Liquid Biopsies bei Tumoren – was die Suche nach „der Nadel im Heuhaufen“ heute schon leisten kann

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

9. März 2016

Berlin – „Liquid Biopsies“ sind eine Chance nicht nur für die Erstdiagnose, sondern derzeit vor allem für die nicht-invasive und möglichst umfassende Verlaufskontrolle von Tumorerkrankungen. „Selbstverständlich ist auch die Nutzung von Liquid Biopsies für Screening und Früherkennung maligner Erkrankungen ein großes Ziel“, betonte Prof. Dr. Klaus Pantel in seiner Keynote-Lecture beim Krebskongress in Berlin [1]. „Bis es soweit ist, sind aber noch etliche Hindernisse zu überwinden.“

Prof. Dr. Klaus Pantel

Im Gespräch mit Medscape Deutschland gibt der Direktor des Instituts für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf jedoch zu bedenken: „Bei älteren Menschen können sich in geringen Mengen auch Mutationen im Blut finden, die fälschlicherweise auf eine Krebserkrankung hindeuten. Bevor wir gesunde Menschen damit beunruhigen, müssen wir erst einmal absichern, welche dieser Genvariationen wirklich onkogene Treibermutationen sind, die bei Absiedelung im Gewebe zu einer baldigen Krebserkrankung führen könnten.“

Pantels Team konzentriert sich derzeit stattdessen auf Patienten, die bereits an Krebs erkrankt sind. Ihnen möchte man Informationen zur Prognose und Tumorstratifizierung liefern, passende therapeutische Targets für sie finden, den Therapieerfolg überwachen und Resistenzen frühzeitig erkennen, zählte der Experte die zahlreichen Optionen auf. „Und nicht zuletzt möchten wir die Tumorbiologie und die Resistenzmechanismen bei Krebspatienten genauer verstehen.“

Einmal Wildtyp – immer Wildtyp? Von wegen!

Der besondere Charme der Liquid Biopsies liegt einerseits in der geringen Belastung des Patienten – es ist deutlich einfacher, eine Blutprobe zu nehmen als eine Mamma- oder gar Lungenbiopsie – und andererseits in der Möglichkeit, zirkulierende Tumorzellen (CTC) nicht nur des Primärtumors, sondern auch aller eventuell vorhandenen Metastasen zu „erwischen“.

Denn diese müssen keineswegs bei ein und demselben Patienten im Krankheitsverlauf immer die gleichen Mutationen, Amplifikationen oder epigenetischen Merkmale aufweisen: Der Krebs passt sich ständig an und entwickelt sich – leider – fortwährend weiter. „Wie viele Metastasen wollen wir denn untersuchen?“ umriss Pantel eines der Probleme, das sich mit Hilfe von Liquid Biopsies womöglich in absehbarer Zeit lösen lässt.

Die Kunst: CTC finden und aus Millionen von Leukozyten aussieben

 
Selbstverständlich ist auch die Nutzung von Liquid Biopsies für Screening und Früherkennung maligner Erkrankungen ein großes Ziel. Prof. Dr. Klaus Pantel
 

Zirkulierende Tumorzellen sind bei Patienten mit soliden Tumoren trotz allem etwas Seltenes – so selten, dass es erst in den letzten Jahren überhaupt gelang, sie zu finden. Man nimmt an, dass eine CTC auf eine Million Leukozyten kommt, vielleicht sogar nur eine CTC auf 10 oder 100 Millionen Leukozyten.

Um die CTC anzureichern und aus den Blutzellen herauszufiltern, wurden verschiedenste Techniken entwickelt. Dafür bieten sich einerseits die besonderen physikalischen Eigenschaften der Tumorzellen an: Sie sind oftmals größer, womöglich auch steifer und unbeweglicher als die physiologischen weißen Blutzellen. Das machen sich verschiedene Verfahren mit hochentwickelten Nanofiltern und Mikrofluidsystemen zunutze, welche nur die Leukozyten passieren können; die CTC werden gefangen.

Aber auch die elektrische Ladung der malignen vs. physiologischen Zellen unterscheidet sich und kann für physikalische Trennverfahren wie die Dielektrophorerse genutzt werden. Und bei der Ficoll-Zentrifugation basiert die Trennung der Tumor- von den Blutzellen auf deren verschiedener Dichte.

Ein von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassenes Verfahren zur Detektion der CTC namens CellSearchTM beruht auf einer molekularbiologischen Eigenschaft der Tumorzellen: Sie stammen fast immer von Epithelzellen ab und tragen deshalb auf ihrer Oberfläche die für Epithelzellen typischen Stütz- und Bindeproteine wie EpCAM (epithel cell adhesion molecule). Diese können von speziell dafür entwickelten Antikörpern erkannt und magnetisch markiert werden.

Manchmal verändern sich die Tumorzellen allerdings unter dem Selektionsdruck: Sie nehmen typische Eigenschaften von Mesenchymzellen an. Solche CTC, die eine Epithel-zu-Mesenchym-Transition (EMT) durchlaufen haben, erkennt man an anderen Oberflächenproteinen wie Plastin-3 oder Vimentin. Auch sie werden in einigen Suchverfahren für CTC als Target verwendet. Umgekehrt lassen sich Leukozyten anhand ihrer Oberflächenproteine wie CD45 erkennen und in großen Mengen aus der Probe ziehen, diese negative Selektion erhöht ebenfalls die Chance Tumorzellen zu finden.

Mit dem CellCollectorTM werden CTC über mehrere Stunden direkt aus dem Blut des Patienten „eingesammelt“. Dazu wird eine Nadel verwendet, an deren Spitze die Antikörper aufgebracht sind. Die besten Chancen auf Erhöhung der CTC-Ausbeute bringt letztlich die Kombination mehrerer Verfahren. Neben CTC wird seit einiger Zeit auch nach zellfreier zirkulierender Tumor-DNA und weiteren Fragmenten gesucht.

Prof. Dr. Christine Sers

Wo wird die CTC-Suche bereits angewandt?

Die Suche nach CTC und die Charakterisierung von CTC sind derzeit noch kostenintensiv. Allein der Nachweis der Zellen und gängiger Oberflächenproteine wie HER2-neu kostet etwa 500 Euro, bei einer Whole-Genome-Sequenzierung kommen leicht noch weitere 1.500 Euro hinzu. Zudem werden heute vom Onkologen „zur Sicherheit“ oft trotzdem noch Biopsien gemacht, nach dem Motto „doppelt hält besser“. Das wird sich künftig sicherlich  ändern, allein schon um den Patienten in der Verlaufskontrolle belastende Maßnahmen zu ersparen.

Klinische Studien haben jedenfalls für Brust-, Prostata- und Darmkrebs sowie für Blasenkrebs eine hohe Aussagekraft der Liquid Biopsies hinsichtlich des Outcomes bestätigt: Patienten mit hohen CTC-Zahlen hatten hier eine besonders ungünstige Prognose, und umgekehrt lebten diejenigen mit sehr geringen CTC-Zahlen länger. Auch die Eignung des CTC-Monitorings für die Verlaufskontrolle unter Therapie wurde bereits gezeigt, etwa beim Mammakarzinom.

 
Auch zellfreie Tumor-DNA kann uns bereits heute therapierelevante Hinweise geben. Prof. Dr. Christine Sers
 

So kann sich die Suche nach der Nadel im Heuhaufen für den Patienten durchaus lohnen. „Eine der Einsatzmöglichkeiten von CTC-Suchverfahren ist die Fahndung nach minimaler Resterkrankung, MRD, um daran das Risikostaging und das weitere therapeutische Vorgehen auszurichten“, erläuterte Pantel.

„Auch zellfreie Tumor-DNA kann uns bereits heute therapierelevante Hinweise geben“, ergänzte Prof. Dr. Christine Sers, Leiterin der Arbeitsgruppen Molekulare Tumorpathologie und Tumor­systembiologie an der Charité Berlin, auf Nachfrage von Medscape Deutschland. „Bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom, NSCLC, kann man zukünftig anhand solcher Ergebnisse die Therapie überwachen und gegebenenfalls, bei Änderung des Mutationsmusters im Tumor, die Medikamente frühzeitig umstellen. Allerdings braucht es für den flächendeckenden Einsatz in der Routinediagnostik standardisierte Verfahren und Qualitätskontrollen.“

Neben dem unmittelbaren Nutzen für den individuellen Patienten sollen Liquid Biopsies auch Material für die weitere Erforschung von Tumor-DNA, Tumor-RNA und -Oberflächenproteinen liefern, um Zielstrukturen für künftige Medikamente zu charakterisieren. Dies ist aber noch ein weites Feld, das noch vieler weiterer Studien bedarf.

 

REFERENZEN:

1. 32. Deutscher Krebskongress, 24. bis 27. Februar 2016, Berlin

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....