Den Jungbrunnen von Krebszellen austrocknen: Telomerase-Inhibition als neues Therapieverfahren

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

26. Februar 2016

Berlin Bei Kindern mit Hochrisiko-Neuroblastom ermöglicht die Testung auf nur 3 Genveränderungen eine bessere Abschätzung der Prognose. Eine davon wurde kürzlich von Forschern aus Heidelberg und Köln entdeckt. Das Wissen um diese Genvariationen ist zudem die Basis für die Entwicklung neuer gezielter Medikamente, der Telomerase-Inhibitoren.

Hochrisiko-Neuroblastom bei Kindern: Selten, aber oft tödlich

Prof. Dr. Matthias Fischer

Etwa 2.000 Kinder erkranken pro Jahr in Deutschland an Krebs, zirka 140 davon am Neuroblastom. „Diese Krebserkrankung betrifft nicht das Hirn, wie der Name vermuten ließe, sondern das periphere Nervensystem“, erklärte Prof. Dr. Matthias Fischer, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Köln, bei der Eröffnungspressekonferenz des Deutschen Krebskongresses (DKK) in Berlin [1]. „Sie manifestiert sich vor allem im Abdomen und im Thoraxbereich.“

Bei jedem 2. erkrankten Kind geht das Neuroblastom nach einigen Wochen oder Monaten in Remission. Bei den übrigen Kindern dagegen ist das Tumorwachstum besonders aggressiv, sie haben ein Hochrisiko-Neuroblastom: „Bei manchen der jungen Patienten kann man das tumorbedingte Wachstum des Bauchumfangs praktisch von einem Tag zum anderen beobachten“, beschrieb Fischer im Gespräch mit Medscape Deutschland das Ausmaß der Krankheitsprogression. Diese Kinder haben trotz intensivster Therapien sehr schlechte Überlebenschancen.

Genveränderung im nicht-kodierenden Bereich entdeckt

Für die Entstehung und das Wachstum von Hochrisiko-Neuroblastomen scheinen in fast allen Fällen spezifische genetische Veränderungen der Tumorzellen verantwortlich zu sein. So finden sich in 50 bis 60% der Hochrisiko-Neuroblastome entweder eine Amplifikation des Proto-Onkogens MYCN oder eine inaktivierende Mutation des Gens ATRX. Diese onkogenen Treibermutationen sind schon länger bekannt.

In den verbleibenden Hochrisiko-Neuroblastomen fehlen diese Veränderungen. Hier muss es also einen anderen Mechanismus geben, der die Tumoren besonders aggressiv macht. Und tatsächlich fanden Fischer und seine Kollegen aus Köln und Heidelberg kürzlich eine weitere Genvariation, die eine Erklärung liefert. Sie haben ihre Ergebnisse in Nature publiziert: Durch eine Umlagerung steuernder DNA-Elemente (Enhancer) in den Bereich des TERT-Gens auf Chromosom 5 kommt es zu einer massiven Aktivierung des Enzyms Telomerase-Reverse-Transkriptase (TERT).

Krebszellen nutzen physiologischen Reparaturmechanismus aus

TERT repariert die Telomere an den Chromosomenenden, die sich ansonsten bei jedem Mitosezyklus immer weiter verkürzen würden, bis die Zelle in einen irreversiblen Zellzyklusarrest oder in den programmierten Zelltod übergeht. Dieser Reparaturmechanismus ist physiologisch eigentlich für Blutstammzellen und Keimzellen vorgesehen.

 
Bei manchen der jungen Patienten kann man das tumorbedingte Wachstum des Bauchumfangs praktisch von einem Tag zum anderen beobachten. Prof. Dr. Matthias Fischer
 

Bei Patienten mit TERT-Umlagerungen machen sich aber gerade die Krebszellen diesen Weg zunutze, und zwar in viel stärkerem Ausmaß als gewöhnlich: Sie exprimieren pausenlos TERT; die Aktivität des Enzyms ist hier etwa um das 100-Fache erhöht. „Dies ist ein Beispiel dafür, dass auch Genveränderungen außerhalb des kodierenden Bereiches eine starke pathogene Wirkung entfalten können und unsere Beachtung verdienen“, stellte Fischer klar.

Auch MYCN-Amplifikationen und ATRX-Mutationen haben letztlich ähnliche Auswirkungen: „Die Telomere verkürzen sich nicht wie sonst bei der Zellteilung, die Krebszellen altern nicht und werden immortalisiert, sie werden praktisch unsterblich“, so der Experte.

„Die Aktivierung von Telomerstabilisierungs-Mechanismen durch Veränderungen im Krebsgenom spielt eine zentrale Rolle in der Entstehung und Unterhaltung des Neuroblastoms“, fasst er zusammen. „Eine gewisse Telomerase-Aktivierung finden wir zwar in vielen Tumorentitäten, aber eine so zentrale Rolle spielt sie offenbar vor allem beim Neuroblastom.“

Erster Schritt: Prognose präzisieren, konventionelle Therapie intensivieren

Eine mögliche klinische Konsequenz ist die routinemäßige Testung auf TERT-Umlagerungen zur Verbesserung von Prognoseabschätzung und Therapiemanagement: „Wenn wir gleich bei der Erstdiagnose des Neuroblastoms nach TERT-, MYCN- und ATRX-Variationen fahnden, wissen wir, woran wir sind“, so Fischer. „Die Prognose wird klarer und wir können bei Patienten mit Hochrisiko-Neuroblastom oder anderen aggressiven Telomerase-abhängigen Tumoren vorerst die konventionelle Therapie intensivieren.“

 
Eine gewisse Telomerase-Aktivierung finden wir zwar in vielen Tumorentitäten, aber eine so zentrale Rolle spielt sie offenbar vor allem beim Neuroblastom. Prof. Dr. Matthias Fischer
 

Bislang wird allerdings routinemäßig bei allen Neuroblastomen nur nach einer Amplifikation des MYCN-Gens gefahndet, so Fischer – Tests auf die beiden anderen Genvariationen müssen erst noch in die Routine implementiert werden.

Zweiter Schritt: Neue Therapien ante portas

Neben konventionellen Chemotherapien könnten künftig auch gezielte Therapien mit Telomerase-Inhibitoren den Patienten helfen: Sie setzen die pathologische Telomerverlängerung außer Kraft und werden derzeit in präklinischen und klinischen Studien untersucht. „Das von der Firma Geron in Zusammenarbeit mit Janssen-Cilag entwickelte Imetelstat wird in den USA bereits in Phase-3-Studien getestet“, nannte Fischer im Gespräch mit Medscape Deutschland ein Beispiel, „zwar nicht beim Neuroblastom, aber bei einigen Neoplasien des blutbildenden Systems wie der essenziellen Thrombozytopenie und der Myelofibrose.“

 
Zusätzliche Indikationen ermöglichen mehr und größere Studien zur Behandlung mit Telomerase-Inhibitoren. Prof. Dr. Matthias Fischer
 

Andere Forschergruppen fanden ähnliche TERT-Umlagerungen und eine gesteigerte TERT-Aktivität bei Patienten mit weiteren Neoplasien – etwa akute lymphatisch Leukämie (ALL), chronische lymphatische Leukämie (CLL), Mantelzelllymphom, Marginalzonenlymphom und Nierenzellkarzinom (RCC). „Zusätzliche Indikationen ermöglichen mehr und größere Studien zur Behandlung mit Telomerase-Inhibitoren“, hofft Fischer.

In eigenen präklinischen Studien hat er Telomerase-Inhibitoren in Neuroblastom-Mausmodellen eingesetzt, die von den Versuchstieren gut vertragen wurden und die Tumorgröße beachtlich reduzierten. Einer dieser Wirkstoffe ist ein Derivat des aus der Leukämiebehandlung bekannten Chemotherapeutikums 6-Thioguanin. „Das ist die Substanz, die bei uns am besten funktioniert und die vorteilhaftesten Ergebnisse gebracht hat“, berichtete Fischer auf Nachfrage von Medscape Deutschland.

 

REFERENZEN:

1. 32. Deutscher Krebskongress, 24. bis 27. Februar 2016, Berlin

 

Kommentar

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