diese Profile im Verlauf der embryonalen Entwicklung bis hin zu der Veränderung im adulten Tier?

Die Umstellung auf eine gesunde Lebensführung einen Tag vor Zeugung nutzt allerdings nichts, die Zeiträume sind größer. Prof. Dr. Andreas Fritsche

Doch lässt sich von der Maus auch auf den Menschen schließen? „Bis zum heutigen Zeitpunkt bleibt uns nichts anderes übrig. Die Mechanismen der Epigenetik, die Veränderungen des Erbguts, die Methylierung an bestimmten Stellen beispielsweise, die gelten für alle Säugetiere – insofern kann man das übertragen“, erklärt Fritsche.

Hausärzte sollten ihre Patienten darauf ansprechen

Fritsche empfiehlt Hausärzten, die Studienergebnisse in Patientengesprächen zu erwähnen und damit zu verdeutlichen, dass Patienten mit einer gesunden Lebensführung nicht nur sich selbst sondern auch ihren potenziellen Kindern etwas Gutes tun. „Die Umstellung auf eine gesunde Lebensführung einen Tag vor Zeugung nutzt allerdings nichts, die Zeiträume sind größer – ich würde eher von einem Jahr ausgehen“, stellt Fritsche klar.

Wichtig ist allerdings, nicht nur auf richtige Ernährung zu achten, sondern aufs Rauchen zu verzichten, möglichst wenig Alkohol zu konsumieren und sich ausreichend zu bewegen, betont Fritsche. „Am sinnvollsten wäre natürlich, schon in der Jugend nicht völlig aus dem Ruder zu laufen – sowohl im eigenen Interesse als auch in dem der potenziellen Kinder.“ Und was macht ein Kind von Eltern, die fettreich gegessen, geraucht und sich kaum bewegt haben? Kann das noch gegensteuern? Ja, meint Fritsche: „Das ist kein Schicksal, dem man sich ergeben muss. Auch dann kann man mit einem gesunden Lebensstil die eigene Gesundheit positiv beeinflussen.“

REFERENZEN:

1. Huypens P, et al: Nature Genetics (online) 14. März 2016

Kommentar

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