Vitamin-D-Supplementierung in der Schwangerschaft: Nur Winterbabys profitieren

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

14. März 2016

Viele Frauen nehmen während der Schwangerschaft Vitamin D ein – in der Hoffnung, damit die Knochen ihrer Babys zu stärken. Bei den meisten Kindern wirkt sich diese Maßnahme allerdings kaum auf die spätere Knochendichte aus. Das zeigt eine jetzt in The Lancet Diabetes & Endocrinology erschienene Studie mit mehr als 1.000 schwangeren Frauen aus Großbritannien [1].

Prof. Dr. Matthias Weber

Lediglich Babys, die im Winter zur Welt kämen, könnten von der Supplementierung profitieren, wahrscheinlich, da ihre Mütter durch die fehlende Sonneneinstrahlung dann selbst nicht genügend Vitamin D bildeten, schreiben die Autoren um die Mediziner Prof. Dr. Cyrus Cooper und Prof. Dr. Nicholas Harvey von der University of Southampton.

Die Studie sei vor allem auch deswegen wichtig, weil sie zeige, dass die Einnahme von täglich bis zu 25 Mikrogramm Vitamin D während der Schwangerschaft sicher sei, betont Prof. Dr. Matthias Weber, der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Die Ergebnisse der britischen Kollegen liefern Ärzten hierzulande eine gute Grundlage, um werdenden Müttern mit einem erhöhten Risiko für einen niedrigen Vitamin-D-Spiegel die Supplementierung des Mikronährstoffs zu empfehlen“, sagt Weber, der an der Universitätsmedizin Mainz die Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten leitet.

In Deutschland wird Schwangeren nicht generell zur Supplementierung geraten

Dr. Christian Albring

In der sonnenarmen Zeit sollten Kinder und Erwachsene, auch schwangere Frauen, laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung am Tag 20 µg Vitamin D über Lebensmittel zu sich nehmen. Geschätzt kommen Erwachsene auf diese Weise aber nur auf 2 bis 4 µg.

„Diese Menge reicht nicht aus, um bei geringer endogener Synthese von Vitamin D – also im Winter oder im Sommer im Falle geringer Sonnenexposition – die wünschenswerte Serumkonzentration von mindestens 50 nmol/l 25-Hydroxy-Vitamin-D zu erreichen“, sagt Dr. Christian Albring, der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. „Schwangere, die sich selten im Sonnenlicht aufhalten oder bei Sonnenexposition ihre Haut weitgehend bedecken beziehungsweise Sonnencreme anwenden, sowie Frauen mit dunklem Hauttyp sollten daher ein Supplement mit Vitamin D verwenden.“

In Großbritannien wird aus dem gleichen Grund derzeit allen Schwangeren die Einnahme von täglich 10 µg (400 IE) Vitamin D in Form von Tabletten empfohlen. Das ist hierzulande anders: Die offiziellen Handlungsempfehlungen zur Ernährung in der Schwangerschaft, die das Netzwerk „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie“ herausbringt, sehen eine Supplementierung des Mikronährstoffs nur für vegan lebende Schwangere vor.

„Eine Empfehlung, wie sie in Großbritannien und vielen anderen Ländern Europas ausgesprochen wird, wurde zwar auch in Deutschland schon häufiger diskutiert“, sagt der Endokrinologe Weber. „Wegen der fehlenden Datengrundlage hat man bislang aber davon abgesehen, Schwangeren grundsätzlich zu einer Supplementierung des Prohormons zu raten.“ Dennoch sei davon auszugehen, dass auch in Deutschland viele werdende Mütter Vitamin-D-Tabletten einnähmen, weil sie glaubten, sich und ihrem Baby damit etwas Gutes zu tun.

Supplementierung ohne Effekt auf die durchschnittliche Knochendichte

 
Schwangere, die sich selten im Sonnenlicht aufhalten, … sowie Frauen mit dunklem Hauttyp sollten daher ein Supplement mit Vitamin D verwenden. Dr. Christian Albring
 

Dabei ist die Studienlage bislang unklar. Zwar konnten einige frühere Beobachtungsstudien zeigen, dass ein hoher Vitamin-D-Spiegel schwangerer Frauen mit einer erhöhten Knochenmasse ihrer Babys einhergeht. Ebenso ist bekannt, dass Kinder mit einem geringen Knochenmineralgehalt nicht nur ein erhöhtes Risiko für rachitische Knochenverformungen haben, sondern später im Leben sehr wahrscheinlich auch vermehrt zu Osteoporose neigen. Ein Nachweis, dass sich die Supplementierung von Vitamin D in der Schwangerschaft positiv auf die Knochen der Kinder auswirkt, stand bis jetzt aber aus.

Cooper, Harvey und ihre Kollegen haben diesen vermuteten Zusammenhang nun erstmals in einer randomisierten kontrollierten Studie namens MAVIDOS (Maternal Vitamin D Osteoporosis Study) überprüft. Dafür rekrutierten sie zwischen 2008 und 2014 insgesamt 1.134 Frauen aus Southampton, Oxford und Sheffield, die sich in der 14. bis 17. Schwangerschaftswoche befanden und – mit einer Serumkonzentration von 25 bis 100 nmol/l 25-Hydroxy-Vitamin-D – niedrige bis normale Vitamin-D-Spiegel aufwiesen. Etwa die Hälfte der Frauen nahm bis zur Geburt täglich eine Kapsel mit 25 Mikrogramm (1.000 IE) Vitamin D ein. Die andere Hälfte erhielt, ohne dass sie oder ihre Ärzte es wussten, ein Placebo.

Innerhalb der ersten 2 Wochen nach der Geburt hat das Team um Cooper und Harvey mittels Doppelröntgen-Absorptiometrie (Dual Energy X-Ray Absorptiometry, kurz DXA) die Knochendichte der Babys gemessen. Dabei stellten die Forscher zwischen den beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede fest: Während der Knochenmineralgehalt (Bone Mineral Content, kurz BMC) in der Vitamin-D-Gruppe bei durchschnittlich 61,6 Gramm lag, betrug er in der Placebo-Gruppe 60,5 Gramm.

Saisonale Effekte einer Vitamin-D-Supplementierung

Auffallend wurden die Unterschiede erst dann, wenn Cooper, Harvey und ihre Kollegen auch den Zeitpunkt der Geburt berücksichtigten: So betrug der BMC bei im Winter geborenen Kindern, deren Mütter Vitamin D eingenommen hatten, im Schnitt 63,0 Gramm. In der Kontrollgruppe lag er bei nur 57,5 Gramm. Darüber hinaus konnten die Forscher zeigen, dass der Vitamin-D-Spiegel bei den Frauen mit Geburtstermin im Winter, die das Placebo erhalten hatten, von der 14. bis zur 34. Schwangerschaftswoche fiel – während er bei vergleichbaren Schwangeren der Vitamin-D-Gruppe im selben Zeitraum stieg.

 
Die Ergebnisse der … Studie zeigen, dass die Supplementierung von Vitamin D bei Schwangeren mit einem Serumspiegel von weniger als 25 nmol/l 25-Hydroxy-Vitamin-D mit großer Wahrscheinlichkeit sinnvoll ist. Prof. Dr. Matthias Weber
 

Obwohl ihre Befunde biologisch plausibel seien, müssten die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigt werden, bevor sie eine Grundlage liefern könnten, um die bestehenden Empfehlungen zu überdenken, schreibt das Team um Cooper und Harvey. Denn gleichzeitig habe ihre Studie gezeigt, dass die Einnahme von 25 µg Vitamin D am Tag für alle Schwangeren unabhängig vom Geburtstermin des Kindes sicher sei.

Nach Ansicht der britischen Wissenschaftler liefert ihre Studie in jedem Fall ein Argument für die Supplementierung von Vitamin D in der Schwangerschaft. „Die Knochen der Babys härten in den letzten Phasen der Schwangerschaft aus“, so Harvey. „Da Sonnenlicht unsere wichtigste Quelle für Vitamin D ist und der Vitamin-D-Spiegel der Mütter zum Winter hin abfällt, haben Babys, die im Winter geboren werden, in der Regel eine geringere Knochendichte als Sommerbabys.“ Die MAVIDOS-Studie liefere den ersten Beleg, dass die Einnahme des Vitamins während der Schwangerschaft zu einer guten Knochenentwicklung von Kindern, die im Winter zur Welt kämen, beitragen könne.

Zielgerichtete Verordnung anstatt Massenmedikation

Dieser Schlussfolgerung stimmt auch der deutsche Endokrinologe Weber zu: „Die Ergebnisse der jetzt veröffentlichten Studie zeigen, dass die Supplementierung von Vitamin D bei Schwangeren mit einem Serumspiegel von bis zu 25 nmol/l 25-Hydroxy-Vitamin-D mit großer Wahrscheinlichkeit sinnvoll ist“, sagt er.

Das bestätigt auch der neuseeländische Osteoporose-Experte Prof. Dr. Ian Reid von der University of Auckland. Zugleich fordert er jedoch, Vitamin D nicht länger allen Schwangeren zu empfehlen: Man solle sich von einer Massenmedikation, die ohne nachgewiesenen Vorteil sei, verabschieden und Vitamin D nur noch jenen Frauen verordnen, die von einem Mangel bedroht seien, schreibt Reid in einem Begleitkommentar in The Lancet Diabetes & Endocrinology [2]. Für die Zukunft fordert der Mediziner weitere prospektive Studien, für die gezielt Probandinnen mit einem niedrigen Serumspiegel rekrutiert werden sollten.

 

REFERENZEN:

1. Cooper C, et al: Lancet Diabetes Endocrinol. (online) 1. März 2016

2. Reid IR: Lancer Diabetes Endocrinol. (online) 1. März 2016

 

Kommentar

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