2018 soll es so weit sein: Großbritannien hat beschlossen, eine Zuckersteuer auf Softdrinks einzuführen. Reine Fruchtsäfte sind nach den Regierungsplänen von der Steuer ausgeschlossen. Eine neue Studie, die nun im British Medical Journal veröffentlicht wurde, stellt diese Einschränkung allerdings infrage: „Der Zuckergehalt in vielen Fruchtsäften, Fruchtsaft-Getränken und Smoothies für Kinder ist inakzeptabel hoch“, kritisieren die Autoren von der School of Dentistry der University of Liverpool [1].
Erstautorin Jane Boulton und ihre Kollegen nahmen mehr als 200 speziell für Kinder vermarktete und in Supermärkten verkaufte Säfte und kohlensäurefreie Getränke unter die Lupe. Im Mittel enthielten die untersuchten Produkte 7,0 g/100 ml an freien Zuckern. Deutlich höher war die durchschnittliche Zuckerkonzentration mit 10,7 g/100 ml in reinen Fruchtsäften (mit 100% Fruchtgehalt). Am allerhöchsten war sie mit 13,0 g/100 ml in Smoothies, am niedrigsten mit 5,6 g/100 ml in Fruchtsaftgetränken. Ein weiteres Ergebnis: In mehr als 40% der untersuchten Getränke waren pro Standard-Portionsgröße (200 ml) mindestens 19 Gramm Zucker versteckt, was den Autoren zufolge der für Kinder empfohlenen maximalen Tagesdosis an freien Zuckern entspricht.

Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland
Als Softdrink wäre Saft steuerpflichtig
Alle untersuchten Getränke würden somit – wären sie Softdrinks – unter die geplante Zuckersteuer fallen. Diese soll 2 Stufen haben: eine für Getränke ab 5 g Zucker pro 100 ml und eine für Getränke mit mehr als 8 g. Aktuell sind für die beiden Steuerstufen Aufschläge von ca. 22 bzw. 30 Cent pro Liter angedacht.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) begrüßte bereits die Ankündigung der britischen Regierung, eine Zuckersteuer für Hersteller von Softdrinks einzuführen: „Der Beschluss sollte auch für Deutschland ein Vorbild sein, weil eine solche Steuer hilft, Übergewicht und Diabetes zu verhindern“, betont DDG-Vizepräsident Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland. Angesichts der neuen Studienergebnisse könne man durchaus daran denken, eine solche Steuer nicht nur für Softdrinks, sondern auch für andere Getränke und Lebensmittel mit hoher Energiedichte zu erheben, sagt er zu Medscape Deutschland.

PD Dr. Frank Jochum
Dass in Fruchtsäften und anderen für Kinder vermarkteten fruchthaltigen Getränken oft viel zu viel Zucker bzw. Kalorien versteckt sind, bestätigt der Berliner Pädiater PD Dr. Frank Jochum von der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) gegenüber Medscape Deutschland: „Hinsichtlich ihres Zuckergehalts sind Fruchtsäfte praktisch auf eine Stufe mit Softdrinks oder Limonaden zu stellen – zum Durstlöschen sind weder die einen noch die anderen geeignet.“ Kinder sollten demnach bereits von klein an daran gewöhnt werden, ihren Durst mit Wasser und ungesüßtem Tee zu stillen. Natürlich spreche nichts dagegen, gelegentlich zum Genuss auch mal einen Saft oder Softdrink zu konsumieren.
Irrglaube an den „gesunden Saft“
Doch: „In keinem Land der Welt wird so viel Saft getrunken wie in Deutschland und viele Eltern glauben, dass vor allem reine Fruchtsäfte besonders gesund und gut für ihre Kinder seien – im Hinblick auf die in ihnen enthaltenen Kalorien ist dies aber ein großer Irrtum“, gibt Jochum zu bedenken. Keine Lösung sei es, Zucker in Fruchtsaftgetränken oder Limonaden durch Zuckeraustauschstoffe zu ersetzen: „Denn auch diese Getränke schmecken sehr süß und verstärken damit das Verlangen nach anderen süßen Lebensmitteln, ohne dass sich ein Sättigungsgefühl einstellt.“
Die Autoren der britischen Studie empfehlen, Früchte idealerweise nicht als Saft, sondern als Ganzes zu konsumieren. Sie raten Eltern, Fruchtsaft zumindest mit Wasser zu verdünnen, ungezuckerte Säfte zu bevorzugen und auch diese ihren Kindern nur zu den Mahlzeiten und nicht mehr als 150 ml pro Tag davon anzubieten. Weiterhin fordern sie Getränkehersteller dazu auf, auf unnötige Zucker- und Kalorienzusätze in Säften und anderen Fruchtsaftgetränken zu verzichten. Dies sei notfalls durch gesetzliche Regelungen zu gewährleisten.
Kinderschutz erfordert gesetzliche Maßnahmen
Gesetzliche Maßnahmen befürwortet auch Jochum: „TV-Spots für energiereiche Kinder-Lebensmittel, wie sie im deutschen Privatfernsehen von morgens bis abends laufen, sind in anderen Ländern wie etwa Norwegen verboten und sollten es auch hier sein.“ Nicht zuletzt sieht Jochum auch die Ärzte in der Pflicht: „Analog zur zahnärztlichen Aufklärung über die Kariesgefahr durch Zucker bieten sich für Kinder- und Jugendärzte insbesondere die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen an, um ihre Patienten bzw. deren Eltern für die Problematik eines übermäßigen Zuckerkonsums zu sensibilisieren.“
Deutschland hinkt in seinen Bemühungen um eine gesundheitsgerechte Umgestaltung der Lebensbedingungen vielen anderen Ländern hinterher. So erheben etwa Norwegen, Frankreich, Belgien, Ungarn und Mexiko Steuern auf Getränke mit zugesetztem Zucker und haben der DDG zufolge damit bereits Erfolge erzielt – der Konsum seitens der Bevölkerung sei zurückgegangen und die Ernährungswirtschaft habe ihre Produktrezepturen verbessert.
REFERENZEN:
1. Boulton J et al: BMJ Open 2016;6:e010330
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Diesen Artikel so zitieren: Großbritannien beschließt Zuckersteuer für Softdrinks – aber auch Fruchtsaft enthält zu viel Zucker, mahnen Forscher - Medscape - 4. Apr 2016.
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