Leipzig – „Nicht empfohlen“, „nicht belegt“, „nicht geeignet“ – das sind die Vokabeln zu Früherkennungsmethoden des Lungenkarzinoms, wie sie sich in der S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie desselben finden. Die frühe Diagnose gilt als Schlüsselvoraussetzung für eine im Vergleich zu heute deutliche Besserung der Prognose von Lungenkrebspatienten. Etwa 70% der Lungenkrebspatienten hätten eine Heilungschance, wenn es gelänge, sie im Stadium I der Erkrankung zu identifizieren.
Dieses Problem war bis heute weder mit bildgebenden noch mit labortechnischen Verfahren zu lösen. Doch Wissenschaftler beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Leipzig sind optimistisch, dies bald erreichen zu können, etwa mit Hilfe der Flüssigbiopsie (Liquid biopsy) oder mit der Analyse von Molekülen in der Atemluft von Risikopersonen [1].
Seit langem ist bekannt, dass manche Hunde Krebs und andere Erkrankungen erschnüffeln können. „Oscar the Cat“ ist die vermutlich einzige Katze, deren Porträt es sogar ins New England Journal of Medicine geschafft hat, weil sie mit Hilfe ihrer feinen Nase und ihrem typischen Verhalten den nahen Tod von Bewohnern einer Pflegestation ankündigte. Die Atemluft, der Urin oder der Körperduft enthalten flüchtige organische Verbindungen (Volatile Organic Compounds, VOC), denen Wissenschaftler mit „elektronischen Nasen“ versuchen auf die Spur zu kommen.
Sensor-basierte Analysen der Ausatemluft weisen bei Krebspatienten charakteristische Profile auf. Diese lassen sich mit im Vergleich zu Gesunden veränderten Zusammensetzungen der VOC erklären. Mutationen, Zellnekrosen, immunologische Veränderungen oder Bakterien modifizieren den Zellmetabolismus und damit die Zusammensetzung der ausgeatmeten VOC, erläuterte Dr. Marc von der Schee vom Academic Medical Centre in Amsterdam, Niederlande, beim DGP-Jahreskongress. „Die chemischen Marker von Lungenkarzinomen sind bereits in den frühesten Stadien der Erkrankung präsent“, betonte van der Schee.
Klinische Studie auf den Weg gebracht
Ermöglichen Sensoren in elektronischen Nasen das Aufzeichnen von VOC-Mustern, die der Interpretation bedürfen, können mit gaschromatografischen und massenspektrometrischen Analysen gezielt einzelne organische Moleküle aus dem komplexen Gasmix identifiziert werden. Dazu muss freilich bekannt sein, wonach man suchen soll. Die Forschung dazu läuft. Außerdem ist die Technologie eine Herausforderung. Bislang existiert noch keine standardisierte Methode, um solche Analysen mit hoher Sensitivität und Spezifität sowie in praktikabler Weise nutzen zu können [2].
Van der Schee ist jedoch überzeugt, innerhalb eines Forschungskonsortiums diese Herausforderung in den kommenden Jahren zu meistern und bis 2020 in Großbritannien 10.000 Leben retten zu können. Dazu soll der Atem von Patienten mit einer speziell entwickelten Atemmaske beim Hausarzt in Röhrchen eingefangen werden. Die Röhrchen werden in einem Labor auf die enthaltenen VOC untersucht.
Dieses Vorgehen erscheint praktikabler, als Primärarztpraxen mit teuren Analysegeräten auszustatten. Validiert wird das Screening in der internationalen und multizentrischen LuCID (Lung Cancer Indicator Detection)-Studie, an der bis zu 600 Patienten, darunter auch aus Deutschland, teilnehmen werden. Dieser Studie soll eine prospektive Screeningstudie folgen, kündigte van der Schee in Leipzig an.
„Diese Form der Analyse ist kein definitiver Test auf Lungenkrebs“, betonte der Wissenschaftler. Ziel sei ein möglichst hoher negativer Vorhersagewert. Mit anderen Worten: Die VOC-Analyse soll eine Filtermethode sein, um die Gruppe der Risikopersonen zu verkleinern und diese dann konventionell weiter zu untersuchen.
„Wir denken, dass diese Methode gut ein CT-basiertes Screening ergänzen könnte, um falsch-positive CT-Befunde zu reduzieren“, kommentierte Prof. Dr. Hubert Wirtz, Leiter der Pneumologie am Universitätsklinikum Leipzig, das Vorhaben.
Liquid biopsy soll Risikopopulation eingrenzen helfen
Als „heiße Spur im Blut“ bezeichnete PD Dr. Bernd Schmidt vom Krukenberg-Krebszentrum am Universitätsklinikum Halle (Saale) die Liquid biopsy. Mit „flüssiger“ Biopsie ist gemeint, dass im Blut zirkulierende Tumorzellen (CTC) und/oder zellfreie DNA (cfDNA) detektiert werden. Erfasst eine konventionelle Gewebebiopsie nur etwa ein Drittel der Mutationen in genetisch oft heterogenen und womöglich schwer zugänglichen Tumoren, bietet die Flüssigbiopsie die Chance auf eine sehr frühe und repräsentative Detektion von Veränderungen – bei noch Gesunden wie bei bereits diagnostizierten Krebspatienten.
Außer Blut lassen sich auch andere Körperflüssigkeiten untersuchen, zum Beispiel die Bronchiallavage. Damit glauben Onkologen, die Gruppe der Risikopatienten für Lungenkarzinome eingrenzen zu können. „Raucher und Alter über 55 Jahre – das ist ein bisschen dünn“, so Schmidt beim DGP-Kongress in Leipzig. „Eine Idee ist es, mittels zellulären oder subzellulären Markern, die wir aus dem Blut fischen, die Screening-Population so zu definieren, dass die Lungenkrebswahrscheinlichkeit in dieser Risikopopulation größer wird.“ Die Zahl zu screenender Menschen würde damit deutlich abnehmen. Es gibt bereits eine Reihe von Markern, die sensitiver als die Bildgebung auf Lungenkarzinome hindeuten.
Schmidt zitierte eine französische Studie, in der bei COPD-Patienten ohne Lungenkarzinom zirkulierende Tumorzellen gesucht worden waren. Danach erfolgte ein jährliches Low-dose-Computertomografie-Screening. Bei allen 5 von 168 Patienten (3%), die CTC-positiv waren, stellten die Autoren 1 bis 4 Jahre später im CT ein Lungenkarzinom fest – alle im Stadium IA. „Wenn sich das so reproduzieren ließe, wäre das eine denkbare Option für ein Screening zur Früherkennung des Lungenkarzinoms“, sagte Schmidt.
Eine andere Möglichkeit wäre, die bereits bekannte Risikopopulation konventionell zu untersuchen und jenen Patienten mit einem unklaren Rundherd in der Lunge eine Flüssigbiopsie anzubieten – unter der Fragestellung: Ist das ein maligner Tumor oder nicht?
Grundlegende und analytische Fragen bedürfen der Klärung
Noch allerdings ist die Flüssigbiopsie nicht reif dafür. So ist weitgehend ungeklärt, wie und warum Tumorzellen und freie Nukleinsäuren in den Blutkreislauf gelangen, welche Funktion diese haben und welche Einflüsse darauf wirken. Auch die Dynamik der Freisetzung und mögliche Einflüsse darauf bedürfen noch der Forschung.
Weiterhin gibt es noch viele technische Probleme der Analytik zu lösen. Statistische Daten aus großen Screening-Studien liegen noch nicht vor – Daten, die dann noch übertragen werden müssen auf das Individuum und in die klinische Praxis.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Screening von Risikopersonen auf Bronchialkarzinome: Flüssigbiopsie und Atemluftanalyse lassen hoffen - Medscape - 11. Mär 2016.
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