Hoher Kaffeekonsum scheint einer aktuellen Studie im Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry zufolge das Risiko verringern zu können, an Multiple Sklerose (MS) zu erkranken [1]. Diese Schlussfolgerung ziehen die Wissenschaftler um Prof. Dr. Anna Karin Hedström vom Karolinska Institut in Stockholm nach Auswertung zweier populationsbasierter Fall-Kontrollstudien aus Schweden und den USA. Mit etwa 900 ml Kaffee täglich reduziert sich das MS-Erkrankungsrisiko ihren Berechnungen nach um rund 30%.

Prof. Dr. Peter Flachenecker
„Ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und Multiple Sklerose besteht, wird durch die Studie nicht geklärt“, erläutert indes Prof. Dr. Peter Flachenecker, Chefarzt des Neurologischen Reha-Zentrums Quellenhof in Bad Wildbad, im Gespräch mit Medscape Deutschland. Zwar hält auch er es für denkbar, dass das Trinken größerer Mengen Kaffees die Entstehung der MS beeinflusst. Allerdings sei es gerade bei einer multifaktoriell bedingten Erkrankung wie MS problematisch, nur einen einzelnen Faktor zu betrachten. „Mit dem hohen Kaffeekonsum könnte auch eine bestimmte Lebensweise verbunden sein“, sagt er. Und vielleicht seien es eher diese speziellen Lebensgewohnheiten, die sich auf die Entstehung der MS auswirken.
Befragungen zur konsumierten Kaffeemenge
Hedström und ihre Mitarbeiter analysierten die Daten einer schwedischen Fall-Kontrollstudie mit 1.620 MS-Patienten und 2.788 Kontrollen und einer US-Studie mit 1.159 MS-Patienten und 1.172 Kontrollen.
In beiden Studien wurden die Teilnehmer zu ihrem Kaffeekonsum befragt. In der schwedischen Untersuchung bezifferten die Studienteilnehmer, wie viele Tassen Kaffee sie täglich innerhalb verschiedener Zeiträume getrunken hatten: im Alter von 15 bis 19 Jahren, 20 bis 29 Jahren, 30 bis 39 Jahren und ab dem 40. Lebensjahr.
Die Teilnehmer der US-Studie gaben dagegen die höchste Menge Kaffee an, die sie jemals über einen Zeitraum von 6 Monaten oder länger konsumiert hatten: 0, 1, 2 bis 3 oder 4 Tassen täglich. Personen, die mindestens eine Tasse am Tag tranken, sollten zudem mitteilen, in welchem Alter sie anfingen, regelmäßig Kaffee zu trinken.
Die Wissenschaftler kalkulierten anhand dieser Angaben den Kaffeekonsum der Studienteilnehmer in den Jahren vor und zum Zeitpunkt des Auftretens erster MS-Symptome (Indexjahr) und verglichen die Ergebnisse mit denen der Kontrollgruppen.
Je höher der Kaffeekonsum, umso geringer das Erkrankungsrisiko
Ob es nun eine zufällige Assoziation ist oder nicht – Kaffeeliebhaber dürften die Ergebnisse freuen: Denn je mehr Kaffee konsumiert wurde, umso deutlicher verringerte sich das Erkrankungsrisiko.
Für die schwedische Studie hieß das: Im Vergleich zu Menschen, die gar keinen Kaffee konsumierten, wiesen Personen, die im Indexjahr mehr als 900 ml Kaffee täglich tranken, ein um 30% verringertes MS-Erkrankungsrisiko auf (p = 0,04). Wer 5 bzw. 10 Jahre vor der Diagnosestellung entsprechend viel Kaffee trank, hatte ein um 28% (p = 0,08) bzw. 29% (p = 0,09) reduziertes Risiko.
Ähnliche Ergebnisse erhielten die Forscher bei der Auswertung der US-Studie. Wer hier in den Jahren vor dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome mehr als 948 ml täglich getrunken hatte, wies ein um 31% verringertes Risiko auf, MS zu entwickeln (p = 0,05). Wenn 5 Jahre vor dem Indexjahr vergleichbare Mengen getrunken wurden, reduzierte sich das Risiko um 36% (p = 0,04).
„Das Signifikanzniveau wird hier jeweils, wenn überhaupt, nur knapp erreicht“, kommentiert Flachenecker. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass die Personen mit dem höchsten Kaffeekonsum jeweils die kleinste Subgruppe in den Studien ausmachten. Zufällige Schwankungen würden damit wahrscheinlicher.
Koffein besitzt neuroprotektive und antientzündliche Eigenschaften
Trotzdem schließen Hedström und ihre Mitarbeiter: „Ein hoher Kaffeekonsum scheint das Risiko, MS zu entwickeln, zu vermindern.“ Ein weiteres Argument: Ihre Resultate würden zudem die Ergebnisse aus früheren Tierversuchen bestätigen.
Den beobachteten Effekt führen sie auf das im Kaffee enthaltene Koffein zurück, das auch schon bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder der Alzheimer-Krankheit mit positiven Effekten in Verbindung gebracht worden ist: „Koffein besitzt neuroprotektive Eigenschaften und kann die Produktion proinflammatorischer Zytokine unterdrücken“, schreiben die Wissenschaftler. Mechanismen, die auch dem hier beschriebenen Effekt zugrunde liegen könnten.
Ergebnisse ohne praktische Konsequenzen
Praktische Konsequenzen haben die Ergebnisse allerdings nicht. „Man kann niemandem empfehlen, einen knappen Liter Kaffee am Tag zu trinken“, fasst es Flachenecker zusammen. Zumal die Entstehungsursachen der MS häufig bereits im Kindesalter zu suchen seien. Und darüber, ob sich Kaffee auf den Verlauf einer bereits etablierten MS auswirke, sage die Studie ebenfalls nichts aus.
Dr. José Maria Andreas Wijnands und Dr. Elaine Kingwell von der University of British Columbia in Vancouver teilen in ihrem Editorial die Zweifel Flacheneckers an der Aussagekraft der Studie [2]. Auch sie merken an, dass eine Kausalität noch nicht belegt sei und Kaffeetrinken mit anderen Gesundheitsfaktoren und Lebensgewohnheiten, wie einer bestimmten Ernährung, im Zusammenhang stehen könnte.
Trotzdem meinen sie: „Die verblüffenden Ergebnisse verlangen eindeutig nach mehr Forschung, sowohl zur Rolle von Kaffee bei der Entwicklung der MS als auch zu dem zugrundeliegenden Mechanismus.“ Dies könnte ihrer Ansicht nach zu einem besseren Verständnis der Ätiologie der Krankheit beitragen und eventuell die Entwicklung neuer Therapien vorantreiben.
REFERENZEN:
1. Hedström AK, et al: J Neurol Neurosurg Psychiatry. (online) 3. März 2016
2. Wijnands JM, et al: J Neurol Neurosurg Psychiatry. (online) 3. März 2016
Diesen Artikel so zitieren: Kaffeeliebhaber sind weniger gefährdet, an Multipler Sklerose zu erkranken – doch ist der Zusammenhang ursächlich? - Medscape - 16. Mär 2016.
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