Akutes Koronarsyndrom bei Frauen: Zu spät erkannt und behandelt – „Was würden Sie tun, wenn die Patientin ein Mann wäre?“

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

7. April 2016

Mannheim – Männer sind anders – Frauen auch. Dies gilt auch für das Akute Koronarsyndrom (ACS), wie Dr. Barbara Stähli, Funktionsoberärztin an der Medizinischen Klinik für Kardiologie der Charité Berlin, bei der 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim deutlich machte [1].

In den meisten europäischen Ländern sind kardiovaskuläre Erkrankungen die Haupttodesursache sowohl bei Männern als auch bei Frauen. „Zwar konnten wir sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine signifikante Reduktion der Mortalität erreichen, dieser Rückgang setzt bei Frauen aber erst spät ein“, spielte Stähli auf die weiterhin bestehende Ungleichheit in Diagnose und Therapie des ACS an.

 
Innerhalb der ersten fünf Jahre nach Myokardinfarkt sterben mehr Frauen als Männer und entwickeln mehr Frauen als Männer eine Herzinsuffizienz und einen Schlaganfall. Dr. Barbara Stähli
 

Männer haben 2- bis 4-mal häufiger als Frauen ein ACS. Dieses tritt bei Frauen im Schnitt 7 bis 10 Jahre später auf als bei Männern, wie ein niederländischer Review zeigt. Das Geschlechterverhältnis kippt bei den über 75-Jährigen. Hier erleiden mehr Frauen als Männer einen Herzinfarkt. „Frauen haben nach Myokardinfarkt eine erhöhte Sterblichkeit, bei ST-Hebungsinfarkten sind die Mortalitätsunterschiede noch größer.“ Und: Frauen haben nicht nur eine erhöhte Kurzzeit-Mortalität, sondern auch ein schlechteres Langzeit-Outcome. „Innerhalb der ersten fünf Jahre nach Myokardinfarkt sterben mehr Frauen als Männer und entwickeln mehr Frauen als Männer eine Herzinsuffizienz oder einen Schlaganfall“, zählte Stähli auf.

Frauen zeigen seltener die typischen Thoraxschmerzen

Unterschiede im Risikoprofil, in der Ausprägung der Erkrankung, in der Behandlung und auch Krankheitsbilder, die vor allem bei Frauen vorkommen, erklären die im Vergleich zu Männern gleich hohe oder sogar erhöhte Mortalität. So sind Frauen im Schnitt älter, leiden häufiger an Diabetes, Hypertonie und Herzinsuffizienz, wenn sie ein ACS erleiden. Männer haben dagegen häufiger eine bereits bestehende Herzkrankheit und sind häufiger Raucher.

Diabetes und Rauchen sind bei Frauen im Vergleich zu früher zunehmende Risikofaktoren: „Man beobachtet das vor allem bei jüngeren Frauen – Rauchen und Adipositas nehmen zu“, betont Stähli. Auch äußert sich der Herzinfarkt bei Frauen häufiger mit atypischen Symptomen, sie haben weniger die typischen Thoraxschmerzen, häufiger Schmerzen im Rücken, im Nacken, im Kinn, klagen über Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Schlafprobleme. „Die Interpretation dieser Symptome kann schwieriger sein und zu einer verzögerten Diagnose und Therapie führen“, erläutert Stähli.

Nicht nur Risikoprofil und Symptome unterscheiden sich zwischen Männern und Frauen – die Koronare Herzkrankheit manifestiere sich auch unterschiedlich, betont Stähli. Frauen haben häufiger einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt oder eine instabile Angina pectoris, bei den koronaren Läsionen sie weniger Hauptstammbeteiligung, weniger Teilgefäßerkrankungen, weniger komplexe Typ C- oder Bifurkationsläsionen. Studien wie die von Kazuyuki Yahagi und seinen Kollegen weisen auch auf Unterschiede in der Plaque-Morphologie hin. So wird die Plaque-Erosion häufiger bei Frauen beobachtet, insbesondere bei prämenopausalen Frauen.

Seltener revaskularisiert, mehr Komplikationen, höhere Sterblichkeit

Stähli und ihre Arbeitsgruppe haben 2015 in einer Studie 377 Frauen mit Verdacht auf ACS untersucht. Sie stellten fest: Die Patientinnen waren älter als die männlichen Patienten (p = 0,004) und  wiesen eine geringere Prävalenz bekannter koronarer und vaskulärer Erkrankungen auf (p < 0,05). Bei den Frauen wurde außerdem seltener ein ACS diagnostiziert (30% vs 51%). Sie wurden auch nicht so oft zur Angiographie überwiesen wie Männer (p < 0,01). In der multivarianten Analyse war weibliches Geschlecht assoziiert mit einer geringeren Empfehlungsrate zur koronaren Angiographie (HR 0,41).

Wie eine Studie von Sahil Khera und seinen Kollegen aus dem Jahr 2015 zeigt, unterscheidet sich auch die Therapie nach einem ST-Hebungsinfarkt zwischen männlichen und weiblichen Patienten. Jüngere Frauen erhielten mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine Revaskularisierung. Und sie wiesen – im Vergleich mit altersgleichen Männern – eine höhere Krankenhaussterblichkeit auf.

Eine Studie aus 2009 zeigt, dass Frauen auch bei den Komplikationen nach perkutaner Koronarintervention (PCI) schlechter abschneiden: Sie haben häufiger einen kardiogenen Schock, eine Herzinsuffizienz oder Blutungs- oder vaskuläre Komplikationen.

Gebrochenes-Herz-Syndrom: 90 Prozent der Patienten sind Frauen

 
Die Interpretation dieser Symptome kann schwieriger sein und zu einer verzögerten Diagnose und Therapie führen. Dr. Barbara Stähli
 

Als wichtige Differenzialdiagnosen spielen bei Frauen mit ACS-Verdacht die spontane Dissektion und das Tako-Tsubo Syndrom (Stress-Kardiomyopathie oder Gebrochenes-Herz-Syndrom) eine Rolle. Die „Infarktzacken“ im EKG und manchmal auch ein marginaler Anstieg der Herzenzyme im Blut sprechen zunächst für einen Herzinfarkt. Das Tako-Tsubo-Syndrom tritt bei 8% der Frauen und weniger als 1% der Männer mit ACS-Verdacht auf – bis zu 90% der Patienten sind weiblich.

Bei bis zu 70% der Patienten können Trigger ausgemacht werden – bei Frauen vor allem emotionale Trigger, bei Männern sind die Trigger vornehmlich physischer Natur. „Das Tako-Tsubo-Syndrom galt lange als benigne Erkrankung mit einer raschen Erholung der linksventrikulären Funktion. Neuere Studien weisen aber darauf hin, dass die Komplikationsrate mit der von ACS-Patienten vergleichbar ist. Und Registerdaten zeigen eine gleich hohe Langzeitmortalität wie bei ACS“, betont Stähli.

Spontane Koronardissektionen – reine Frauensache?

Spontane Koronardissektionen – treten sie nur bei Frauen auf? Dr. Tim Schäufele, Oberarzt der Abteilung Kardiologie des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart, präsentierte in seinem Vortrag eine ganze Reihe von Hinweisen, die genau darauf hindeuten.

Schäufele beschrieb z. B. den Fall einer 42 Jahre alten Patientin (BMI 33,3 kg/m²), die via Notarzt in die Notaufnahme kam. Sie litt an plötzlichen, aus der Ruhe heraus einsetzenden thorakalen Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm. „Weder waren Vorerkrankungen bekannt noch eine familiäre Prädisposition“, berichtete Schäufele. Im EKG zeigten sich lediglich leichte Veränderungen in der Vorderwand.

„Die Frage ist – wäre man bei einem Mann gleichen Alters jetzt schon aktiv geworden oder würde man da auch warten?“, sagte Schäufele. Das Labor bestätigte einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt. Der Koronarbefund der linken Herzkranzarterie zeigte den relativ kräftigen proximalen RIVA (Ramus interventricularis anterior) mit einem kurzen Hauptstamm: „Ein adäquat großer RIVA war allerdings nicht zu sehen.“ Nach großen Mengen Nitro zeichnete sich der verhangene RIVA ab, dahinter verbarg sich eine langstreckige Dissektion.

 
Die Frage ist – wäre man bei einem Mann gleichen Alters jetzt schon aktiv geworden oder würde man da auch warten? Dr. Tim Schäufele
 

Spontane Dissektionen (SCAD, Spontaneous Coronary Artery Disease) werden entsprechend der Arbeit von Amelia Yip und Jacqueline Saw in 3 Typen eingeteilt: Typ 1 zeigt sich in einer typisch fleckenförmigen Kontrastierung mit transluzenten Arealen und einem langsamem Run-off oder Gefäßverschluss. Wesentlich schwieriger zu erkennen ist Typ 2 – eine diffuse, konische Verengung größer als 20 bis 30 mm, keine Reaktion auf Nitroglyzerin, in der Optischen Kohärenztomografie (OCT) zeigen sich Hämatom und Doppellumen. „Auf den ersten Blick wird der Typ 2 möglicherweise gar nicht als typische Dissektion erkannt. Tut man nichts, normalisiert sich die Situation wieder“, so Schäufele.

Eine SCAD des Typs 3 ist eine der koronaren Herzerkrankung ähnliche fokale Verengung: „Man würde nicht auf die Idee kommen, dass es sich hier um eine Dissektion handelt“, so Schäufele. Auffällig ist eine altersspezifische Häufung im Alter zwischen 45 und 55 Jahren, der Peak liegt dabei zwischen 45 und 50 Jahren. Die SCAD-Inzidenz liegt bei 1 bis 2% aller ACS-Fälle pro Jahr.

Eine Übersichtsarbeit  von Jacqueline Saw unterscheidet arteriosklerotische von nicht-arteriosklerotischen Formen der SCAD. Bei letzteren scheinen hormonelle Veränderungen im Rahmen einer Schwangerschaft, Bindegewebserkrankungen (z. B. fibromuskuläre Dysplasien oder das Marfan-Syndrom) und auch medikamentöse Therapien (z. B. Steroide) eine Rolle zu spielen. Fibromuskuläre Dysplasien fanden Saw und ihr Team bei 72% der SCAD-Patienten. Bei den arteriosklerotischen SCAD-Formen ist die Vulnerabilität des Endothels maßgeblich, Scherstress, der zur Hämatombildung und letztlich zur Dissektion führt.

Die Studienlage zu SCAD sei unbefriedigend, betonte Schäufele. Tatsächlich sind prospektive Daten kaum verfügbar, denn bei 95% der Studien handelt es sich um Fallberichte. So auch bei Michelle Keir und ihren Kollegen, die jüngst von einer Patientin berichteten, deren spontane Dissektion im Zusammenhang mit Steroiden auftrat: „Es scheint durch die Steroidtherapie zu einer Auflockerung des Gewebes zu kommen, die Koronardissektionen möglicherweise begünstigt.

 

REFERENZEN:

1. 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, 30. März bis 2. April 2016, Mannheim

 

Kommentar

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