Chicago – Eine 6-monatige Behandlung mit dem PCSK9-Inhibitor Evolocumab (Repatha®, Amgen) führt bei Patienten mit unkontrolliert hohem LDL-Cholesterinspiegel, die kein Statin vertragen, zu einem dramatischen Rückgang der Cholesterinwerte. Der traditionellen Statin-Alternative Ezetimib ist der PCSK9-Inhibitor dabei signifikant überlegen. Das zeigt die große klinische Studie GAUSS-3, die jetzt bei den Scientific Sessions 2016 des American College of Cardiology (ACC) in Chicago vorgestellt worden ist [1].

Dr. Steven Nissen
Studienleiter Dr. Steven Nissen, der die Ergebnisse beim Kongress präsentierte, hatte dort aber noch ein zweites Highlight zu bieten: Einen Einblick in die lange umstrittene, tatsächliche Prävalenz der muskelbedingten Statinunverträglichkeit.
Die aus 2 Phasen bestehende GAUSS-3-Studie startete mit einer 24-wöchigen doppelblinden Run-in-Phase mit erneuter Statinprovokation: Patienten, die zuvor schon auf mindestens 2 verschiedene Statine mit Muskelbeschwerden reagiert hatten, erhielten 10 Wochen lang randomisiert Atorvastatin 20 mg/Tag oder ein Placebo. Darauf folgten eine 2-wöchige Auswaschphase und dann als Crossover der Wechsel auf das jeweils andere Studienmedikament – Placebo oder Atorvastatin 20 mg/Tag – wieder für 10 Wochen. Ziel dieser Phase war es, herauszufinden, welche Patienten tatsächlich eine Statinunverträglichkeit hatten.
Wie viele Patienten vertragen wirklich kein Statin?
Insgesamt waren es knapp 43% der 491 randomisierten Patienten, die unter der verblindeten Gabe von Atorvastatin, aber nicht unter Placebo ein Rezidiv der Muskelsymptome hatten. 27% der Patienten berichteten auch unter Placebo von den Symptomen und 10% unter beiden Therapien. „Dies zeigt den großen Einfluss, den die Wahrnehmung des Patienten auf die Fähigkeit hat, Statine zu tolerieren“, schreiben die Wissenschaftler um Nissen in der zeitgleich in JAMA erschienenen Publikation zu GAUSS-3 [2].
Die darauf folgende 2. Studienphase mit Randomisierung auf Evolocumab oder Ezetimib war dann auf diese 43% beschränkt, die während des Run-ins mit Atorvastatin Symptome einer Statinunverträglichkeit zeigten. Patienten mit solchen Symptomen unter Placebo wurden vom 2. Teil der Studie ausgeschlossen.
Die 218 Patienten mit bestätigter Statinunverträglichkeit erhielten 24 Wochen lang randomisiert Evolocumab (420 mg, 1 Injektion/Monat) oder Ezetimib-Tabletten (10 mg täglich). Zu Beginn dieser Studienphase hatten die Teilnehmer einen durchschnittlichen LDL-Cholesterinspiegel von 220 mg/dl.
Nach der 24-wöchigen Behandlung war das LDL-Cholesterin bei den mit Evolocumab behandelten Patienten um durchschnittlich 52,8% gesunken – verglichen mit einer Senkung von nur 16,7% in der Ezetimib-Gruppe.
Trotz sehr hoher Ausgangswerte wurde das Ziel eines LDL-Cholesterins von unter 70 mg/dl bei fast 30% der mit Evolocumab behandelten Patienten erreicht. Bei den mit Ezetimib behandelten Patienten erreichten nur 1,4% dieses Therapieziel.
Über Muskelbeschwerden klagten in dieser 2. Studienphase 21% der Patienten in der Evolocumab-Gruppe und 29% in der Ezetimib-Gruppe, doch nur 0,7% bzw. 7% brachen die Therapie aufgrund dieser Symptome ab.
Muskelbeschwerden sind „echtes und reproduzierbares Phänomen“
„Diese Ergebnisse liefern einzigartige Einblicke in das schwierige klinische Problem der Muskelbeschwerden bei mit Statin behandelten Patienten“, sagte Nissen, der an der Cleveland Clinic die Abteilung für Kardiovaskuläre Medizin leitet. „Evolocumab senkte das LDL-Cholesterin beträchtlich und nur wenige Patienten litten unter Muskelbeschwerden. Die Studie wird Auswirkungen sowohl auf die Leitlinien als auch das Vorgehen regulatorischer Behörden haben“, prognostiziert Nissen, „denn sie liefert starke Evidenz, dass die muskelbezogene Statinunverträglichkeit ein echtes und reproduzierbares Phänomen ist.“
Die Prävalenz der muskelbezogenen Statinunverträglichkeit hat in der Vergangenheit zu beträchtlichen Kontroversen geführt. In großen randomisierte Studien waren die Raten an Muskelsymptomen niedrig gewesen, während in Beobachtungsstudien 5-20% der Patienten unter Statintherapie Muskelbeschwerden hatten.
„Statinunverträglichkeit ist eines der verzwicktesten Probleme für Kardiologen“, sagte Nissen. „Denn es führt dazu, dass Patienten mit hohen LDL-Cholesterinspiegeln und einem hohen Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse zögern oder gar völlig unwillig sind, Statine einzunehmen, die einzigen cholesterinsenkenden Medikamente, für die gezeigt wurde, dass sie das kardiovaskuläre Risiko senken. Diese Situation ist für Arzt und Patient gleichermaßen frustrierend, denn bislang gab es keine gute Alternative für die Behandlung mit Statinen.“
Evolocumab, ein Vertreter der noch relativ neuen Medikamentenklasse der PCSK9-Inhibitoren, ist ein Nicht-Statin-Cholesterinsenker, der vom Patienten alle 2-4 Wochen selbst injiziert werden muss.
PCSK9-Inhibitoren: Logische Wahl als Therapiealternative zu Statinen
„PCSK9-Inhibitoren wirken in der Leber und nicht am Muskel. Aufgrund ihres andersartigen Wirkmechanismus waren sie eine logische Wahl als alternative Therapie für Patienten, die Statine nicht vertragen“, sagte Nissen.
Evolocumab bindet an das Protein PCSK9 und verhindert so, dass es LDL-Cholesterinrezeptoren auf der Leberoberfläche abbaut. Ziel ist, die Anzahl dieser Rezeptoren auf der Leber zu erhöhen, so dass die Leber effektiver Cholesterin aus dem Blut entfernen kann. Ezetimib, die klassische Statin-Alternative, die in GAUSS-3 als Kontrolle verwendet wurde, senkt das Cholesterin, indem sie die Cholesterinabsorption im Dünndarm verringert.
„Da nur eine Minderheit von Patienten trotz Behandlung mit Evolocumab optimale LDL-Cholesterinwerte erreichte, könnte es sich lohnen, bei denjenigen Patienten, die eine weitere LDL-Cholesterinsenkung benötigen, die Zugabe von Ezetimib zu Evolocumab zu erforschen“, schreiben die Autoren. Bei aller Begeisterung räumen sie aber ein, dass diese Medikamente anders als Statine nicht für die Prävention kardiovaskulärer Ereignisse zugelassen seien.
Sollten statinintolerante Patienten einen PCSK9-Inhibitor bekommen?
In einem begleitenden Editorial in JAMA schreibt Dr. David D. Waters von der Division of Cardiology,
am San Francisco General Hospital: „Die Ergebnisse sind aufschlussreich, aber es bleiben auch viele offene Fragen, zuvorderst ob statinintolerante Patienten mit einem PCSK9-Inhibitor wie Evolocumab behandelt werden sollten [3].“
Waters zufolge sprechen mehrere Argumente gegen ein solches Vorgehen: Wie auch die Autoren bereits einräumten, sind PCSK9-Inhibitoren für diese Indikation nicht zugelassen. Vorläufige Ergebnisse seien zwar ermutigend, doch bislang konnte noch nicht gezeigt werden, dass PCSK9-Inhibitoren kardiovaskuläre Ereignisse verhindern. Ein weiteres Argument: „Ein Fünftel der statinintoleranten Patienten in GAUSS-3 klagten auch unter Behandlung mit Evolocumab über muskelbezogene Nebenwirkungen“, schreibt Waters. Und nicht zuletzt seien die beträchtlichen Kosten der PCSK9-Inhibitoren zu berücksichtigen.
Ein Patient mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko mit unerträglichen Muskelbeschwerden selbst bei geringer Statindosierung könne als Kandidat für eine PCSK9-Inhibitortherapie angesehen werden, meint Waters. Doch wahrscheinlich würde weniger als 1% der „statinintolerablen“ Patienten in diese Gruppe fallen.
Patienten wissen Statine oft nicht zu schätzen
Doch was soll mit den anderen Patienten mit Statinunverträglichkeit geschehen? Ginge es nach Waters, hieße es für die Patienten wohl Zähne zusammenbeißen. Er schreibt: „Die Patienten konzentrieren sich auf die aktuellen Beschwerden, wissen aber oft nicht zu schätzen, dass die Statine sie langfristig vor kardiovaskulären Ereignissen schützen.“
Ärzte sollten seiner Meinung nach hartnäckig weiter nach einer Lösung suchen, die die Symptome minimiert und die Risikoreduktion maximiert. Und während das „Vermächtnis der Statine“ in dieser Hinsicht „beeindruckend“ sei, stünden die PCSK9-Inhibitoren gerade erst am Anfang.
REFERENZEN:
1. American College of Cardiology Scientific Sessions 2016, 2. bis 4. April 2016, Chicago
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: PCSK9-Hemmer Evolocumab als Alternative bei Statin-Unverträglichkeit: Dramatische LDL-Senkung und weniger Muskelschmerz - Medscape - 5. Apr 2016.
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