Sind Säurehemmer schlecht fürs Gedächtnis? Bonner Forscher finden Assoziation zwischen Protonenpumpen-Hemmern und Demenz

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

24. Februar 2016

Bei älteren Menschen könnte eine Therapie mit Protonen-Pumpen-Inhibitoren (PPI) das Demenzrisiko erhöhen. Eine entsprechende Assoziation fanden Bonner Forscher in einer großen Kohortenstudie mit AOK-Versicherten, die über 75 Jahre alt waren [1]. „Dieser Befund ist noch kein Grund, bei älteren Patienten gänzlich auf den Einsatz dieser Medikamente zu verzichten, dafür ist noch die Bestätigung in einer randomisiert-kontrollierten Studie nötig“, sagt Prof. Dr. Richard Dodel, Kommissarischer Leiter der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Marburg, gegenüber Medscape Deutschland. „Aber die Untersuchung liefert einen ersten Hinweis, dass etwas mehr Vorsicht bei der Verschreibung von PPI sinnvoll sein könnte.“

Rasante Zunahme von Verordnungen

„Der Einsatz von PPI hat rasant zugenommen, insbesondere in der älteren Bevölkerung“, schreiben die Studienautoren um Dr. Willy Gomm vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. Die Verordnungsrate der Säurehemmer habe sich in Deutschland in den letzten 10 Jahren vervierfacht. Andererseits liefern Beobachtungsstudien Hinweise, dass 40 bis 60% aller PPI ohne dokumentierte gastrointestinale Diagnose verordnet werden.

Für die in JAMA Neurology veröffentlichte Studie analysierten Gomm und seine Kollegen die Daten von 73.679 Senioren, die bei einer Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) versichert und zu Studienbeginn frei von Demenz waren. Im Verlauf der Studie von 2004 bis 2011 wurde bei 29.510 Teilnehmern eine Demenz diagnostiziert.

 
Die Untersuchung liefert einen ersten Hinweis, dass etwas mehr Vorsicht bei der Verschreibung von PPI sinnvoll sein könnte. Prof. Dr. Richard Dodel
 

Die Wissenschaftler werteten die Verschreibungen von PPI in 18-Monats-Intervallen aus. Als regelmäßige PPI-Einnahme war mindestens eine Verordnung von Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol, Esomeprazol oder Rabeprazol pro Quartal definiert. Basierend auf diesem Kriterium waren 2.950 Patienten in der Studie regelmäßige PPI-Anwender. Sie hatten ein um 44% höheres Risiko, eine Demenz zu entwickeln, als Studienteilnehmer, die keine PPI erhielten (Hazard Ratio: 1,44; p < 0,001).

Bestätigung früherer Ergebnisse

Die auf dem AOK-Datensatz basierenden Ergebnisse bestätigen die Befunde einer früheren, allerdings deutlich kleineren Studie der Autoren, für die sie 3.300 ältere Teilnehmer der German Study on Aging, Cognition and Dementia in Primary Care Patients (AgeCoDe) untersucht hatten.

Gomm und seine Kollegen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass der Verzicht auf die Verschreibung von PPI möglicherweise Demenzerkrankungen verhindern könnte.

Experte: „Langzeiteinsatz von PPI überdenken“

 
Häufig erhalten Patienten, die einmal Magenbeschwerden hatten, noch Jahre später immer weiter neue Rezepte für PPI, obwohl sie diese eigentlich nicht mehr benötigen. Prof. Dr. Richard Dodel
 

Dodel betont im Gespräch mit Medscape Deutschland jedoch die klinische Relevanz der Säurehemmung mit PPI. „PPI sind heute das Standardmedikament zur Behandlung von Magenulzera. Während früher häufig eine Magenresektion erforderlich war, steht uns mit den PPI heute eine hochpotente medikamentöse Therapie dieser Erkrankung zur Verfügung. PPI haben zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlung von Magenulzera geführt.“

Dodel empfiehlt deshalb, vor allem den Langzeiteinsatz von PPI zu überdenken. „Häufig erhalten Patienten, die einmal Magenbeschwerden hatten, noch Jahre später immer weiter neue Rezepte für PPI, obwohl sie diese eigentlich nicht mehr benötigen.“ Doch Dosis und Einnahmedauer können entscheidende Faktoren für die Risiken einer Behandlung sein, wie sich auch schon in anderen Studien eindrücklich zeigte. Dodel erinnert an eine Metanalyse aus dem Jahr 2015, die zum Beispiel für Benzodiazepine eine Demenz-Risikoerhöhung von 22% pro 20 zusätzlichen Dosen pro Jahr ergab.

Evidenz für Dosis-Wirkungs-Beziehung

Auch die Analyse von Gomm und seinen Kollegen liefert entsprechende Hinweise: In einer Subanalyse war die gelegentliche Einnahme eines PPI mit einer im Vergleich zur regelmäßigen Einnahme deutlich geringeren Risikoerhöhung von nur 16% assoziiert.

Auf welchem Weg ein typisches Magen-Darm-Medikament wie ein PPI Einfluss auf das Risiko für eine Erkrankung des Gehirns nehmen könnte, ist bislang unklar. „Es gibt Hinweise, dass PPI die Blut-Hirn-Schranke überwinden können“, schreibt der Mediziner Dr. Lewis H. Kuller vom Department of Epidemiology der University of Pittsburgh in einem Editorial [2]. „Und im Gehirn erhöhen PPI möglicherweise sowohl die Produktion als auch den Zerfall von Amyloid – zumindest tun sie dies in Tiermodellen –, und sie binden an das Tau-Protein.“ Außerdem gebe es Evidenz für reduzierte Konzentrationen an B12 und anderen Nährstoffen bei Patienten, die PPI einnehmen, auch dies könne zur Entstehung einer Demenz beitragen.

Beweis der Kausalität erfordert randomisierte Studien

„Es ist aber auch möglich“, so Kuller, „ das die beobachtete Assoziation zwischen PPI und Demenz nicht kausal ist.“ Um herauszufinden, ob die Einnahme von PPI – insbesondere die langfristige – ein ursächlicher Faktor bei der Entstehung von Demenz ist, müsste die Assoziation in gut designten Fall-Kontroll-Studien bestätigt werden. „Das ist ein sehr wichtiges Anliegen angesichts der hohen Prävalenz von pharmakologischen Langzeittherapien in der älteren Bevölkerung, die ein hohes Demenzrisiko hat“, betont er.

Und auch die Autoren um Gomm betonen: „Unsere Studie kann nur eine statistische Assoziation zwischen PPI und Demenz aufzeigen. Um eine direkte Ursache-Wirkungs-Beziehung zu etablieren, sind randomisierte, prospektive klinische Studien notwendig.“

 

REFERENZEN:

1. Gomm W, et al: JAMA Neurol (online) 15. Februar 2016
2. Kuller LH:JAMA Neurol (online) 15. Februar 2016

 

Kommentar

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