KBV-VV: Gassen will Patientensteuerung durch Haus-, aber auch Fachärzte und kritisiert unfairen Wettbewerb durch Kliniken

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

9. März 2016

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Andreas Gassen will neue Konzepte der Patientensteuerung weiterentwickeln – und dies 4 Jahre nach dem Aus der Praxisgebühr in Deutschland. Nachgedacht werden soll über neue Tarifmodelle beziehungsweise auch über Zusatzbeiträge für Patienten, die sich nicht steuern lassen. Diese Überlegungen hat er in seiner Rede zur KBV-Vertreterversammlung am vergangenen Wochenende erläutert [1]. Die Steuerung sollen sowohl Hausärzte, als auch Fachärzte übernehmen können, so sein Vorschlag.

Dies stößt jedoch auf Kritik des Deutschen Hausärzteverbandes. „Eine patientenorientierte Koordination der Behandlungsprozesse wird nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie von Hausärztinnen und Hausärzten übernommen wird“, reagierte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt.

Für fairen Wettbewerb und gegen Verschwendung von Ressourcen

Bei der grundsätzlichen Überlegung zur Patientensteuerung scheinen jedoch bei der KBV vor allem die Konkurrenz zwischen Niedergelassenen und Krankenhäusern sowie die Wettbewerbsnachteile für Niedergelassene im Mittelpunkt zu stehen. „Viele Patienten gehen direkt in die Notaufnahmen der behandelnden Kliniken. Sie weisen sich quasi selber ein“ sagte der Pressesprecher der KV Hessen Karl Matthias Roth gegenüber Medscape Deutschland. Dies führe zur Fehlallokation und zur Benachteiligung der Fachärzte.

Dr. Andreas Gassen

Die KVH hat sich in ihren jüngsten Mitgliederpublikation „Auf den Punkt 2016“ mit dem Thema Patientensteuerung beschäftigt: „Unsere Analyse von Abrechnungsdaten zeigte, dass viele Notfallleistungen im Krankenhaus zu Tageszeiten erbracht werden, wo die Praxen ganz normal geöffnet haben und die Krankenhäuser eher sagen müssten, dass sie nicht zuständig sind“, so Roth.

Gassen forderte in seiner Rede, dass die Durchlässigkeit an der Schnittstelle der ambulanten und stationären Versorgung mit „fairen Wettbewerbsbedingungen“ einhergehen müsse. Aktuell gebe es über 3,6 Millionen Fälle mit einem Honorarvolumen von über 6 Milliarden, die durch Fehlallokationen entstünden. Dies sei eine Verschwendung von Ressourcen: „Wenn etwa die Krankenhäuser über Pseudo-Notfälle massenhaft Gelder aus der ambulanten Versorgung abgreifen, dann muss das KV-System selbstverständlich dies aufzeigen und sagen: So geht das nicht.“ Es sei nicht die Aufgabe der Kliniken zu den normalen Praxisöffnungszeiten ambulante Patienten zu behandeln. „Und wenn sie es doch tun, dann werden sie dafür eben nicht bezahlt“, forderte er.

Verdrängungswettbewerb der niedergelassenen Onkologen durch Kliniken

Eine patientenorientierte Koordination der Behandlungsprozesse wird nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie von Hausärztinnen und Hausärzten übernommen wird. Ulrich Weigeldt

Als Beispiel für die Wettbewerbsnachteile, die den Niedergelassenen durch die Krankenhausambulanzen entstehen, nannte Gassen die niedergelassenen Hämatologen und Onkologen, die kürzlich den „Verdrängungswettbewerb“ öffentlich in einer Pressemitteilung ihres Berufsverbandes anprangerten.

„Wenn Kliniken systematisch für die ambulante Versorgung onkologischer Fälle geöffnet werden, dann schwächt das die ambulanten Hämatologen und Onkologen“, betonte Gassen. Die Folge sei eine Ausdünnung der Versorgungslandschaft mit dem „absurden Effekt, dass sich weniger Onkologen für eine Niederlassung entscheiden und ein Versorgungsmangel droht“, kritisierte er. „Was für die Onkologen zutrifft, gilt für eine ganze Reihe von Fachgruppen“, ergänzte Gassen. Der ungerechte Wettbewerb zwischen Krankenhäuser, die staatlich finanziert werden und Niedergelassenen, die in ihre Facharztpraxis investieren müssen, könne dazu führen, dass sich die Niederlassung nicht mehr lohne.

Wenn etwa die Krankenhäuser über Pseudo-Notfälle massenhaft Gelder aus der ambulanten Versorgung abgreifen, dann muss das KV-System selbstverständlich dies aufzeigen … Dr. Andreas Gassen

Weiterhin müsse der Grundsatz „ambulant vor stationär“ gelten, auch wenn eine gewisse Durchlässigkeit an den Sektorengrenzen nötig sei. Obwohl viele Kliniken zu teuer arbeiteten, habe jedoch die Bundesregierung mit dem Krankenhausstrukturgesetz ein „Füllhorn“ ausgeschüttet – etliche hundert Millionen Euro seien geflossen, bemängelte der KBV-Vorstandsvorsitzende. Täglich werde der Vergütungstopf der ambulanten Versorgung ein Stück weiter für Kliniken geöffnet, um eine politisch gewollte Diversität des Krankenhaussektors aufrechtzuerhalten. „Wir haben es mit einer Krankenhausdichte zu tun, die nicht nur unnötig, sondern viel zu teuer ist“, bemängelte Gassen mit Blick auf die Struktur von vielen kleinen unrentablen Kliniken in Deutschland.

Klare Bündelung beim Hausarzt und nicht beim Facharzt?

Gassens Vorschlag jedoch, dass neben Hausärzten auch Fachärzte Koordinierungsfunktion übernehmen sollten, erachtet der Deutsche Hausärzteverband als „am Ziel einer klaren und sinnvollen Strukturierung der Patientenversorgung vorbei“. Nur bei Bedarf sollten selbstverständlich fachärztliche Kollegen hinzugezogen werden, erläuterte der Pressesprecher des Hausärzteverbandes Vincent Jörres gegenüber Medscape Deutschland. Die Multimorbiden zu den Hausärzten und die Monomorbiden zu den Fachärzten – dieser Ansatz greife zu kurz. Eine klare Bündelung der Verantwortung an einer Stelle sei nötig, sonst entstehe wieder eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“.

Roland Stahl

© Lopata/axentis.de

Die KBV jedoch will die Koordinierung auch in die Hand von Fachärzten legen – weil nicht jeder Patient zum Hausarzt gehe und man ihm die Wahlfreiheit lassen wolle, erläuterte der Sprecher der KBV, Roland Stahl gegenüber Medscape Deutschland.

„Wichtig ist, dass es überhaupt einen Lotsen gibt. Das wird in den überwiegenden Fällen der Hausarzt sein, aber auch im Einzelfall kann dies der Facharzt übernehmen“, meinte auch KVH-Pressesprecher Roth. Wie dies genau ausgestaltet werden könne, hierzu gelte es noch Ideen zu entwickeln. Über die Notwendigkeit der Patientensteuerung sei man sich in den KVen weitgehend einig, bei der Umsetzung differieren jedoch die Meinungen, so Roth.

Kommentar

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