Antiarrhythmika als Ultima Ratio bei Kreislaufstillstand: Nur effektiv, wenn der Notarzt sie schnell verabreicht

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

7. April 2016

Chicago – Werden bei Kreislaufstillstand aufgrund von schockrefraktärem Kammerflimmern oder pulsloser ventrikulärer Tachykardie vom Rettungspersonal die Antiarrythmika Amiodaron oder Lidocain gegeben, bewirken diese keine signifikante Verbesserung der Überlebensrate oder der neurologischen Funktion gegenüber Placebo. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie an über 3.000 entsprechenden Patienten an 55 Notfallzentren in den USA und Kanada. Präsentiert wurde sie bei den Scientific Sessions des American College of Cardiology (ACC) in Chicago und zeitgleich im New England Journal of Medicine veröffentlicht [1;2].

„Es ist sehr gut, dass eine solch große Studie aufgelegt wurde“, lobt Prof. Dr. Uwe Kreimeier, Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München gegenüber Medscape Deutschland. „Das erlaubt wissenschaftlich fundierte Schlussfolgerungen, auch zu dem Wirkstoff Amiodaron in der neuen Captisol-basierten Formulierung mit – so der Hersteller – weniger Blutdruckabfällen bei der i.v.-Gabe.“

Dr. Peter J. Kudenchuk

Die Autoren der aktuellen Studie um Dr. Peter J. Kudenchuk von der University of Washington, Seattle, USA, wählten 3.026 notärztlich versorgte Patienten mit Kreislaufstillstand aus. Diese hatten nach 3 vergeblichen Schockanwendungen jeweils entweder Amiodaron, Lidocain oder isotone Kochsalzlösung erhalten, die als nicht unterscheidbare Proben auf die Rettungswagen verteilt worden waren.

24,4% der Patienten des Amiodaron-Armes, 23,7% des Lidocain-Armes und 21,0% des Placebo-Armes konnten lebend ins Krankenhaus überführt werden und erreichten somit den primären Endpunkt der Studie. Die Unterschiede zwischen den Therapiearmen waren nicht signifikant, ebenso wenig wie die Unterschiede in der neurologischen Funktion bei Ankunft im Krankenhaus, dem sekundären Studienendpunkt.

Bei frühzeitiger Gabe Antiarrythmika gegenüber Placebo überlegen

Anders fiel das Ergebnis aus, wenn der Eintritt des Kreislaufstillstandes von Zeugen beobachtet worden war. In diesen 1.934 ausgewerteten Fällen lag der Herzstillstand zum Zeitpunkt der Medikamentengabe – aller Wahrscheinlichkeit nach – weniger lange zurück als ohne die Beobachtung durch Zeugen. Hier erreichten 27,7% der Patienten des Amiodaron-Armes, 27,8% des Lidocain-Armes und 22,7% des Placebo-Armes lebend das Krankenhaus. Dadurch ergaben sich signifikante Unterschiede zugunsten beider Antiarrhythmika gegenüber Placebo, aber nicht zwischen Amiodaron und Lidocain.

Dieses Ergebnis stellen auch Dr. Jose A. Joglar, University of Texas, und Dr. Richard L. Page, University of Wisconsin, in ihrem an gleicher Stelle veröffentlichten Editorial ins Zentrum ihrer Beurteilung [3]. Sie leiten daraus die Empfehlung für das Rettungspersonal ab, die hier betrachteten Antiarrhythmika vor allem bei denjenigen Patienten einzusetzen, bei denen der Eintritt des Herzstillstandes eine dokumentierbar kurze Zeit zurückliegt.

Defibrillation innerhalb von drei Minuten am erfolgversprechendsten

Sie gehen hierfür davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Kreislaufstillstand aufgrund von schockrefraktärem Kammerflimmern oder pulsloser ventrikulärer Tachykardie zu überleben, am höchsten ist, wenn innerhalb von 3 Minuten eine Defibrillation erfolgt. Nach 10 Minuten dagegen erreiche der Körper die sogenannte „metabolische“ Phase mit deutlich reduzierter Überlebenswahrscheinlichkeit.

„Das ist in der Tat das korrekte pathophysiologische Modell“, bestätigt Kreimeier. „Je früher eine suffiziente Kreislauftherapie beginnt, umso besser ist die Prognose. Allerdings bleibt in der Studie – der Realität des Notfalls geschuldet – leider offen, wann genau und wie professionell die Reanimationsversuche der umstehenden Laien erfolgt waren. Trotzdem sind in diesen, immerhin nahezu zwei Dritteln der Fälle, die Patienten wahrscheinlich vor Beginn der „metabolischen Phase“ erreicht und eine Reanimation begonnen worden.“

 
Je früher eine suffiziente Kreislauftherapie beginnt, umso besser ist die Prognose. Prof. Dr. Uwe Kreimeier
 

Für ihre gesamte Studiengruppe hatten Kudenchuk und seine Koautoren eine mittlere Dauer des Herzstillstandes von 19,3 Minuten (definiert als die Zeit vom Notruf bis zur Medikamentengabe) sowie im Mittel 3 vergebliche Einsätze des Defibrillators angegeben. Damit ließe sich die enttäuschende Wirkung der verwendeten Antiarrhythmika erklären, erläutern die Autoren des Editorials weiter.

Für jedes der 3 Medikamente bestand das Studienkit aus 3 identischen Spritzen, wovon üblicherweise 2 gegeben wurden und eine weitere für besonders schwere Patienten bzw. eine 2. Gabe reserviert war. Sowohl Amiodaron als auch Lidocain zeigten gegenüber Placebo kein signifikant erhöhtes Auftreten unerwünschter Wirkungen.

„Interessant ist, dass bei nahezu allen ausgewerteten Patienten Adrenalin (Epinephrin) gegeben wurde“, gibt Kreimeier zu bedenken. „Wenn Kammerflimmern vorliegt, wird dieses Medikament eigentlich erst nach dem 3. Schock gegeben, aber in dieser Studie offenbar auch schon vorher. Hier wären genauere Angaben zum Abstand zwischen der Gabe des Vasopressors Adrenalin und der Studienmedikation wünschenswert.“

Besser Lidocain oder Amiodaron – Frage bleibt vorerst unentschieden

Die Autoren gehören einem staatlich finanzierten Netzwerk regionaler Zentren in Nordamerika – Resuscitation Outcomes Consortium (ROC) – an. Es wollte mit dieser prospektiven verblindeten Studie auch die Frage beantworten, ob neue Medikamente wie Amiodaron in einer Captisol-Lösung zur Reduzierung hypotoner Effekte oder der „Klassiker“ Lidocain eine Verbesserung der Überlebensrate von Patienten mit Reanimations- und Defibrillations-resistentem Herzstillstand erzielen könnten.

Diese Frage lässt sich nicht abschließend beantworten, diskutieren die Autoren, da möglicherweise zu wenige Patienten eingeschlossen wurden, um statistisch signifikante Ergebnisse erhalten zu können.

Kreimeier sieht aber einen weiteren positiven Effekt in der Studie: „In 60 Prozent der Fälle führten die ‚Bystander‘ in Amerika Reanimationsmaßnahmen durch – das ist viel, viel mehr als wir in Deutschland haben! Zwar setzte nur jeder 10. zufällig Anwesende einen Defibrillator ein. Das ist zu wenig, aber andererseits zeigt es, dass die Bürger beginnen, zu wissen, wie man es macht. Es kommt schließlich auch auf eine kräftige Herzdruckmassage an!“

„Nach einer leitliniengerechten Reanimation durch die herbeigerufenen Profis muss der Patient in ein spezialisiertes Zentrum, ein Cardiac Arrest Center, gebracht werden, in dem von der schnellen Diagnostik mit Ultraschall und CT zum Ausschluss reversibler Ursachen über die supportive Therapie mit kreislaufunterstützenden Systemen hinaus interventionelle Möglichkeiten und eine spezialisierte intensivtherapeutische Behandlung verfügbar sind“, empfiehlt Kreimeier abschließend.

 

REFERENZEN:

1 American College of Cardiology Scientific Sessions 2016, 2. bis 4. April 2016, Chicago

2. Kudenchuk PJ, et al. NEJM (online) 4. April 2016

3.Joglar JA, et al: NEJM (online) 4. April 2016

 

Kommentar

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