Frankfurt –„Diese Entdeckung hat vermutlich ähnlich weitreichende Folgen für Biologie und Medizin wie seinerzeit die Entdeckung des Klonierens, des Sequenzierens und der PCR (Polymerase Chain Reaction)“, sagte Prof. Dr. Harald zur Hausen bei der Verleihung des Paul Ehrlich-Preises in der Frankfurter Paulskirche. Besagte Entdeckung ist die bakterielle Genschere CRISPR-Cas9, mit der sich DNA-Sequenzen gezielt ansteuern und zerschneiden lassen.

Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier
Für die Entdeckung und Weiterentwicklung dieser programmierbaren Genschere erhielten die Französin Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Prof. Dr. Jennifer A. Doudna den mit 100.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2016. Die 47-jährige Emmanuelle Charpentier ist Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und Gast-Professorin an der Universität Umeå in Schweden. Die 52-jährige Jennifer Doudna ist Professorin an der Universität von Kalifornien in Berkeley.
Dr. Claus-Dieter Kuhn von derUniversität Bayreuth erhielt in Frankfurt den mit 60.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis. Der Biochemiker und Strukturbiologe beschäftigt sich mit Ribonukleinsäuren, die nicht in Proteine übersetzt werden. Solche RNA hat weitaus mehr Funktionen in der Zelle als lange vermutet. Kuhn erhält die Auszeichnung, „weil seine Arbeiten die Aussichten auf eine therapeutische Nutzung der Ribonukleinsäuren verbessert haben“, so zur Hausen, der Vorsitzende des Stiftungsrats der Paul Ehrlich-Stiftung. Der 37-jährige Kuhn leitet eine Nachwuchsgruppe am Forschungszentrum für Bio-Makromoleküle der Universität Bayreuth, die vom Elitenetzwerk Bayern gefördert wird.

Prof. Dr. Jennifer A. Doudna
Steuerbare Genschere vereinfacht Editieren des Genoms
Charpentier und Doudna haben das Editieren des Erbguts radikal vereinfacht. „Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Forschung und die Medizin, weil in vielen unterschiedlichen Organismen genetische Eigenschaften jetzt müheloser getilgt, verändert oder ersetzt werden können“, betonte zur Hausen, der 1994 selbst den Paul Ehrlich-Preis und 2008 den Nobelpreis für Medizin erhalten hatte. CRISPR-Cas9 sei in kürzester Zeit zu einem der gefragtesten Werkzeuge in der molekularbiologischen Forschung avanciert, schreibt der Stiftungsrat in seiner Begründung. DNA konnte zwar schon vorher bearbeitet werden, aber nicht „derart mühelos, präzise, preiswert und schnell“.
„Das System CRISPR-Cas9 funktioniert wie eine Schere, die anhand einer mitgeführten RNA die dazu passende DNA erkennt und sequenzspezifisch schneidet“, erklärte Charpentier in Frankfurt. Damit könnten präzise Modifikationen von Genen durchgeführt, Mutationen korrigiert oder die Genexpression moduliert werden – jedes Genoms in allen Zellen und Organismen, so die Mikrobiologin weiter. „CRISPR-Cas9 ist einfach zu bedienen, günstig und vielseitig.“
Teil des Immunsystems von Bakterien zum universellen Werkzeug entwickelt
„Auch Bakterien können Grippe bekommen und durch Viren infiziert werden“, sagte Charpentier in ihrer Dankesrede. Bakterien haben aber auch ein adaptives Immunsystem und verteidigen sich mit verschiedenen Strategien gegen eindringende Phagen und Plasmide – eine davon ist CRISPR-Cas, so die Mikrobiologin weiter. Falls Bakterien ihre erste Begegnung mit einem Bakteriophagen überleben, schneiden sie ein kurzes Stück seiner DNA heraus und bauen es an eine bestimmte Stelle in ihr Erbgut ein. Diese Stelle ist der CRISPR-Locus („clustered regularly interspaced short palindromic repeats“).
Jeder so hinterlegte DNA-Schnipsel dient als „Fahndungsfoto“, falls sich der dazugehörige Phage noch einmal zeigt. Das Zerschneiden der fremden DNA erledigt dann das Enzym Cas9 (CRISPR-associated sequence), eine Endonuklease. Charpentier beschrieb bereits 2011 in Nature die Komponenten des besonders effizienten CRISPR-Cas9-Systems im Bakterium Streptococcus pyogenes und zeigte, dass das das System wie ein „Präzisionsskalpell“ arbeitet.
Charpentier und Doudna haben als Erste gezeigt, dass man diese von Bakterien entwickelte Genschere dazu benutzen kann, jede beliebige DNA-Sequenz anzusteuern und zu zerschneiden. Programmiert und dirigiert wird die Genschere über eine Führungs-RNA. Zu den Leistungen der beiden Wissenschaftlerinnen gehört es auch, dass sie die Genschere einfacher und bedienungsfreundlicher gemacht haben, indem sie 2 RNA-Stränge zu einer einzigen Führungs-RNA zusammengeführt haben.
Schon wenige Monate nach der Veröffentlichung dieser Entdeckung im August 2012 in Science haben mehrere Wissenschaftler, auch Doudna, gezeigt, dass CRISPR-Cas9 nicht nur im Reagenzglas, sondern auch in humanen Zellen funktioniert. Seither sind Tausende von Veröffentlichungen zu CRISPR-Cas9 erschienen; die Methode wird in unzähligen Labors weltweit angewandt und ständig weiterentwickelt.

Prof. Dr. Jörg Hacker
Die beiden Preisträgerinnen analysierten „Fragen der Grundlagenforschung, nämlich der Interaktion zwischen Bakteriophagen und Bakterien“, sagte Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, in seiner Laudatio. Dies sei jedoch nur ein Teil der Erfolgsgeschichte. Beide Forscherinnen erfassten sehr schnell, „dass es sich hierbei um ein genetisches Instrumentarium handelt, das … bei verschiedenen Organismen … zum Zuge kommen könne“ und ganz unterschiedliche Zellen verändern kann. Die Methodik habe einen „Run auf das neue System des Genome Editing ausgelöst“, so Hacker weiter.
Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin
Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig: Mit CRIPSR-Cas9 können Gene ausgeschaltet, verändert oder durch andere Gene ersetzt werden – z.B. in der Pflanzenzüchtung oder um Krankheitserreger zu bekämpfen. Durch das im Vergleich zu bisherigen Methoden schnellere Editieren der DNA lässt sich zudem leichter und genauer erfassen, wie sich einzelne genetische Veränderungen auf die Entstehung von Krankheiten auswirken.
„Mit CRISPR-Cas9 können der genetische Hintergrund und molekulare Mechanismen von Krankheiten besser verstanden werden“, so Charpentier. Auch an Therapien wird bereits geforscht. So konnte z.B. 2014 in menschlichen Blutstammzellen das Gen CCR5 so verändert werden, wie es natürlicherweise bei einem geringen Teil der Bevölkerung mit einer angeborenen Resistenz gegenüber HIV vorkommt. Dadurch wurden diese Zellen immun gegen HIV.
Charpentier sagte gegenüber Medscape Deutschland, dass derzeit an Behandlungsmöglichkeiten von Augen- und Blutkrankheiten geforscht werde. Sie nannte als Beispiel die Sichelzellanämie: Dem Patienten könnten Blutzellen entnommen werden, außerhalb des Körpers mithilfe CRISPR-Cas9 manipuliert und dem Patienten anschließend wieder infundiert werden – eine „Kombination aus Zell- und Gentherapie“.
Klinische Studien mit CRISPR-Cas9-basierten Gentherapien an Körperzellen werden in den nächsten Jahren erwartet, ist in einer Stellungnahme der Leopoldina und anderer Wissenschaftsorganisationen zu lesen, an der auch Charpentier mitgearbeitet hat.
Auch die Genschere macht Fehler
Probleme bei der neuen Technik macht noch die sogenannte Off-Target-Aktivität: Der Komplex aus Cas9 und Führungs-RNA kann den DNA-Strang nicht nur an den vorgesehenen Stellen, sondern auch an ähnlichen Stellen schneiden. So können unbeabsichtigte Mutationen an anderen Stellen im Genom als an den gewünschten hervorgerufen werden.
Forscher arbeiten an Lösungen, beispielsweise eine genaue und möglichst geringe Dosierung der Genschere. „Wir sind allerdings momentan noch nicht in der Lage, die Off-Target-Aktivität komplett auszuschließen“, so Charpentier. Gegenüber Medscape Deutschland erklärte sie, dass das Enzym unspezifischer arbeitet, wenn viel davon in einer Zelle vorhanden ist. Je weniger dagegen in der Zelle ist, desto weniger Fehler macht die Genschere. Außerdem komme es auf die Ziel-Gensequenz an, wie gut sie z.B zugänglich ist. Manche Gene seien erfolgreicher zu beeinflussen. Dass das System insgesamt noch spezifischer und effizienter werde, daran forsche sie.
Ethische Debatte im Gang
Die beiden Preisträgerinnen hätten sich schon früh für eine ethische Debatte eingesetzt, lobte zur Hausen. Denn mit CRISPR-Cas9 können nicht nur somatische Zellen verändert werden, sondern auch Veränderungen der Keimbahn vorgenommen werden.
So haben im April 2015 chinesische Wissenschaftler Arbeiten zum Genom-Editieren bei menschlichen Embryonen publiziert. Um das Potenzial der CRISPR-Cas9-Methode bei Embryonen zu untersuchen, wollten sie eine reparierende Mutation in das Beta-Globin-Gen einführen. Mutationen in diesem Gen führen zur Blutbildungsstörung Beta-Thalassämie, die in China häufig ist.
Allerdings zeigte sich eine geringe Effizienz der Methode und zahlreiche Off-Target-Mutationen – und damit, dass noch weitere Forschung nötig ist. Die Embryonen waren zwar nicht lebensfähig, da sie 3 statt 2 Chromosomensätze hatten, die Studie führte aber zu ethischen Diskussionen.
Beide Preisträgerinnen nahmen am „International Summit on Human Gene Editing“ teil, einem Ethikgipfel großer Wissenschaftsorganisationen im Dezember 2015 in Washington. In der Schlusserklärung, die Doudna als Mitorganisatorin auch unterschrieben hat, wird „das Genom-Editieren der Keimbahn so lange als unverantwortlich betrachtet, solange es ethische und sicherheitsrelevante Vorbehalte gibt“.
Das Schlussdokument fordert kein Moratorium des Editierens der Keimbahn, sondern die Intensivierung der Forschung innerhalb der gesetzlichen und ethischen Grenzen, um die Vorteile und Risiken des Genom-Editierens auszuloten.
In der Erklärung heißt es weiter, dass nichts für eine Keimbahntherapie spreche. Es gebe viele Sicherheitsbedenken, gesetzliche Grenzen und keine Notwendigkeit, da die Präimplantationsdiagnostik schon jetzt Eltern mit Erbkrankheiten zu einem gesunden Kind verhelfe. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz eine Intervention in der Keimbahn.
Charpentier ergänzte gegenüber Medscape Deutschland, dass die CRISPR-Cas9-Methode derzeit nicht für die Manipulation der Keimbahn bestimmt sei, sondern zur Manipulation somatischer Zellen – für Forschungszwecke, zur Prävention, zur Therapie.
Mit Hinweis auf den Namensgeber des verliehenen Preises sagte Charpentier in der Frankfurter Paulskirche: „Ich denke, dass Paul Ehrlich wahrscheinlich CRISPR-Cas9 als die ‚Magic Bullets des Genom-Editierens' bezeichnet hätte.“ Und auch Doudna verwies in ihrer Dankesrede auf Paul Ehrlich: In ihrer Kindheit habe sie das Buch „Dr. Ehrlich´s Magic Bullet“ von ihrem Vater erhalten und gelesen. Und sie war begeistert von der Idee, mithilfe chemischen Wissens die Biologie zu verstehen – eine Idee, die auch ihre Entscheidung beeinflusst habe, Biochemie zu studieren.
Wie funktioniert CRISPR-Cas9? Damit DNA an einer beliebigen Stelle geschnitten werden kann, muss die entsprechende Gensequenz bekannt sein, ein passendes RNA-Molekül hergestellt und mit dem Enzym Cas9 verbunden werden. Auf der Suche nach der komplementären (der zu schneidenden) DNA gleitet der Komplex aus Cas9 und der Führungs-RNA wie ein Schlitten über den DNA-Doppelstrang. Der Komplex stoppt immer dann, wenn er auf ein kurzes Sequenzmotiv namens PAM trifft. Bei jedem Halt wird geprüft, ob die mitgeführte Zielsequenz mit der Sequenzumgebung des PAM-Motivs identisch ist. In diesem Fall zerschneidet Cas9 die DNA an dieser Stelle. Passt die Sequenz nicht, sucht die Genschere weiter, bis sie fündig wird. Editiert und redigiert wird das Genom bei der Reparatur der offenen Doppelstrang-Enden nach dem Zerschneiden der DNA durch die zelleigene Reparaturmaschinerie. An der Schneidstelle kann dann ein neues DNA-Stück eingesetzt werden und so Gene ein- oder ausgeschaltet werden. ![]() |
Ein weiterer Bericht über den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis folgt.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Genomveränderungen leicht gemacht: Paul Ehrlich-Preis 2016 für Entdeckerinnen der steuerbaren Genschere - Medscape - 21. Mär 2016.
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