Frankfurt – „Ribonukleinsäuren sind lange Zeit auf wenige Funktionen reduziert worden. Dabei sind sie die eigentlichen Strippenzieher in der Zelle“, sagte Prof. Dr. Harald zur Hausen bei der Verleihung des Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreises in der Frankfurter Paulskirche. Für seine Arbeiten, wie nicht-kodierende RNA zelluläre Prozesse reguliert, erhielt Dr. Claus-Dieter Kuhn von der Universität Bayreuth die mit 60.000 Euro dotierte Auszeichnung.

Prof. Dr. Harald zur Hausen
© DKFZ
Schon lange bekannt sind 3 Klassen von Ribonukleinsäuren – die ribosomale, die Transfer- und die Boten-RNA (mRNA) –, die für die Umsetzung des genetischen Programms verantwortlich sind. „Es gibt aber noch eine vierte, sehr heterogene Klasse von RNA-Molekülen: nicht-kodierende RNA“, erklärte Kuhn. Und diese Ribonukleinsäuren haben vielfältige Funktionen.
So beeinflussen verschiedene Arten längerer RNAs, wann bestimmte Gene abgelesen werden. „Andere RNAs verhindern, dass Gene abgelesen werden“, so Kuhn. Ob diese regulatorischen RNAs auch therapeutisch genutzt werden könnten, wird seit einigen Jahren untersucht.
Kuhn erhielt die Auszeichnung, „weil seine Arbeiten die Aussichten auf eine therapeutische Nutzung der Ribonukleinsäuren verbessert haben“, so zur Hausen, der Vorsitzende des Stiftungsrats der Paul Ehrlich-Stiftung. Der 37-jährige Strukturbiologe und Biochemiker leitet eine Nachwuchsgruppe am Forschungszentrum für Bio-Makromoleküle der Universität Bayreuth, die vom Elitenetzwerk Bayern gefördert wird.
Der Preisträger beschäftigt sich seit 13 Jahren mit Ribonukleinsäuren. Um RNA-Moleküle zu studieren, verbringe der junge Familienvater oft Tag und Nacht im Labor, sagte Prof. Dr. Patrick Cramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen, in seiner Laudatio: „Schließlich hofft er auch auf Erkenntnisse, die von biomedizinischer Bedeutung sind. Für die Biomedizin scheint die RNA immer wieder Türen zu öffnen.“ So seien auch die beiden Paul Ehrlich-Preisträgerinnen, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, RNA-Forscherinnen (wie Medscape Deutschland berichtete).
Vielfältige Funktionen der Ribonukleinsäuren

Dr. Claus-Dieter Kuhn
Als Doktorand beschäftigte sich Kuhn in der früheren Arbeitsgruppe von Cramer am Genzentrum der Universität München mit der RNA-Polymerase I, einem essentiellen Enzym der Proteinbiosynthese. Zusammen klärten sie die dreidimensionale Struktur dieses Enzyms mithilfe der Kryoelektronenmikroskopie auf. „Danach haben wir herausgefunden, warum RNA-Polymerase I so effizient Gene abliest“, erklärte Kuhn. Im Gegensatz zum Schwester-Enzym RNA-Polymerase II besitzt die Polymerase I eine eingebaute Fehlerkorrektur.
Nach seiner Promotion ging Kuhn ins Cold Spring Harbor Laboratory auf Long Island bei New York und forschte dort an Argonaute-2. Argonaute-Proteine spielen eine wichtige Rolle in der Regulierung von Genen. Zusammen mit seinen Kollegen Elad Elkayam und Prof. Leemor Joshua-Tor gelang es Kuhn, die Struktur des humanen Proteins Argonaute-2 aufzuklären.
Dies trug zu einem besseren Verständnis der RNA-Interferenz bei, mit der Zellen die Übersetzung ihrer mRNA in Proteine regulieren. Bei der RNA-Interferenz wird eine einzelsträngige mRNA von einer komplementären, an Argonaute-2 gebundenen microRNA erkannt. Nach dieser Erkennung leitet Argonaute-2 den Abbau der mRNA ein. Dieses Wissen hat den Weg für die Entwicklung kleiner RNAs für therapeutische Zwecke bereitet.
„Humane RNA-Interferenz für gentherapeutische Zwecke zu nutzen, fasziniert viele Pharmafirmen“, erklärte Kuhn gegenüber Medscape Deutschland, „jedoch sind die Probleme der gezielten Applikation von kleinen RNAs analog zur Antisense-Technologie für therapeutische Zwecke im Menschen noch nicht gelöst.“
„Micro-RNAs können sehr große RNAs blockieren und Gene abschalten. Obwohl die micro-RNAs erst vor kurzem entdeckt wurden, verdichten sich bereits die Hinweise darauf, dass sie etwa ein Viertel unserer ca. 23.000 Gene regulieren können“, so Cramer in seiner Laudatio.
In einem weiteren Projekt untersuchte Kuhn, wie Zellen defekte Transfer-RNA (tRNA) erkennen und abbauen, berichtete Cramer: „Fehlerhafte tRNAs leiten ihre Zerstörung interessanterweise selbst ein. Man könnte sagen, dass fehlerhafte RNAs Suizid begehen, um das Leben der Zellen nicht zu gefährden.“
Defekte tRNAs sorgen durch ihre fehlerhafte Struktur selbst dafür, dass sie 2 bestimmte „Qualitäts-Etiketten“ (CCA) erhalten – im Gegensatz zu fehlerfreien tRNAs, die nur mit einem CCA-Etikett markiert werden. Defekte tRNAs werden nach dieser Markierung zerstört.
Kuhn konnte zeigen, wie das CCA-anhängende Enzym arbeitet und es ermöglicht, dass defekte tRNAs ihren eigenen Abbau einleiten. „Diese Form der Qualitätskontrolle bei der Proteinherstellung war bislang unbekannt“, sagte der Preisträger. „Wir haben hier erstmals einen Mechanismus entdeckt, mit dem sich tRNAs selbst kontrollieren – und sich damit selbst abbauen, wenn sie nicht den Qualitätsansprüchen der Zelle genügen. Dieser Mechanismus ist wichtig, damit Proteine nicht fehlerhaft werden.“
Nicht-kodierende RNA spielt eine Rolle bei der Gewebsregeneration
Inzwischen ist Kuhn wieder in Deutschland und baut eine Forschungsgruppe in Bayreuth auf. „Er bleibt der RNA-Welt treu“, so Cramer. „Jetzt versuchen wir zu verstehen, wie nicht-kodierende RNA die Transkription reguliert. Denn Hunderttausende RNAs regulieren diesen Vorgang in einer Zelle“, erklärte Kuhn. Das könnte erklären, warum RNAs, wenn sie nicht mehr funktionieren, Auslöser für Krankheiten sind.
Kuhns Gruppe erforscht zum Beispiel piRNA, kleine RNA-Moleküle, die eine Rolle bei der Gewebserneuerung spielen. „Wahre Meister der Gewebsregeneration sind Süßwasser-Plattwürmer“, erklärt Cramer. Diese haben zahlreiche Stammzellen, Neoblasten, aus denen nach Verletzung Gewebe nachgebildet wird. „Wenn wir diese großartige Fähigkeit besser verstehen, können wir vielleicht lernen, warum die Regeneration beim Menschen eingeschränkt ist“, so Cramer in seiner Laudatio. „Vielleicht hilft dieses Wissen später bei der Entwicklung einer ethisch vertretbaren regenerativen Medizin.“
Kuhn und sein Team untersuchen, welche Rolle piRNA bei der Regeneration dieser Würmer spielt. Sie erwarten, dass piRNA dafür verantwortlich ist, dass wichtige Gene in Neoblasten ausgeschaltet bleiben. Die Forscher wollen herausfinden, welche Gene das sind und wie sich diese Erkenntnisse auf die Regeneration menschlicher Gewebe und Organe übertragen lassen.
Außerdem erforscht Kuhns Gruppe eine erst 2010 entdeckte Gruppe von RNAs, die aktivierenden nicht-kodierende RNAs (ncRNA-a). Sie spielten zusammen mit dem Mediator-Kinase-Komplex eine große Rolle beim Ablesen vieler Gene, erklärte er gegenüber Medscape Deutschland – „welcher, das untersuchen wir gerade“.
Beispielsweise werden Resistenzen bei Chemotherapien und die Entstehung mancher Krebsarten durch die Interaktion von ncRNA-a und Mediator beeinflusst. Kuhn hofft, dass durch ein besseres Verständnis dieser Interaktionen effizientere Krebsmedikamente mit weniger Nebenwirkungen entwickelt werden können.
Kuhn und seine Mitarbeiter analysieren weitere neue Klassen an nicht-kodierender RNA, die zwar identifiziert werden konnten, „deren Funktion jedoch noch größtenteils im Dunkeln liegt“, berichtete Kuhn. Der Preis bestärke ihn, „diesen experimentell anspruchsvollen Weg weiterzugehen, weil wir nur so verstehen werden, wie RNA-Moleküle steuern, welche unserer Gene an- oder abgeschaltet werden. Ich hoffe, dass unsere Bayreuther Arbeit damit zum fundamentalen Verständnis der Rolle von RNA in heutigen Organismen beiträgt.“
Denn: „Erst in den letzten Jahren ist klar geworden, bei wie vielen und welchen Prozessen RNA eine Rolle spielt“, erklärte Kuhn gegenüber Medscape Deutschland. „RNA legt bei vielen Prozessen in der Zelle den Kippschalter um – oder eben nicht.“
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Paul Ehrlich-Nachwuchspreis 2016: Genregulation durch RNA – „Aussichten auf therapeutische Anwendung verbessert“ - Medscape - 30. Mär 2016.
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