Erneute Bestätigung: Verlängerte Antibiotikatherapie beim Post-Lyme-Syndrom ohne klinischen Vorteil

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

5. April 2016

Ob bei Patienten mit einem Post-Lyme-Syndrom eine verlängerte Antibiotikatherapie notwendig und effektiv ist, wird seit langem kontrovers diskutiert. Einer aktuellen Studie im New England Journal of Medicine zufolge verspricht diese Behandlungsstrategie keinen Erfolg [1]. Zumindest erwies sich eine insgesamt 14-wöchige Antibiose als genauso wirkungsvoll wie eine Antibiotikatherapie über 2 Wochen.

Prof. Dr. Dr. Helmut Eiffert, geschäftsführender Oberarzt des Instituts für Medizinische Mikrobiologie der Universitätsmedizin Göttingen, betrachtet die vorliegende Untersuchung als eine Bestätigung früherer Studien und rät entsprechend von einer generellen Verlängerung der Antibiotikatherapie bei anhaltenden unspezifischen Beschwerden ab. „Folgezustände nach einer Lyme-Borreliose sollten symptomatisch behandelt werden“, sagt er auf Nachfrage von Medscape Deutschland.

Borrelien nicht die Ursache anhaltender Symptomatik

Selbst nach einer initial mit Antibiotika behandelten Lyme-Borreliose können in seltenen Fällen unspezifische Symptome über längere Zeit persistieren. Dieser als Post-Lyme-Syndrom bezeichnete Symptomkomplex ist u.a. gekennzeichnet durch neurokognitive Einschränkungen, Müdigkeit und Fibromyalgie-ähnliche Schmerzzustände.

 
Folgezustände nach einer Lyme-Borreliose sollten symptomatisch behandelt werden. Prof. Dr. Dr. Helmut Eiffert
 

Die Ursache der anhaltenden Beschwerden ist unklar. Eine Hypothese lautet, dass die Borrelien trotz Antibiotikatherapie im Gewebe erhalten bleiben. Eine Fortführung der Antibiose – gegebenenfalls über mehrere Wochen oder Monate – soll die Erreger dann endgültig eliminieren.

Eiffert schließt zwar nicht aus, dass sich in Einzelfällen noch Erreger nachweisen lassen, doch die  Regel sei dies nicht, betont er. „Als Ursache für die anhaltenden Beschwerden kommen Spätschäden der Infektion oder Autoimmunreaktionen in Betracht“, erklärt er. Die Symptomatik sei also nicht auf die Erreger zurückzuführen und eine Antibiotikatherapie demzufolge unnütz.

Eine Reihe kontrollierter Studien aus Nordamerika habe bereits gezeigt, dass eine verlängerte Antibiose beim Post-Lyme-Syndrom keine substantiellen Effekte hervorrufe, schreibt das niederländische Autorenteam um Dr. Anneleen Berende vom Radboud University Medical Centre in Nijmegen in der aktuellen Publikation. Nichtsdestotrotz fänden sich in einzelnen Leitlinien (z. B. von der International Lyme and Associated Diseases Society; ILADS) noch immer Empfehlungen für eine verlängerte Therapie.

Die randomisiert-kontrollierte und doppelblinde Studie von Berende und ihren Kollegen stützt nun die Ergebnisse der vorangegangenen klinischen Untersuchungen, die gegen die Langzeitantibiose sprechen. Zudem fügt sie dem bestehenden Wissen noch einen neuen Aspekt hinzu. Denn es ist die erste diesbezügliche Untersuchung aus Europa, wo andere Borrelien-Spezies im Umlauf sind als in Nordamerika.

Ein Antikörpernachweis ist kein hinreichendes diagnostisches Kriterium

In die Studie aufgenommen wurden 281 Patienten aus den Niederlanden, die für eine Lyme-Borreliose typische Beschwerden wie Gelenkschmerzen, Arthritis, kognitive Einschränkungen oder Müdigkeit aufwiesen und bei denen zuvor eine klinische Lyme-Borreliose diagnostiziert worden war. Das heißt, dass bei den Patienten maximal 4 Monate vor Studienbeginn die für eine Lyme-Borreliose typische Wanderröte (Erythema migrans) aufgetreten war oder ein direkter Erregernachweis, z.B. mithilfe Laborkultur oder PCR, vorlag.

Außerdem wurden Patienten mit positiven IgG- oder IgM-Antikörperbefunden in die Studie aufgenommen. Ein Aspekt, den Eiffert kritisch bewertet. So sei der Antikörpernachweis nicht immer ein hinreichendes diagnostisches Kriterium. Dies illustriert auch die relativ hohe Antikörperprävalenz gegen Borellia burgdorferi von 6 bis13% in der deutschen Allgemeinbevölkerung.

„Ein positiver serologischer Befund ist nicht ungewöhnlich. Ein ursächlicher Zusammenhang zur beobachteten Symptomatik ist in diesen Fällen allerdings nicht belegt“, sagt er. Letztlich hätten in der aktuellen Studie nur 96 Teilnehmer (34%) eine gesicherte Diagnose aufgewiesen, so Eiffert. Die Aussagekraft der Studie ist entsprechend eingeschränkt.

 
Als Ursache für die anhaltenden Beschwerden kommen Spätschäden der Infektion oder Autoimmunreaktionen in Betracht. Prof. Dr. Dr. Helmut Eiffert
 

Positiv bewertet der Göttinger Experte dagegen die realistische Konzeption der Studie. Kein Patient wurde ausschließlich mit Placebo behandelt. Stattdessen erhielten zunächst alle Teilnehmer eine Standardersttherapie (2.000 mg Ceftriaxon i.v. pro Tag über 2 Wochen). Erst im Anschluss daran erfolgte die Randomisierung in 3 Gruppen: 86 Patienten erhielten über weitere 12 Wochen Doxycyclin, 96 Studienteilnehmer die Kombination Clarithromycin/Hydroxychloroquin und weitere 98 Patienten nahmen in dem 3-monatigen Studienzeitraum ein Placebo ein.

14-wöchige Antibiotikatherapie ohne klinischen Vorteil

Die Effektivität der Therapie wurde mit Hilfe des Fragebogens SF-36 gemessen, einem Instrument zur Bewertung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Primärer Endpunkt war die Lebensqualität am Ende der 14-wöchigen Behandlungsperiode. Die Sicherheit der jeweiligen therapeutischen Strategien wurde zudem bei medizinischen Untersuchungen in der 2., 8. und 14. Studienwoche überprüft.

Das Ergebnis lässt sich relativ kurz zusammenfassen: Die körperliche Funktionsfähigkeit, eine einzelne Sektion des verwendeten Fragebogens, hatte sich bei allen Studienteilnehmern nach 14 Wochen geringfügig gebessert (im Schnitt um 4,6 Punkte auf der Skala, eine klinische Relevanz wurde ab einem Unterschied von 3 Punkten angenommen). Im Hinblick auf den Gesamtparameter „Gesundheitsbezogene Lebensqualität“ konnten Berende und ihre Kollegen am Ende des Studienzeitraums jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den 3 Gruppen feststellen.

„Die vorliegende Studie deutet darauf hin, dass eine 14-wöchige antimikrobielle Therapie gegenüber einer kurzzeitigeren Behandlung keinen klinischen Vorteil bringt“, heißt es denn auch in der Publikation. Zumindest bei der hier untersuchten Patientenpopulation, fügen die Autoren hinzu.

Mediziner sollten sich der Risiken der verlängerten Antibiotikatherapie bewusst sein

Doch nicht nur die fehlende Effektivität der verlängerten Antibiotikatherapie ist bemerkenswert, sondern auch die hohe Nebenwirkungsrate bei den Teilnehmern. „Obwohl die Nebenwirkungen meist milder Natur waren, berichteten 68,6% von mindestens einer unerwünschten Wirkung“, betonen Prof. Dr. Michael T. Melia und Prof. Dr. Paul G. Auwaerter von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore in ihrem Editorial [2].

Am häufigsten berichteten die Patienten von Übelkeit und Durchfall. Nebenwirkungen, die vermutlich in einem direkten Zusammenhang mit den angewendeten Arzneimitteln ständen, so Melia und Auwerter. Wer als Mediziner also versucht sein sollte, einem Patienten mit anhaltenden unspezifischen Beschwerden Antibiotika über einen längeren Zeitraum zu verordnen, sollte sich der damit verbundenen Risiken bewusst sein, so ihre Meinung.

Auch Eiffert spricht sich für eine genaue Abwägung von Nutzen und Risiken einer verlängerten Antibiotikabehandlung aus. Da überhaupt nur in den seltensten Fällen Borrelien bei Patienten mit Post-Lyme-Syndrom gefunden würden, sei die Langzeittherapie in den allermeisten Fällen nutzlos. Folgezustände nach einer Borrelien-Infektion müssten stattdessen symptomatisch behandelt werden, z.B. mit Antidepressiva oder Antiphlogistika.

Außerdem sollte in Betracht gezogen werden, dass die unspezifischen Beschwerden die verschiedensten Ursachen haben und auch vollkommen unabhängig von der Lyme-Borreliose auftreten könnten, ergänzt Eiffert. Mediziner sollten deshalb – auch bei positiven Antikörperbefunden – alternative Diagnosen wie Schlafstörungen oder Depressionen in Betracht ziehen - auch wenn sich diese Krankheitsbilder nicht so einfach mit Antibiotika behandeln ließen.

 

REFERENZEN:

1. Berende A, et al: NEJM 2016;374:1209-20

2. Melia MT, et al: NEJM 2016;374:1277-1278

 

Kommentar

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