Chicago – Bei Patienten mit mittlerem Risiko und durchschnittlichen Cholesterin- und Blutdruckwerten kann eine Cholesterinsenkung mit Statinen in der Primärprävention das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 25% reduzieren. Eine antihypertensive Therapie dagegen nutzt nur Patienten mit höheren Blutdruckwerten – die allerdings profitieren von einer Kombination aus Statin und Antihypertensivum mit einer bis zu 40%igen Risikoreduktion. Das sind die Ergebnisse dreier Analysen der großen HOPE-3-Studie, die zeitgleich auf der 65. Jahrestagung des American College of Cardiology in Chicago vorgestellt wurde und im New England Journal of Medicine erschienen ist [1,2,3].
„Die Auswirkungen für die Praxis sind immens. Ich denke, wir können in Betracht ziehen, Statine weitergehend einzusetzen, als wir das bislang getan haben“, sagte Prof. Dr. Salim Yusuf, Epidemiologe und Kardiologe am Department of Medicine der McMaster University in Hamilton, Ontario auf der Pressekonferenz des ACC. „Insbesondere für Patienten mit Hypertonie legen unsere Studienergebnisse nahe, dass sich der Benefit der Blutdrucksenkung bei Hypertonikern verdoppelt, wenn man gleichzeitig auch das Cholesterin reduziert“, fügte das Senior-Mitglied des HOPE-3-Forscherteams hinzu.
Folgen einer Präventivtherapie in einer großen, ethnisch unterschiedlichen Population

Prof. Dr. Salim Yusuf
Die umfangreiche Primärpräventionsstudie HOPE-3 (Heart Outcomes Prevention Evaluation) testete eine Therapie mit Rosuvastatin, Candesartan plus Hydrochlorothiazid (HCT) sowie beide Regimes in Kombination – dies in einer Kohorte von 12.705 Teilnehmern mit einem 2x2-faktoriellen Studiendesign. Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulär bedingten Todesfällen sowie nicht-tödlichen Myokardinfarkten oder Schlaganfällen. Ein zweiter primärer Endpunkt schloss noch den überlebten Herzstillstand, Herzinsuffizienz sowie Revaskularisierungsmaßnahmen (Bypass oder Angioplastik) mit ein. Das mediane Follow-up lag bei 5,6 Jahren.
Frühere Primärpräventionsstudien hatten sich vor allem auf die Auswirkungen von Cholesterin- und Blutdrucksenkung bei Patienten mit etablierten kardiovaskulären Erkrankungen oder anderen Hochrisikobedingungen wie Nierenerkrankungen oder Diabetes konzentriert – oder die Patienten hatten zumindest deutlich erhöhte Cholesterin- oder Blutdruckwerte. HOPE-3 ist nun die erste Studie, die die Folgen einer Primärprävention mit Statinen und Antihypertensiva in einer großen, weltweiten Population mit lediglich mittlerem Risiko für die Entwicklung einer kardiovaskulären Erkrankung untersucht hat.
Die Frauen (60 Jahre oder älter) und Männer (55 Jahre oder älter) in der Studie wiesen dementsprechend initial keine KHK oder Schlaganfall auf. Das Risiko der Probanden wird als „moderat erhöht“ angegeben, sie mussten mindestens einen zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktor haben, also Rauchen, niedriges HDL-Cholesterin, eine schlechte Blutzuckereinstellung, Nierenfunktionsstörung oder eine positive Familienanamnese für KHK. HOPE-3 fand in mehr als 20 Ländern statt. Die Studienpopulation bestand fast zur Hälfte aus Frauen, die Mehrzahl der Teilnehmer war nicht-europäischer Herkunft.
Blutdrucksenkung allein verringert die Rate an kardiovaskulären Ereignissen nicht …
Dr. Eva Lonn vom Population Health Research Institute in Hamilton, Ontario, Kanada, stellte die Ergebnisse des ersten HOPE-3-Armes zur Blutdrucksenkung vor. Die Teilnehmer (n = 12.705) wurden entweder auf Candesartan 16 mg täglich plus HCT 12,5 mg täglich oder Placebo randomisiert [1].

Dr. Eva Lonn
Der durchschnittliche Blutdruck der Teilnehmer zu Studienbeginn lag bei 138,1/81,9 mmHg. Er nahm in der Therapiegruppe mit 6,0 vs. 3,0 mmHg stärker ab als in der Placebogruppe. Eine niedrigere Rate an kardiovaskulären Ereignissen zeigte sich dadurch aber nicht: Der erste primäre Endpunkt trat bei 260 Teilnehmern (4,1%) in der Behandlungsgruppe auf und bei 279 (4,4%) in der Placebogruppe (Hazard Ratio: 0,93; 95%-Konfidenzintervall: 0,79-1,10; p = 0,40).
Der zweite primäre Endpunkt trat bei 312 Probanden (4,9%) in der Therapiegruppe und 328 Probanden (5,2%) unter Placebo auf (HR: 0,95; 95%-KI: 0,81-1,11; p = 0,51). Nur in einer von 3 präspezifizierten Subgruppen wiesen die Patienten (alle hatten einen systolischen Blutdruck über 143,5 mmHg) eine signifikant niedrigere Rate beim ersten und zweiten primären Endpunkt auf als die Placebogruppe (p = 0,02 und p = 0,009).
„Über die gesamte Population hatten die Blutdrucksenker keinen klaren Benefit, aber bei den Patienten mit einem höheren Blutdruck zu Studienbeginn – über 143,5 mmHg – war die Behandlung effektiv. Allerdings zeigte sich kein Benefit bei denjenigen mit niedrigerem Blutdruck und sogar eine Tendenz hin zu eher negativen Effekten bei den Patienten, deren Blutdruckwert im unteren Drittel lag“, betonte Lonn und fügte hinzu: „Die Daten legen nahe, dass Blutdrucksenker für Patienten mit Hypertonie angemessen sind, sie zeigen aber auch, dass Menschen mit niedrigerem Blutdruck, die keine anderen Gründe haben, Blutdrucksenker zu nehmen, diese Mittel besser meiden sollten.“ Als Nebenwirkung trat laut Lonn vor allem Benommenheit auf, es sei aber in Folge der Blutdrucksenkung nicht zu Synkopen oder Niereninsuffizienz gekommen.
... die Cholesterinsenkung dagegen schon

Prof. Dr. Jackie Bosch
Im zweiten Arm wurden die Probanden auf Rosuvastatin (10 mg täglich) oder auf Placebo randomisiert. Rosuvastatin reduzierte das LDL-Cholesterin um 34,6 mg/dl (0,9 mmol/l). Der erste primäre Endpunkt trat bei 235 Probanden (3,7%) in der Rosuvastatin-Gruppe und bei 304 Probanden (4,8%) unter Placebo auf (HR: 0,76; 95%-KI: 0,64-0,91; p=0,002). Die Ergebnisse hinsichtlich des zweiten primären Endpunktes waren konsistent mit denen des ersten (277 Probanden, 4,4% in der Rosuvastatingruppe und 363 Probanden, 5,7% in der Placebogruppe; HR: 0,75; 95%-KI: 0,64-0,88; p=0,001). Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse konnte damit also um 25% verringert werden.
Die Resultate waren auch in den Subgruppen konsistent, etwa bei unterschiedlichem kardiovaskulärem Ausgangsrisiko, bei unterschiedlichem Lipid- oder CRP-Level, unabhängig vom Blutdruck und der ethnischen Gruppe. Es gab in der Rosuvastatin-Gruppe nicht mehr Diabetes- oder Krebserkrankungen, allerdings gab es mehr Katarakt-OPs (bei 3,8% vs. 3,1%; p=0,02) und Muskelbeschwerden (5,8% vs. 4,7%; p=0,005).
„Zu einer Zunahme an Rhabdomyolysen, Myopathien oder neuem Diabetes kam es unter der Statinbehandlung nicht“, sagte Prof. Dr. Jackie Bosch von der McMaster University und Direktor des Präventionsprogramms am Population Health Research Institute, der die Analyse vorstellte. Er fuhr fort: „Unsere Take-home-Message ist: Statine sind sicher und effektiv. Und zwar, weil der Nutzen unabhängig war von den vorbestehenden Cholesterinwerten oder der Höhe der Entzündungsmarker. Es waren zu Studienbeginn auch keine Bluttests erforderlich, um die Patienten zu identifizieren, bei denen ein deutlicher Benefit zu erwarten war.“ Bosch fügte hinzu: „Unsere Ergebnisse waren bemerkenswert konsistent über alle Subgruppen.“
Kombination als erster formeller Test einer „Polypille“
Der dritte Studienarm schließlich analysierte die Patienten, die beides – Rosuvastatin (10 mg täglich) und Candesartan/HCT (16 mg/12,5 mg täglich) – erhalten hatten, jeweils versus Placebo. Die Ergebnisse zeigten, dass diejenigen, die die Kombination erhalten hatten, beim ersten primären Endpunkt signifikant niedrigere Raten aufwiesen als diejenigen, die dual Placebo erhalten hatten: 3,6% vs 5,0% (HR: 0,71; 95%-KI: 0,56-0,90; p = 0,005).
Beim zweiten primären Endpunkt war das Verhältnis ähnlich: 4,3% vs. 5,9% (p=0,003). Muskelschwäche und Schwindelgefühl waren unter der Kombinationstherapie verbreiteter als unter dualem Placebo, doch insgesamt war die Abbruchrate in beiden Gruppen ähnlich. „Es handelt sich um den ersten formellen Test einer ‚Polypille“ im Hinblick auf klinische Ereignisse“, so Yusuf. „Die Ergebnisse zeigen, dass das Konzept bei Patienten mit Bluthochdruck stichhaltig ist, andere profitieren dagegen davon nicht.“
Er fügt hinzu: „Die meisten Hypertonie-Leitlinien fokussieren sich darauf, welche Medikamente eingesetzt und welcher Zielblutdruck angestrebt werden sollte, die Bedeutung von Statinen in der Behandlung von Hypertonikern wurde bislang sehr wenig betont“, sagte Yusuf. „Unser Ansatz, der eine Kombination moderater Dosen von zwei Blutdrucksenkern plus Statin vorsah, scheint was die Reduktion von Ereignissen angeht, den größten ‚Bang‘ mit wenigen Nebenwirkungen zu verursachen“, betonte er.
Was bedeuten die HOPE-3-Ergebnisse für SPRINT?
„HOPE 3 liefert Evidenz, um manche gegenwärtige Leitlinienempfehlung zu unterstützen, und dürfte künftige Leitlinien beeinflussen“, konstatieren Dr. William C. Cushman und Dr. David C. Goff in ihrem begleitenden Editorial [4]. Dass es im Blutdrucksenker-Arm nicht gelungen war, das Risiko zu reduzieren, könnte durch die relativ niedrige Dosierung der Antihypertensiva, das relativ niedrige Risiko der Gruppe oder auch durch Zufall bedingt sein, so Cushman und Goff. Lässt man den Zufall beiseite, „könnten wir aus diesen Resultaten neue Einsichten bezüglich der Einleitungsschwelle und der Behandlungsziele für blutdrucksenkende Mittel gewinnen“. Angesprochen auf die niedrige Dosierung der Antihypertensiva betonte Yusuf: „Ein aggressiverer Ansatz hätte womöglich zu besseren Resultaten geführt – doch zu welchem Preis? Der sollte nicht mit Nebenwirkungen bezahlt werden müssen.“
Wie Medscape.com berichtet, wunderte sich Dr. Patrick T O'Gara vom Brigham and Women's Hospital in Boston, weshalb ASS nicht ins Studiendesign eingeschlossen war. Yusuf entgegnete darauf, dass die Rolle von ASS bei dieser Art der Behandlung – also der Primär- und nicht der Sekundärprävention – noch nicht ausdiskutiert sei.
Dr. Valentin Fuster vom Mount Sinai Medical Hospital in New York lobte die Durchführung der Studie trotz des komplexen Settings. Er habe die Ergebnisse aus dem Arm mit der Blutdrucksenkung so erwartet, sagte er – und er sei gespannt auf einen Vergleich der Daten mit den Ergebnissen von SPRINT.
Als Limitation werten die Studienautoren, dass HOPE-3 die Teilnehmer zwar für mehr als 5 Jahre beobachtet hat – also im Vergleich zu den meisten klinischen Studien eher langfristig – es aber dennoch einige Jahre oder auch Jahrzehnte dauern könne, bis sich der vollständige Nutzen der Präventionsbemühungen in vollem Umfang zeige.
Es sei möglich, dass die Ausweitung der Studie auf einen längeren Zeitraum noch mehr Benefit enthülle, so ihr Fazit. Die Studienteilnehmer sollen nun weitere 3 bis 5 Jahre nachverfolgt werden. Untersucht werden sollen dabei auch Effekte auf die Kognition, erektile Dysfunktion und das Sehvermögen. Auch Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen und geografischen Regionen sollen analysiert werden.
REFERENZEN:
1. 65. American College of Cardiology Scientific Sessions 2016, 2. bis 4. April 2016, Chicago/USA
2. Lonn E, et al: NEJM (online) 2. April 2016
3. Yusuf, S, et al: NEJM (online) 2. April 2016
4. Cushman WC, et al: NEJM (online) 2. April 2016
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Diesen Artikel so zitieren: HOPE-3: Primärprävention bei nur moderatem kardiovaskulärem Risiko – Statine punkten, Antihypertensiva eher nicht - Medscape - 4. Apr 2016.
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