Berlin – Eine Diarrhoe ist das mit Abstand häufigste Gesundheitsproblem auf Reisen – insbesondere in Ländern mit niedrigeren Hygienestandards als bei uns. Zwar sind die akuten Beschwerden auch ohne Behandlung meist spätestens nach 4 Tagen verschwunden. „Es gibt jedoch mögliche Langzeitfolgen. Vor allem aber wächst in jüngster Zeit die Sorge, dass Reisedurchfall ein wichtiger Risikofaktor für die Einschleppung multiresistenter Darmbakterien durch Reiserückkehrer ist“, berichtete Prof. Dr. Robert Steffen von der Universität Zürich auf dem 17. Forum Reisen und Gesundheit anlässlich der Internationalen Tourismusbörse in Berlin [1].
Durchfallfolge Reizdarm
Zu den Langzeitfolgen der Reisediarrhoe zählt vor allem der Reizdarm, der etwa bei jedem 20. bis 30. Reiserückkehrer auftreten kann und Beschwerden über Monate oder sogar Jahre bereitet. Möglich ist aber ebenso, dass Reiserückkehrer ohne vorhergehende Diarrhoe ein Reizdarmsyndrom entwickeln. In beiden Fällen entsteht dieses höchstwahrscheinlich auf dem Boden einer veränderten Darmflora.
„Zudem weiß man, dass es bei einer gestörten Mikrobiota bzw. einer Dysbiose im Darm zu Wechselwirkungen mit dem Zentralen Nervensystem kommt“, erläuterte Reisemediziner Steffen gegenüber Medscape Deutschland. Demzufolge könnten emotionale Störungen mit den Reizdarmbeschwerden fortbestehen, lautet eine Hypothese.
Ältere Menschen sind anfälliger für multiresistente Keime
Störungen der Darmflora sind umso wahrscheinlicher, je „exotischer“ das bereiste Land und je schlechter die hygienischen Bedingungen dort sind. „Eine gestörte Mikrobiota des Darms bedeutet, dass sich dann auch häufiger multiresistente Keime ansiedeln“, so Steffen. Dies trifft vor allem auf Extended Spectrum ß-Lactamase produzierende Enterobacteriaceae (ESBL-PE) zu.
Besonders hoch ist das Risiko einer Akquisition dieser Bakterien auf dem indischen Subkontinent, in Südostasien und Nordafrika. Dabei sind ältere Personen insbesondere ab 65 Jahren anfälliger als junge Menschen, was möglicherweise durch die mit dem Alter nachlassende Immunabwehr (Immunseneszenz) zu erklären ist.
Bei bis zu 80 Prozent der Reiserückkehrer aus Indien: Besiedlung mit ESBL-Keimen
Aufsehen erregten die Ergebnisse einer 2015 veröffentlichten Studie von finnischen Forschern, nach denen jeder fünfte Tourist, der Länder mit niedrigen Hygienestandards bereist, mit multiresistenten ESBL-Darmbakterien nach Hause zurückkehrt. Das Risiko, solche zu akquirieren, erhöhte sich, wenn die Reisenden unterwegs an Durchfall erkrankt waren, und war nochmals deutlich erhöht, wenn dieser mit einem Antibiotikum behandelt wurde.
In der Kombination Reisedurchfall plus antimikrobielle Medikation lag das Risiko für Touristen, die den indischen Subkontinent bereisten, bei 80%. „Antibiotika können die intestinale Mikrobiota massiv verändern und damit auch die Anfälligkeit etwa für entzündliche Darmerkrankungen erhöhen“, erläuterte Steffen mit Verweis auf weitere Studien.
Auch wenn ESBL-Darmbakterien für den Träger per se nicht pathogen sind, können sie dennoch schnell gefährlich werden: etwa wenn sie auf offene Wunden gelangen, vor allem aber, wenn Reiserückkehrer diese Keime auf immungeschwächte Personen in ihrer Umgebung übertragen.
Differenzierte Beratung zum Antibiotika-Einsatz
„In der reisemedizinischen Beratung sind wir deshalb deutlich vorsichtiger geworden, was den Einsatz von Antibiotika beim Reisedurchfall angeht“, so Steffen. Während die Empfehlung für eine möglichst effektive Therapie der Reisediarrhoe früher oft „Motilitätshemmer plus Antibiotikum“ gelautet habe, sollte seiner Meinung nach nun je nach der Dringlichkeit des Behandlungsbedarfs differenziert werden: „Der übliche Badetourist zum Beispiel, der es nur wenige Meter vom Strand oder Pool zur Toilette hat, braucht keine Sofortheilung und kann seinen Durchfall auch ohne Antibiotikum auskurieren.“
Anders sehe es zum Beispiel bei Bergsteigern, Reisenden mit einem sehr gedrängten Tourenprogramm oder VIPs wie Politikern oder Künstlern auf Reisen aus. „Wer fern der Zivilisation im Himalaya unterwegs ist, mit der Reisegruppe dreimal am Tag in den Bus steigt oder Meetings als Geschäftsreisender hat, dem kann für seine Reiseapotheke bzw. den Bedarfsfall durchaus auch ein Antibiotikum verschrieben werden, wenn er damit einverstanden ist“, rät Steffen. Dafür in Frage kommende Präparate sind Chinolone wie Ciprofloxazin, für Reisen nach Süd- und Südostasien wegen der dort verbreiteten Resistenzen gegen Chinolone allerdings in erster Linie Azithromycin.
Motilitätshemmer allein kann ausreichen
Für eine weniger dringliche Behandlung des Reisedurchfalls kann dem Zürcher Reisemediziner zufolge auch der Motilitätshemmer Loperamid allein – ohne zusätzliches Antibiotikum – effektiv sein. Dabei dürften aber die für dieses Mittel bekannten Kontraindikationen nicht vergessen werden. Das Risiko einer Darmbesiedlung mit multiresistenten Keimen wird durch Loperamid, so eine weitere aktuelle Publikation der erwähnten finnischen Forschergruppe, nicht erhöht.
Bei einem Expertentreffen im kommenden April, das von der Stiftung der International Society of Travel Medicine in Atlanta organisiert wird, sollen nun aktualisierte Empfehlungen für Reisende und Ärzte formuliert werden, um insbesondere das Risiko einer Einschleppung antibiotikaresistenter Keime zu vermindern.
REFERENZEN:
1. 17. Forum Reisen und Gesundheit, 11. bis 12. März 2016, Berlin
Diesen Artikel so zitieren: Reisediarrhoe: Resistente Keime als Urlaubsmitbringsel – Reisemediziner raten zu weniger Antibiotika - Medscape - 18. Mär 2016.
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