Den Krebs besiegt und dann? Langzeitüberlebende benötigen besondere – nicht nur medizinische – Nachsorge

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

10. März 2016

Berlin – Dank multimodaler und neuer Therapiekonzepte haben Patienten mit Krebs immer bessere Chancen, ihre Erkrankung lange Zeit zu überleben oder sogar ganz geheilt zu werden. Allerdings steigt damit auch ihr Risiko für Langzeitfolgen. „Survivorship ist ein wichtiges Thema, dem wir uns mehr und mehr widmen müssen“, betonte Prof. Dr. Angelika Eggert, die an der Charité-Universitätsmedizin Berlin die Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie leitet, anlässlich zweier Symposien zum Thema beim 32. Deutschen Krebskongress (DKK) in Berlin [1].

So überleben heute mehr als 80% der an Krebs erkrankten Kinder. „Aber mehr als 30 Jahre nach Therapieende leiden etwa 70% der ehemals Krebskranken an chronischen Gesundheitsproblemen“, sagte Prof. Dr. Thorsten Langer, Oberarzt Pädiatrische Hämatologie und Onkologie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Lübeck und Leiter des Projektes LESS (Late Effects Surveillance System). Als Beispiele für Folgeerkrankungen nannte Langer die dilatative Kardiomyopathie nach Anthrazyklin-Therapie, Zweitmalignome wie Brustkrebs nach Morbus Hodgkin, Störungen des Wachstums nach kranialer Strahlentherapie sowie ein erhöhtes Risiko für Infertilität.

 
Survivorship ist ein wichtiges Thema, dem wir uns mehr und mehr widmen müssen. Prof. Dr. Angelika Eggert
 

In der S1-Leitlinie der AWMF zur Nachsorge von krebskranken Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind für die einzelnen Komplikationen Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie aufgeführt. Langer sprach sich für Nachsorgenetzwerke mit Sprechstunden aus, die in entsprechenden Zentren für Patienten eingerichtet werden sollten, die ein hohes Risiko für Spätfolgen haben.

Gesundheitliche und nicht-medizinische Probleme gleich häufig

„Aktuell gibt es etwa 3,2 Millionen Survivors in Deutschland“, berichtete Julia Quidde vom Universitären Cancer Center Hamburg. Auch bei erwachsenen Krebskranken steigen die Chancen auf Heilung und Langzeitüberleben – und damit auch das Risiko für Langzeitfolgen: Dabei sind gesundheitliche und nicht-medizinische Probleme etwa gleich häufig, betonte Quidde. Die Patienten würden im Alltag bei psychischen, sozialen und körperlichen Belastungen nicht ausreichend unterstützt. Deshalb sei „eine Nachsorge über die eigentliche Tumornachsorge hinaus wichtig“.

Die engmaschige Tumornachsorge in den ersten 5 Jahren nach Therapieabschluss hat in der Regel das Ziel, Tumorrezidive frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Ein Screening, um auch psychosoziale Langzeitfolgen und entsprechende Belastungen frühzeitig zu erkennen, finde sich  aber noch nicht in allen Leitlinien. Lediglich die Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) zum Langzeitüberleben befasse sich ausführlich mit diesem Thema.

 
Patienten müssen über das Risiko von Langzeitfolgen aufgeklärt werden. Julia Quidde
 

Ein weiteres Manko der derzeitigen Nachsorge von Krebserkrankungen: Das Screening auf Zweitmalignome wird derzeit vorwiegend im Rahmen der gesetzlich anerkannten Früherkennungsmaßnahmen durchgeführt. Doch haben Überlebende etwa nach einem Morbus Hodgkin im Vergleich zur Normalbevölkerung ein um das 18,5-Fache erhöhtes Risiko für ein Zweitmalignom. Die Nachsorge- bzw. Vorsorgemaßnahmen müssen deshalb entsprechen angepasst werden.

Das bedeutet z.B.: Die Haut sollte vom Patienten monatlich und vom Dermatologen 1-mal jährlich überprüft werden, um frühzeitig Veränderungen zu erkennen. Zur Früherkennung eines Mammakarzinoms als Zweitmalignom wird empfohlen, dass die Patientinnen ab der Pubertät die Brust monatlich abtasten, 1-mal jährlich den Gynäkologen aufsuchen und ab einem Alter von 40 Jahren jährlich zur Mammographie-Untersuchung gehen. Auf Darmkrebs sollte 15 Jahre nach Therapieende bzw. ab dem 35. Lebensjahr gescreent werden.

Nachsorgeempfehlungen uneinheitlich

Das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ist insbesondere nach anthrazyklinhaltiger Chemotherapie und mediastinaler linksseitiger Brustbestrahlung um etwa das 2,5-Fache erhöht. 15 Jahre nach der Therapie leiden 7,4% der Patienten unter einer KHK. Die Nachsorgeempfehlungen sind hier sehr uneinheitlich, sie reichen von EKG- und Ultraschalluntersuchungen alle 2 bis 3 Jahre bis zum Hinweis, dass ein Routinescreening bei asymptomatischen Patienten nicht nötig ist.

„Patienten müssen über das Risiko von Langzeitfolgen aufgeklärt werden“, betonte Quidde. Zur Prophylaxe der Langzeitfolgen sollten sie ihren Lebensstil anpassen, also auf Alkohol und Nikotin verzichten, regelmäßig körperlich aktiv sein und sich ausgewogen und gesund ernähren.

 
Finanzielle und soziale Probleme bis hin zur Verarmung sind ein häufiges Problem bei Krebspatienten. PD Dr. Ulf Seifart
 

Hilfreich können Survivorship-Programme (SP) sein. Hierbei handelt es sich um eine ambulante Dauereinrichtung für Patienten nach Krebserkrankungen, die zeitlich keine Begrenzung hat. Sie ist also Anlaufstelle für den Patienten auch über die Jahre der Tumornachsorge hinaus. Zu den Zielen von Survivorship-Programmen gehört zum einen die Prävention von Tumorrezidiven, Zweittumoren und Spätkomplikationen. Zum anderen sollen medizinische und psychosoziale Spätfolgen frühzeitig erkannt und behandelt werden. Die Programme ermöglichen zudem eine bessere Koordination zwischen ehemaligen Behandlern und nachsorgenden Ärzten.

Armutsfalle Krebserkrankung

Die möglichen sozialen Konsequenzen einer Tumorerkrankung schilderte PD Dr. Ulf Seifart von der Rehabilitationsklinik Sonnenblick in Marburg. „Finanzielle und soziale Probleme bis hin zur Verarmung sind ein häufiges Problem bei Krebspatienten. Dies geht sicher mit einer Einschränkung der Lebensqualität, eventuell auch der Prognose einher“, so seine Aussage.

Er beschrieb den Fall eines 52-jährigen Maurers, der an Lungenkrebs erkrankte. Er war verheiratet, hatte 3 Kinder und bezog einen Nettolohn von 2.800 Euro. Nach 6 Wochen Krankheit endete die Lohnfortzahlung, das Krankengeld – 68% des Nettoeinkommens – betrug ca. 1.900 Euro. Nach 78 Wochen Krankheit lief das Krankengeld aus, die Zahlung wurde „kommentarlos eingestellt“. Der Patient wurde „ausgesteuert“ und erhielt nun Erwerbsminderungsrente. Das Nettoeinkommen sank auf nur noch 1.460 Euro. Dazu kamen neue krankheitsbedingte Belastungen wie Zuzahlungen oder Eigenleistungen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Wenn der Patient das Rentenalter erreicht, erhält er weiterhin nur die Erwerbsminderungsrente.

 
Flexibilität, Spontaneität und Empathie sind keine Merkmale von Behörden. PD Dr. Ulf Seifart
 

Diese Probleme können für die Patienten belastender sein als körperliche oder psychische Nebenwirkungen der Krankheit und ihrer Behandlung. Hinzu kommt, dass die Patienten meist von Krankenkassen, Rentenversicherung und/oder der Bundesagentur für Arbeit beraten werden, die aber alle ihre eigenen finanziellen Interessen haben. Gänge zu Behörden sind für die Patienten schwierig, denn „Flexibilität, Spontaneität und Empathie sind keine Merkmale von Behörden“.

Armutsgefährdet sind nach Angaben von Seifart vor allem Patienten im Alter über 40 Jahren, Frauen, Personen mit mittelschweren bis schweren körperlichen Tätigkeiten sowie mit aggressiven Tumorerkrankungen. Sein Fazit: „Wir müssen uns um dieses Problem kümmern!“ Anlaufstellen könnten Krebsberatungsstellen, Einrichtungen zur onkologischen Rehabilitation oder Beratungsportale sein.

 

REFERENZEN:

32. Deutscher Krebskongress, 24. bis 27. Februar 2016, Berlin

 

Kommentar

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