Weniger Obst und Gemüse durch Klimawandel: Mehr als 500.000 Todesfälle durch Fehlernährung für 2050 prognostiziert

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

9. März 2016

Mehr als 500.000 Todesfälle unter Erwachsenen sind im Jahr 2050 durch den Klimawandel weltweit zu erwarten. Dies errechnet eine aktuelle Statistik des Oxford Martin Program on the Future of Food, die jetzt im Lancet veröffentlicht worden ist [1]. Die Hauptgründe dafür wären durch den Wandel in der Landwirtschaft bedingte Veränderungen im Ernährungsverhalten und dadurch veränderte ernährungsbedingte Risikofaktoren, die wiederum Einfluss auf kardiovaskuläre Erkrankungen oder die Krebsinzidenz haben.

 
Die Folgen des Klimawandels betreffen auch die Art der Ernährung. Dr. Marco Springman
 

Nach den Szenarien, die der Studie zugrunde liegen, würde die Klimaveränderung mit Dürren, Stürmen und Überflutungen dazu führen, dass vielen Menschen weniger regionales Obst und Gemüse zur Verfügung stünde. Davon betroffene Länder wären hauptsächlich China, Indien und der südostasiatische Raum, aber auch südeuropäische Länder wie Griechenland und Italien.

Bisher nur Unterernährung im Fokus

Bisherige Studien zur Beeinflussung der Weltgesundheitssituation durch den Klimawandel befassten sich meistens mit den Folgen von Unterernährung und Hungersnöten. Die jetzt von der Forschergruppe um Dr. Marco Springman, British Heart Foundation Centre on Population Approaches for Non-Communicable Disease Prevention, Nuffield Department of Population Health, Oxford, Großbritannien, publizierte Studie zieht als erste ihrer Art dagegen auch Folgen einer zukünftigen Über- bzw. Fehlernährung in Betracht.

„Die Folgen des Klimawandels betreffen auch die Art der Ernährung“, erläutert Springman. „Wenn etwa auf Ackerflächen in manchen Regionen weniger frisches Obst und Gemüse angebaut werden kann, etwa durch Wassermangel, und in der Folge die Preise dafür steigen, werden sich weite Teile der Bevölkerung mehr von – unter Umständen auch importierten – hyperkalorischen Lebensmitteln ernähren. Infolgedessen werden in diesen Regionen das durchschnittliche Körpergewicht, Herzkrankheiten, Schlaganfälle und eventuell auch Krebs zunehmen und zu vermehrten Todesfällen führen.“

2050 weltweit mehr als 500.000 zusätzliche Todesfälle infolge des Klimawandels

Die Forscher nutzten für ihre Modellrechnungen erstmals das aktualisierte International Model for Policy Analysis of Agricultural Commodities and Trade (IMPACT), das für den 5th  Assessment Report of the Intergovernmental Panel of Climate Change weiterentwickelt wurde. Im Unterschied zu vorherigen Modellen schließt diese Betrachtung die Änderungen des Nahrungsangebots und die Auswirkungen auf Risikofaktoren, die vom Körpergewicht abhängen, mit ein und bezieht sich nicht nur auf die Sicherung der Ernährung als solcher.

„Unsere Studie zeigt, dass schon geringe Änderungen der Verfügbarkeit traditioneller Lebensmittel zu Änderungen des Energiegehaltes und der Zusammensetzung der Nahrung führen können, die umfangreiche Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung haben werden“, führt Springman weiter aus. Wenn etwa durch den Klimawandel die bisher erwartete Verbesserung der Lebensmittelversorgung um ein Drittel geringer ausfällt, hätte dies zur Folge, dass die Menschen im Jahre 2050 etwa 4,0% weniger Obst und Gemüse, aber 0,7% mehr rotes Fleisch zu sich nähmen.

Insgesamt ergäben sich dadurch allein für das Jahr 2050 weltweit 529.000 zusätzliche Todesfälle durch die Folgen des Klimawandels (95%-Konfidenzintervall: 314.000-736.000). In der Aufsummierung könnten von heute bis 2050 etwa 1,9 Millionen Todesfälle vermieden werden, wenn der Klimawandel nicht wie befürchtet eintreten würde.

Negativen Folgen für 155 Länder einzeln berechnet

Am meisten von diesen möglichen negativen Entwicklungen wären Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen betroffen, allen voran China, Indien und weitere asiatische Staaten. Aber auch Griechenland und Italien finden sich in der Studie unter den 10 Ländern mit den meisten auf veränderte Ernährung zurückzuführenden Todesfällen pro Einwohnerzahl. Dies entspräche pro 1 Mio. Einwohner 230 zusätzlichen Todesfällen in China und 89 in Italien. Für die USA ergäben sich entsprechend 28 (Position 66) und für Deutschland 18 zusätzliche Todesfälle (Position 83 im „Ranking“ von 155 berücksichtigten Staaten).

 
Unsere Studie zeigt, dass schon geringe Änderungen der Verfügbarkeit traditioneller Lebensmittel zu Änderungen des Energiegehaltes und der Zusammensetzung der Nahrung führen können. Dr. Marco Springman
 

Diese Zahlen errechneten die Forscher ausgehend von einem Szenario in der Mitte zwischen der pessimistischsten und optimistischsten Annahme für die Entwicklung von Emissionen und Ernährungsgewohnheiten.

Bisherige ähnliche Untersuchungen der WHO gingen für das Jahr 2050 von weltweit insgesamt 180.000 Toten durch Dürren und Unterernährung infolge des Klimawandels aus. Aber der Zusammenhang zwischen verringerter Agrikultur und Mangel an regionaler Verfügbarkeit von gesunden Lebensmitteln gehe über die bloße Sicherung von ausreichender Kalorienzufuhr hinaus. Die Folgen des Klimawandels für die Gesunderhaltung der Weltbevölkerung könnten deshalb weit größer sein als bisher angenommen, diskutieren die Autoren.

In Ländern wie dem Sudan oder Eritrea, die gegenwärtig unter einer schlechten Ernährungssituation leiden, wird es laut der aktuellen Untersuchung nur eine relativ geringere Verschlechterung durch die negativen Folgen eines verringerten Obst- und Gemüseverzehrs im Jahr 2050 geben. Diese Länder würden auf den Positionen 70 bzw. 75 liegen und damit relativ gesehen weniger unter den beschriebenen Folgen leiden als etwa die USA. Allerdings lassen diese Zahlen die Unterernährung in diesen Ländern unberücksichtigt.

Um die in ihrer Untersuchung prognostizierten Folgen des Klimawandels abzumildern, schlagen die Autoren eine verstärkte Aufklärung über die Gesundheitsrisiken vor, die mit einer einseitigen Ernährung verbunden sind. Darüber hinaus sollten alle ausreichend bekannten Möglichkeiten zur Eindämmung des Klimawandels genutzt werden, um möglichst viele der errechneten Todesfälle zu vermeiden, schlussfolgern die Autoren.

 

REFERENZEN:

1. Springman M, et al: The Lancet (online) 2. März 2016

 

Kommentar

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