HIV: Therapie- und Präventionsmöglichkeiten immer besser, doch Infizierte werden immer noch diskriminiert

Petra Plaum

Interessenkonflikte

24. März 2016

München – HIV-Therapien werden immer nebenwirkungsärmer und bezahlbarer, hieß es bei den 16. AIDS- und Hepatitis-Tagen in München [1]. Und bei Männern und Frauen mit besonders hohem Ansteckungsrisiko zeige die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) Wirkung. Besteht also Anlass zu feiern? Nicht wirklich, wie Gespräche mit Beratungsstellenmitarbeitern zeigten: Noch immer würden HIV-Infizierte diskriminiert, sei es in der Zahnklinik, beim Frauenarzt oder bei der Physiotherapie.

Preise für ART werden weiter fallen

HIV werde irgendwann heilbar sein, zeigte sich Prof. Dr. Georg Behrens von der Klinik für Immunologie und Rheumatologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsident der Deutschen AIDS-Gesellschaft auf einer Kongress-Pressekonferenz überzeugt. „So sicher die Heilung von HIV meiner Meinung nach irgendwann kommen wird, so sicher wird sie ein Privileg der Privilegierten sein“, relativierte er dies jedoch.

 
So sicher die Heilung von HIV meiner Meinung nach irgendwann kommen wird, so sicher wird sie ein Privileg der Privilegierten sein. Prof. Dr. Georg Behrens
 

Mehr noch: „Die Heilung von HIV wird ein beschwerlicher Weg, der am Ende nur Wenigen ein virusfreies Leben bescheren und auf die Epidemie keinen Einfluss haben wird.“ Angesichts von aktuell geschätzten 83.400 HIV-infizierten Menschen in Deutschland müssten zunächst andere Ziele verfolgt werden, nämlich allen Patienten möglichst viel Lebensqualität zu sichern, auch ohne dauerhafte Heilung.

Die Preise für die antiretroviralen Therapien (ART) sänken zurzeit, so Behrens. Das gelingt vor allem dank der Vorgaben durch das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) und durch Generika. Dennoch liegen die Preise noch bei über 22.000 Euro pro Patient und Jahr. Mehr als 80% dieser Kosten entfallen auf die ART selbst – günstigere Medikamente kommen da sehr gelegen.

Eine beruhigende Nachricht für Ärzte kam von Dr. Wolfgang LangHeinrich von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen: „Für HIV-Therapien gab es bislang fast keine Regresse“, berichtete er. Gab es doch eine Regressforderung, dann aufgrund eines sogenannten sonstigen Schadens – weil ein Arzt zum Beispiel 3-mal so viel ART verordnet hatte, wie zulässig gewesen wäre.

Wie kann die Neuansteckungsrate gesenkt werden?

 
Wenn nicht … schnell und vernünftig gesundheitspolitisch pro PrEP entschieden wird, verpasst Deutschland eine großartige Präventionsmöglichkeit. Dr. Heiko Jessen
 

Die Anzahl der Neuinfektionen in Deutschland liegt seit Jahren stabil zwischen 3.000 und 4.000 im Jahr. Dass aktuell so viele Flüchtlinge ins Land kämen, werde daran nichts ändern, betonten gleich mehrere Experten auf dem Kongress. In Syrien und anderen arabischen Ländern gibt es anteilig genauso viele Menschen mit dem HI-Virus wie in Deutschland, geschätzt 0,1% der Bevölkerung.

Wer HIV-negativ ist, aber ein hohes Ansteckungsrisiko hat, sollte eine krankenkassenfinanzierte PrEP bekommen. Das forderte unter anderem Dr. Heiko Jessen, der in Berlin eine Allgemein- und HIV-Schwerpunktpraxis betreibt, auf einer der Pressekonferenzen. „Wenn nicht, wie in Frankreich, schnell und vernünftig gesundheitspolitisch pro PrEP entschieden wird, verpasst Deutschland eine großartige Präventionsmöglichkeit, die Krankheit, Leid und Stigma verhindern könnte“, betonte er.

Es gelte, den Tatsachen ins Auge zu sehen: So gut Kondome schützen, viele Männer erreichen damit keine dauerhafte Erektion und haben dann ohne Schutz Sex. Und dies auch dann, wenn die Partner häufig wechseln. Nicht zu vergessen: Es gibt HIV-negative Frauen mit Kinderwunsch, die jedoch nicht wissen, ob die HI-Viruslast ihres positiv getesteten Partners unterhalb der Nachweisgrenze liegt oder die sich trotz wirksamer ART ihres Partners zusätzliche Sicherheit wünschen.

Bis Ende 2016 könnte das Arzneimittel Truvada® mit den Wirkstoffen Emtricitabin und Tenofovir, das bereits als Therapie für HIV-Infizierte in Europa zugelassen ist, hier auch für die Prävention die Zulassung erhalten. Der Antrag liegt seit Februar bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur.

In Amerika bewährt sich die PrEP bereits, in Frankreich gilt seit Anfang des Jahres eine vorläufige Zulassung. Jessen verwies auf Erfahrungen aus San Francisco, wo mit einem erleichterten Zugang zur PrEP und zur Postexpositionsprophylaxe sowie einem beschleunigten Zugang zur ART die Neuansteckungsrate auf ein historisches Tief gesenkt wurde. „Ohne PrEP“, so Jessen, „ist nicht zu erwarten, dass es bis zum Ende des Jahrzehnts zu einer Reduktion der HIV-Inzidenzrate kommt.“

Ängste unter Ärzten halten sich hartnäckig

Wo sich jedoch definitiv niemand mit HIV infiziert, ist die Arztpraxis. Das betonten Beratungsstellenmitarbeiter nicht nur auf diesem Kongress, darüber informieren sie seit Jahren auf Veranstaltungen und in den Medien. „Die einzige Chance für einen Zahnarzt, HIV zu bekommen, ist, wenn er ungeschützten Sex mit einem HIV-positiven Mann hat“, verdeutlichte der Sozialpädagoge Martin Jautz, stellvertretender Bereichsleiter der Münchner Aids-Hilfe, im Gespräch mit Medscape Deutschland.

 
Die einzige Chance für einen Zahnarzt, HIV zu bekommen, ist, wenn er ungeschützten Sex mit einem HIV-positiven Mann hat. Martin Jautz
 

Im Jahr 2011 hatte eine Befragung der Münchner Aids-Hilfe gezeigt, dass jeder dritte HIV-Infizierte sich bei Zahnärzten schlecht behandelt fühlte, weil er zum Beispiel den letzten Termin des Tages zugeteilt bekam oder hektische Desinfektionsaktionen nach seinem Termin beobachtete.

Inzwischen gebe es zwar etwas weniger Rückmeldungen von Patienten, die sich bei Ärzten diskriminiert fühlten. „Das liegt aber eher daran, dass die Menschen sich vorab informieren, in welchen Praxen andere HIV-Infizierte gute Erfahrungen gemacht haben“, so Jautz. „Man muss sagen, selbst in München mit seiner großen Schwulen-Szene wissen viele Ärzte offenbar noch zu wenig über das HI-Virus.“

In Einzelfällen wird auch anno 2016 noch HIV-Infizierten eine physiotherapeutische oder zahnchirurgische Behandlung verweigert. Jautz dazu: „Ärzte sollten sich daran erinnern: Dieses Virus ist sehr, sehr leicht kontrollierbar. Die normale Praxishygiene reicht dazu absolut aus.“

 

REFERENZEN:

1. Münchner AIDS- und Hepatitis-Tage 2015, 11. bis 13. März 2016, München

 

Kommentar

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