Berlin – Bei Tumorpatienten ist das Risiko für eine venöse Thromboembolie (VTE) 4- bis 7-fach erhöht. Auch Blutungen können vermehrt auftreten. Neben patienten- und krankheitsbedingten Faktoren wird das Risiko für Thromboembolien und Blutungen auch durch die eingesetzte Therapie bestimmt, wie Prof. Dr. Hanno Riess, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité Berlin, bei einem Symposium zu Blutungskomplikationen beim Deutschen Krebskongress 2016 in Berlin erläuterte [1].
Für das Auftreten von Thromboembolien und Blutungen sind zahlreiche Risikofaktoren bekannt. Frauen sind stärker gefährdet als Männer, mit zunehmendem Lebensalter steigt das Risiko ebenfalls. Riess erläuterte, dass durch unterschiedliche Tumoren unterschiedliche Hämostasestörungen ausgelöst werden können. Auch die zur Krebsbehandlung eingesetzte Therapie spielt eine Rolle. Als Beispiel nannte Riess den Angiogenesehemmer Bevacizumab, der sowohl das Thrombose- als auch das Blutungsrisiko erhöhen kann.
Erworbene Hämostasestörungen bei hämatologisch-onkologischen Erkrankungen und ihrer Therapie sind eine „komplexe Interaktion von Tumor-Individualität, Patienten-Individualität und spezieller Therapie“, so Riess. Im Einzelfall sei nicht vorhersehbar, welcher Tumorpatient eine VTE erleiden wird. Der Khorana-Risikoscore ermöglicht es nach Aussage von Riess jedoch bis zu einem gewissen Grad, das Risiko eines einzelnen Patienten zu erfassen.
Antikoagulation bei Tumorpatienten
In der S2-Leitlinie 2015 der AWMF zur VTE-Therapie wird empfohlen, Tumorpatienten mit Thrombose initial für 3 bis 6 Monate mit einem niedermolekularen Heparin (NMH) zu behandeln, wie Prof. Dr. Ralf Ulrich Trappe, Chefarzt der Medizinischen Klinik II, Evangelisches Diakoniekrankenhaus, Bremen, erläuterte. „In der Initialtherapie sind NMH dem UF-Heparin überlegen.“
5 Studien haben zudem eindeutig gezeigt, dass NMH in der Sekundärprophylaxe besser sind als Vitamin-K-Antagonisten. Dies waren Canthanox (n = 146), CLOT (n = 676), Lite (n = 200/737), Oncenox (n = 122) und CATCH (n = 900). CLOT und CATCH waren nach Aussage von Trappe die beiden wichtigsten Studien zu dieser Frage. Die CLOT-Studie ergab, dass Dalteparin das relative Risiko für ein VTE-Rezidiv im Vergleich zu Warfarin um 52% senkte, in der CATCH-Studie senkte Tinzaparin das relative Risiko für ein VTE-Rezidiv um 35% im Vergleich zu Warfarin. Der Unterschied war allerdings in der Intention-to-Treat-Auswertung nicht signifikant. Zudem waren die NMH sicherer als der VKA. „Wir haben also gute Daten für NMH“, fasste Trappe zusammen.
Neue orale Antikoagulanzien (NOAKs) wie Rivaroxaban oder Apixaban seien zwar nach den Ergebnissen der großen zulassungsrelevanten Studien bei vorwiegend nichtonkologischen Patienten in Wirksamkeit und Verträglichkeit mit den NMH vergleichbar, bei onkologischen Patienten rechtfertige jedoch die sehr dünne Datenlage derzeit eine Empfehlung zum Einsatz bei Tumorpatienten nicht, erläuterte Trappe.
Er habe zwar „das Gefühl, dass NOAKs interessante Substanzen sind. Aber die Datenlage für NOAKs bei Tumorpatienten ist sicherlich nicht ausreichend.“ In der CONKO-011-Studie sollen nun randomisiert Wirksamkeit und Verträglichkeit von Rivaroxaban und NMH bei 450 Krebspatienten verglichen werden. Die Ergebnisse werden im Jahr 2018 vorliegen. Deshalb gilt, dass NMH derzeit immer noch der Standard bei der Antikoagulation von Tumorpatienten sind.
Tumorassoziierte Blutungen – enge Begleitung des Patienten wichtig
Auch „Blutungen sind häufig“, so Dr. Marianne Kloke, Direktorin der Klinik für Palliativmedizin und des Instituts für Palliative Care, Kliniken Essen-Mitte. Sie gelten als schwerwiegende akute Komplikation und erfordern ein individuelles Therapie- und Begleitungskonzept. Kloke wies auf die zentrale Bedeutung von vorausschauendem Handeln hin. Man muss abschätzen, wie wahrscheinlich welche Blutung auftreten kann und welche kausalen Therapien möglich sind. Der Notfallplan muss rechtzeitig stehen und zu bedenken ist, was der Patient will.
Eine britische Leitlinie zum Management von terminalen Blutungen bei Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung empfiehlt einen 3-Stufen-Plan. Vor dem Ereignis sind im Sinne des vorausschauenden Handelns Risikofaktoren zu identifizieren und zu reduzieren. Wichtigste Maßnahme während des Ereignisses ist es, bei dem Patienten zu bleiben, ihn zu beruhigen und Ruhe zu vermitteln. Weiterhin kann der Gebrauch dunkler Handtücher und die Gabe von Anxiolytika erwogen werden. Nach dem Ereignis ist für alle Beteiligten eine praktische und psychologische Nachsorge angesagt.
Therapeutisch können Patienten mit Blutungen bestrahlt werden, dies ermöglicht in 2 Drittel der Fälle eine effektive Blutstillung. Die vorwiegend durch antiangiogene Effekte vermittelte Wirkung tritt innerhalb weniger Tage ein. Als Nebenwirkungen können Tumorzerfall mit Ausbildung von Kraterhöhlen, Fistelbildungen vor allem in vorbestrahlten Bereichen und Strahlenreaktionen auftreten.
Ferner berichtete Kloke über gute Erfahrungen mit systemischer und lokaler Gabe von Tranexamsäure. In Einzelfällen könne über eine Kombination von Octreotid und Tranexamsäure nachgedacht werden.
REFERENZEN:
1. 32. Deutscher Krebskongress, 24. bis 27. Februar 2016, Berlin
Diesen Artikel so zitieren: Venöse Thromboembolien bei Krebspatienten: (Noch) keine Evidenz für NOAKs - Medscape - 29. Mär 2016.
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