Krankenschwester-Studie: Schwere Arbeit treibt bei hohem Blutdruck Risiko für ischämische Herzkrankheiten nach oben

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

29. März 2016

Frauen mit arterieller Hypertonie, die in ihrem Beruf oft schwere Lasten heben oder andere körperlich anstrengenden Arbeiten verrichten, sind einem höheren Risiko für ischämische Herzkrankheiten ausgesetzt. Dies zeigt eine prospektive Kohortenstudie aus Dänemark, die mehr als 12.000 Krankenschwestern über 15 Jahre begleitete [1].

Krankenschwestern mit Bluthochdruck, die ihre Arbeit als körperlich belastend bezeichneten, hatten in der Studie ein 3-mal höheres Risiko, eine KHK zu entwickeln, als ihre Kolleginnen mit normalem Blutdruck, die nur moderat anstrengende körperliche Arbeit ausführten. Bestätige sich dieser Zusammenhang in künftigen epidemiologischen Studien, „sollte dieses erhöhte Risiko in die Beratung zur Gesundheit am Arbeitsplatz integriert und eine Veränderung der Tätigkeiten von Krankenschwestern mit Bluthochdruck in Betracht gezogen werden“, schreibt das Autorenteam um die Doktorandin Karen Allesøe im European Journal of Preventive Cardiology

Studie liefert Argumentationshilfe

Prof. Dr. Martin Middeke

Als „ wichtige Studie“ mit „großer praktischer Bedeutung für die konkrete Beratung betroffener Menschen“ bezeichnet Prof. Dr. Martin Middeke vom Hypertoniezentrum München die dänische Untersuchung. Auch Prof. Dr. Rainer Hambrecht, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Klinikum Links der Weser in Bremen und Vorsitzender der Projektgruppe „Prävention“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), misst der Untersuchung Bedeutung zu – zum einen aufgrund der hohen Fallzahl von mehr als 12.000 beobachteten Krankenschwestern, zum anderen seien solche Assoziationsstudien wichtige Argumentationshilfen in der Prävention.

Prof. Dr. Rainer Hambrecht

„Diese Arbeiten helfen uns, Patienten und auch Politiker davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, Risikofaktoren besser in den Griff zu bekommen“, erklärt er im Gespräch mit Medscape Deutschland. So sei die Beobachtung, dass hypertensive Frauen, die im Job physischem Stress ausgesetzt sind, ihr KHK-Risiko potenzieren „ein wichtiger Baustein“ in der Risikobewertung.

Körperliche Anstrengungen am Arbeitsplatz wie das Heben und Tragen schwerer Lasten erfordern erwiesenermaßen eine erhöhte Herzleistung. Sie führen damit zu phasenweise erhöhtem Puls und akuten Blutdruckspitzen. Unter diesen dauerhaft ungünstigen Blutflusskonditionen litten die Gefäße und es könne sich Atherosklerose bilden, vermuten die Autoren. Die Frage sei nun, ob Frauen mit Bluthochdruck, die solche Arbeiten verrichten, einer zusätzlichen Gefahr ausgesetzt seien, schreiben Allesøe und ihre Kollegen.

KHK-Risiko um 300 Prozent erhöht

 
Das impliziert, dass körperlich anstrengende Arbeit Frauen mit Bluthochdruck besonders schadet. Karen Allesøe und Kollegen
 

Um dieser Vermutung nachzugehen, haben sie 1993 im Rahmen der Danish Nurse Cohort Study 12.093 Krankenschwestern im Alter von 45 bis 64 Jahren unter anderem zu Bluthochdruck und ihrer körperlichen Arbeitsbelastung befragt. Die körperliche Belastung war in 4 Kategorien aufgeteilt – sitzend, moderat, anstrengend und strapaziös. In die beiden höchsten Kategorien (zusammengefasst als körperlich anstrengende Tätigkeiten) stuften sich 46,3% der Krankenschwestern ein, 34,4% bezeichneten ihre körperliche Anstrengung als moderat, 19,3% arbeiteten meist sitzend.

Diese Selbsteinschätzung sei zum einen relativ „grob“, zum anderen „subjektiv“, kritisiert allerdings Hambrecht. Präziser wäre eine objektive Messung körperlicher Aktivität, etwa durch Schrittzähler oder Pulsmesser.

Während der 15-jährigen Nachbeobachtung traten insgesamt 580 Fälle ischämischer Herzkrankheit (63,6% Angina pectoris, 23,8% Myokardinfarkt, 12,6% andere Erkrankungsformen) auf. Krankenschwestern mit Bluthochdruck hatten ein doppelt so hohes Risiko wie diejenigen, deren Blutdruck nicht erhöht war. Anstrengende Arbeiten erhöhten das KHK-Risiko im Vergleich zu moderaten Tätigkeiten um 34%. Das Risiko einer ischämischen Herzkrankheit war bei hypertensiven Frauen, die ihre Arbeit als körperlich anstrengend oder sogar strapaziös einstuften, am höchsten (Hazard Ratio: 2,87), im Vergleich zu normotensiven Frauen, die mittelschwere körperliche Arbeiten verrichteten.

Prof. Dr. Heribert Schunkert

„Das impliziert, dass körperlich anstrengende Arbeit Frauen mit Bluthochdruck besonders schadet“, schreiben die Autoren. „Ein um 300 Prozent erhöhtes Risiko ist schon bedenklich“, kommentiert Hambrecht. Diese Frauen müsse man innerhalb der betrieblichen Gesundheitsförderung „herauspicken“ und sie gezielt hinsichtlich der Modifikation von Lebensstilfaktoren beraten.

Kausalität fraglich?

Prof. Dr. Heribert Schunkert, Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums München und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung, sieht die Studie und deren Ergebnisse allerdings kritisch: „Die Beobachtung an sich ist äußerst interessant, jedoch unterscheiden sich die beiden Gruppen hypertensiver und normotensiver Studienteilnehmer derart, dass eine Kausalität problematisch erscheint“, erklärt er gegenüber Medscape Deutschland.

So waren die normotensiven Frauen im Schnitt jünger, hatten einen höheren BMI und rauchten mehr. Obwohl die Autoren der Studie die Ergebnisse hinsichtlich dieser Risikofaktoren angepasst haben, zweifelt Schunkert an, dass sich das 3-fach erhöhte Risiko ausschließlich auf die Arbeitsbelastung und die Hypertonie zurückführen lässt. Zudem seien fast 2 Drittel aller KHK-Diagnosen ausschließlich aufgrund einer Angina-pectoris-Symptomatik gestellt worden.

„Angina pectoris ist bei Frauen mittleren Alters schwer einzuordnen“, gibt Schunkert zu bedenken. Daher sei fraglich, ob tatsächlich alle Krankenschwestern, die diese Symptomatik hatten, an einer ischämischen Herzkrankheit litten. „Ich zweifle die Diagnose einer KHK an, die nur auf Angina pectoris beruht. Vielleicht traf das nur auf die Hälfte oder vielleicht sogar nur auf ein Viertel der Frauen mit Angina pectoris zu – was die Ergebnisse wiederum beeinflussen könnte.“

Doppelte Atherosklerose-Gefahr

Zusammenhängen könnte das festgestellte stark erhöhte KHK-Risiko mit einer doppelten Atherosklerosegefahr – einmal durch punktuell immer wieder erhöhten Puls und Blutdruck beim Heben und Tragen, zweitens durch den bereits chronisch erhöhten Blutdruck, vermuten die Autoren. Außerdem, schreiben Allesøe und ihre Kollegen, könne ein immer wieder stark erhöhter Blutdruck zu Plaque-Rupturen führen.

 
Ein um 300 Prozent erhöhtes Risiko ist schon bedenklich. Prof. Dr. Rainer Hambrecht
 

„Die während anstrengender Arbeiten wie Heben und Tragen auftretenden Blutdruckspitzen könnten die schädlichen Auswirkungen des Bluthochdruckes noch verschlimmern“, so ihre Befürchtung.

Generell seien Frauen, die schwere körperliche Arbeiten verrichteten, auch hinsichtlich anderer Lebensumstände benachteiligt, etwa durch niedrige Schulbildung, was sich negativ auf die gesundheitliche Gesamtsituation und möglicherweise auch auf das KHK-Risiko, auswirken könne, vermutet Schunkert. „Die Studienergebnisse sensibilisieren schon dahingehend, dass es in der Gruppe der Hypertonikerinnen Frauen gibt, die aufgrund bestimmter Lebensumstände ein besonders hohes KHK-Risiko tragen“, fügt er an.

 
Ich zweifle die Diagnose einer KHK an, die nur auf Angina pectoris beruht. Prof. Dr. Heribert Schunkert
 

Auch Middeke warnt vor einer Anhäufung von Risikofaktoren in bestimmten Patientengruppen: Dass die hypertensiven Krankenschwestern in der dänischen Studie im Vergleich zu normotensiven Teilnehmerinnen signifikant häufiger übergewichtig und adipös waren(44% vs 25%), sei „sowohl eine (Teil-)Ursache für die Hypertonie als auch ein zusätzlicher Risikofaktor für die KHK. Wenn nun auch noch physischer Arbeitsstress hinzukommt, ist das erhöhte Risiko nicht verwunderlich“, warnt der Hypertonie-Experte im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Übergewichtige oder adipöse Frauen seien oft auch nicht gut trainiert. Sie seien besonders risikoanfällig durch drastische Blutdruckanstiege bei statischen oder isometrischen Arbeiten, etwa dem Umbetten von Patienten bei Krankenschwestern. „Die Arbeitgeber sollten das wissen und dem Rechnung tragen“, fordert Middeke.

 

REFERENZEN:

1.  Allesøe K, et al: Eur J Prev Cardiol (online) 14. Februar 2014

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....