Partizipative Therapieentscheidung bei Krebs bleibt Wunschvorstellung: Der Patient wird selten gefragt

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

11. März 2016

Berlin – Partizipative Entscheidungsfindung (PEF), die gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient über das beste Therapievorgehen, gilt als Eckpfeiler einer modernen (Krebs-)Medizin. Doch: „Patienten werden in der Versorgung bisher wenig an den Entscheidungen beteiligt, obwohl es oftmals Situationen gibt, in denen mehrere gleichwertige Therapieoptionen mit ganz unterschiedlichen Vorgehensweisen und Nebeneffekten verfügbar sind“, sagte Dr. Isabelle Scholl, Psychologin und Leiterin der Arbeitsgruppe „Patientenzentrierte Versorgung: Evaluation und Umsetzung“ am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), bei einer Pressekonferenz anlässlich des diesjährigen Deutschen Krebskongresses in Berlin [1]. Dabei ist die PEF (engl. Shared Decision Making) ein wichtiger Punkt im Nationalen Krebsplan.

Dr. Isabelle Scholl

© Studio Krüger

Beteiligt wird meist nur, wer dies einfordert

Scholl stellte eine noch unveröffentlichte Studie (DKK-Abstract-Band, S. 23) vor. Darin hatten sie und ihre Kollegen zunächst den Status quo der PEF im Universitären Cancer Center Hamburg des UKE ermittelt und dann insgesamt 60 Ärzte und Patienten, aber auch Pflegekräfte, Psychoonkologen und Angehörige nach ihren Erwartungen befragt.

Die Analyse zeige, dass die Therapieentscheidungen zumeist noch von einem oder mehreren Ärzten getroffen werden, ohne dass die Patienten im Sinne der PEF daran beteiligt werden. „Krebskranke, die einbezogen werden wollten, mussten dies aktiv einfordern“, nannte Scholl ein Ergebnis der Studie. „Das werden aber nicht alle Patienten von sich aus tun, auch wenn sie es gern möchten.“

Als wichtige Hindernisse für die Umsetzung der PEF wurden in der Umfrage häufige Wechsel der Ärzte in den Klinikabteilungen, Zeitdruck sowie mangelnde Teamkommunikation identifiziert.

Tumorkonferenzen noch zu wenig patientenzentriert

 
Patienten werden in der Versorgung bisher wenig an den Entscheidungen beteiligt, obwohl es oftmals Situationen gibt, in denen mehrere gleichwertige Therapieoptionen … verfügbar sind. Dr. Isabelle Scholl
 

Im Rahmen der Status-Quo-Ermittlung, für die Scholl und ihre Kollegen als passive Beobachter an Tumorkonferenzen teilgenommen hatten, zeigte sich zudem eine einseitige Ausrichtung auf medizinische Daten. Obwohl es wichtig und zielführend sei, dass sich hier Ärzte verschiedener Fachrichtungen über die Befunde und Optionen der einzelnen Patienten austauschten, fehlte doch ein wichtiges Element: Patientenpräferenzen wurden laut Scholl so gut wie gar nicht in die Diskussion eingebracht. Sie wurden äußerst selten erwähnt, und wenn, dann teils unter dem Vorzeichen, man müsse sie überwinden. Ein Arzt weigerte sich sogar rundheraus, mit seinem Patienten über die verschiedenen Therapieoptionen zu sprechen.

Abgesehen von Alter und Geschlecht sowie gelegentlichen Informationen zu Allgemeinbefinden oder Substanzmissbrauch gab es überhaupt kaum patientenspezifische Informationen. Die Diagnose- und Therapieentscheidungen wurden von den Ärzten oder Ärzteteams allein getroffen.

Auf Nachfrage von Medscape Deutschland wünschte sich Scholl für die Tumorkonferenzen künftig eine standardmäßige Berücksichtigung der Patientenpräferenzen. „Zudem wäre es hilfreich, wenn es die Regel und nicht die Ausnahme wäre, dass der psychosoziale Hintergrund des Patienten mitbesprochen wird.“

 
Krebskranke, die einbezogen werden wollten, mussten dies aktiv einfordern. Das werden aber nicht alle Patienten von sich aus tun, auch wenn sie es gern möchten. Dr. Isabelle Scholl
 

Ideen, wie man die Struktur von Tumorkonferenzen entsprechend verändern könnte (z.B. durch Einbeziehung der Pflegepersonen oder der Patienten selbst oder durch Einführung eines Moderators) gibt es viele, wie Scholl gegenüber Medscape Deutschland betonte. „Eine Umstrukturierung wird allerdings nur in enger Zusammenarbeit mit den Ärzten selbst möglich sein“, so die Expertin. Derzeit entwickeln Scholl und ihre Kollegen ein Programm, das Ärzte und Patienten künftig bei der partizipativen Entscheidungsfindung unterstützen soll.

Patienteninformation – aber wie?

In der von Scholl eingangs präsentierten Umfrage wünschten sich viele Ärzte und Therapeuten sowie Patienten und Angehörige eine bessere Information der Patienten über die verfügbaren Therapieoptionen und deren Vor- und Nachteile, Chancen und Grenzen. Nun mag man denken, gerade dies sollte im Arzt-Patienten-Gespräch geklärt werden. Einige Therapeuten befürchteten jedoch, das würde den Zeitrahmen sprengen.

Strukturierte Aufklärungsmaterialien, sogenannte Entscheidungshilfen, können hier Abhilfe schaffen. Ein Beispiel sind Option Grids ( „Optionsraster“), die auf einer Seite die wichtigsten Informationen zu den jeweiligen Behandlungsmöglichkeiten zusammenfassen. Sie sind entweder als PDF-Datei zum Ausdrucken und zur Nutzung im Arzt-Patienten-Gespräch oder als interaktive Website verfügbar, vorerst in englischer Sprache.

So könnte das PEF-Gespräch ablaufen: Team Talk, Option Talk, Decision Talk

Solche Materialien können das Arzt-Patienten-Gespräch unterstützen und strukturieren, es aber nicht ersetzen. Gegenüber Medscape Deutschland verwies Scholl auf einen kürzlich veröffentlichten Beitrag, in dem sie und ihre Kollegen den möglichen Ablauf eines PEF-Gesprächs vorstellen.

Demnach sollte das Gespräch 3 wichtige Elemente beinhalten, die als Team Talk, Option Talk und Decision Talk bezeichnet werden: Im Team Talk geht es um die Ankündigung, dass eine gemeinsame, gleichberechtigte Entscheidung getroffen werden soll. Im Option Talk werden die Therapieoptionen mit allen Vor- und Nachteilen besprochen und aktiv die Erwartungen des Patienten erfragt. Der Decision Talk dreht sich um die Entscheidung per se und deren Umsetzung.

In dem Beitrag wird betont, dass das PEF-Gespräch nicht streng in dieser Reihenfolge ablaufen muss. Die genannten Elemente seien vielmehr als ein „struktureller bzw. prozessualer Rahmen zur Beteiligung des Patienten an der medizinischen Entscheidungsfindung“ zu verstehen. Diesen gelte es mit Leben zu füllen, so Scholl.

 

REFERENZEN:

1. 32. Deutscher Krebskongress, 24. bis 27. Februar 2016, Berlin

 

Kommentar

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