Pseudo- statt Alternativmedizin: Homöopathie-kritisches Netzwerk gegründet

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

18. Februar 2016

Wissenschaftler in Freiburg haben Anfang Februar das Informations-Netzwerk Homöopathie gegründet. Ein Hauptziel des Netzwerkes ist, neben Information und Aufklärung, eine Änderung des Arzneimittelgesetzes. Das erste Treffen hat der Naturwissenschaftler, Homöopathie-Kritiker und Ingenieur Dr. Norbert Aust initiiert. Er setzt sich auf seinem Blog schon länger kritisch mit der Homöopathie auseinander.

Dr. Natalie Grams

„Die Homöopathie verbreitet sich immer mehr – aller Kritik zum Trotz“, sagt Netzwerk-Sprecherin Dr. Natalie Grams, ehemalige Homöopathin und Autorin des Buches „Homöopathie neu gedacht“ im Gespräch mit Medscape Deutschland. Zwar gebe es in Deutschland überall vereinzelt Wissenschaftler, die gegen die Homöopathie Stellung bezögen. „Doch wir waren bislang als Einzelkämpfer unterwegs. Das Netzwerk ist dazu gedacht, unsere Kräfte zu bündeln und um uns abzustimmen“, erklärt Grams.

Informationsplattform für Patienten und Ärzte

Geplant ist eine Internetplattform, die sich aus 2 Bereichen zusammensetzt: Ein Bereich richtet sich explizit an Patienten und widerlegt die gängigsten Argumente der Homöopathie-Befürworter (z.B. „Der Placeboeffekt wirkt doch nicht bei Kindern und auch nicht bei Tieren.“). Im 2. Bereich wollen Grams und ihre Kollegen mit der „Homöopedia“ ein umfangreiches Nachschlagewerk ins Netz stellen. Dort sollen verschiedene Quellen zur Homöopathie gesammelt, ausgewertet und Studiendesigns der Homöopathiestudien erklärt und bewertet werden. Dieser Bereich richtet sich sowohl an interessierte Patienten als auch an Ärzte.

„Wir nehmen auch Stellungnahmen von Fachverbänden auf, beispielsweise erklären die Physiker, weshalb es kein ‚Gedächtnis des Wassers´ als Erklärung für die Homöopathie geben kann“, so Grams weiter.

Im Netzwerk haben sich bislang 50 Wissenschaftler zusammengefunden, darunter auch viele Ärzte. Eine enge Zusammenarbeit soll es mit der Gesellschaft für wissenschaftliche Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) geben, weitere Kooperationen werden vorbereitet. Mitglieder sind beispielsweise der Bremer Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Norbert Schmacke („Der Glaube an die Globuli“) der Wissenschaftsjournalist Dr. Christian Weymayr („Die Homöopathie-Lüge“) oder der Dermatologe Prof. Dr. Rudolf Happle, ehemaliger Initiator der Marburger Erklärung zur Homöopathie.

Homöopathie soll Pseudomedizin statt Alternativmedizin genannt werden

 
Die Homöopathie verbreitet sich immer mehr – aller Kritik zum Trotz. Dr. Natalie Grams
 

Rund 7.000 Ärzte in Deutschland setzen Homöopathika ein, rund 320.000 tun dies nicht. „Was uns Sorgen macht ist, dass über 60 Prozent der Patienten Homöopathika gut und hilfreich finden“, erläutert Grams. „Wir sorgen uns, weil mit dem Glauben an Globuli die Abkehr vieler Patienten von der evidenzbasierten Medizin einhergeht. Wer an die Homöopathie glaubt, ist auch deutlich skeptischer sinnvollen Impfungen gegenüber und tendiert eher dazu, in Antibiotika in erster Linie ein Gift zu sehen.“

Die Ärztin und ihre Kollegen möchten den Begriff „Pseudomedizin“ für die Homöopathie prägen: Die Bezeichnung „alternative Medizin“ für die Homöopathie führe in die Irre, argumentieren sie, da der Eindruck vermittelt werde, es handele sich um eine sanfte und nebenwirkungsfreie Alternative zur konventionellen Medizin. Wenn eine Substanz wirksam sei – etwa auch ein Naturpräparat wie Johanniskraut – handele es sich um Medizin. „Alles andere ist Pseudomedizin“, argumentiert Grams.

In einer Pressemitteilung bezeichnet der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) das geplante Netzwerk als „Kampagne für mehr Glauben an die Schulmedizin“. Der DZVhÄ verweist auf einen Bericht im Spiegel, nach dem die Zahl der Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung in den letzten 20 Jahren um etwa 200% gestiegen sei. Es handle sich in der Regel um Fachärzte mit der von den Ärztekammern vergebenen Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ oder mit dem Homöopathie-Diplom des DZVhÄ.

„Homöopathie-Gegner glauben, diese Entwicklung ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft“, heißt es in der DZVhÄ-Pressemitteilung. Der DZVhÄ nennt den Versuch, die konventionelle Medizin als „alternativlos“ zu bezeichnen, „rückwärtsgewandt“. Schließlich, so DZVhÄ-Vorsitzende Cornelia Bajic, würden Homöopathika ja nicht als „Allheilmittel“ propagiert.

Geschädigte Patienten, weil zu lange mit wirksamer Therapie gewartet wurde

Dass Globuli schließlich „nicht schaden“, möchte aber Grams so nicht stehen lassen. „Wer bei einer Bagatellerkrankung Globuli nimmt – und die Erkrankung bessert sich unabhängig davon einfach im Lauf der Zeit – bringt die Heilung mit den Globuli in Verbindung und setzt womöglich auch bei einer schweren Erkrankung auf Homöopathie“, argumentiert sie.

Mit einer wirksamen Therapie werde dann womöglich zu lange gewartet – mit der Folge, dass es zu einer Krankheitsverschlimmerung, verzögerter Heilung oder auch zu langfristigen Funktionseinschränkungen kommen könne. Grams: „Wir tragen jetzt diese Fälle zusammen. Wir wollen mit diesen gut recherchierten Fallgeschichten den vielen positiven Anekdoten zu Globuli etwas entgegensetzen“, kündigt sie an. Die geplante, umfangreiche Fallsammlung trifft beim DZVhÄ erwartungsgemäß auf wenig Verständnis.

 
Wir sorgen uns, weil mit dem Glauben an Globuli die Abkehr vieler Patienten von der evidenzbasierten Medizin einhergeht. Dr. Natalie Grams
 

Bajic nennt es „erstaunlich“, dass jene Kritiker, die Kasuistiken stets als „anekdotische Beweisführung“ abgelehnt haben, diese jetzt gegen die Homöopathie ins Feld führen wollen. Sie vermutet, dass es darum gehe, eine „Kampagne gegen die integrative Medizin in Deutschland“ zu starten. Sie weist darauf hin, dass Patienten und Ärzte „hochzufrieden“ seien, auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen funktioniere „hervorragend“.

Die Homöopathie, so Bajic weiter, sei bei vielen vor allem chronisch kranken Patienten zur letzten Option für eine Chance auf Besserung der Beschwerden geworden. Dies bestätige etwa der Gesundheitsmonitor 2014 der Bertelsmann Stiftung: 43% der Befragten nannten „chronische Erkrankungen“ als Anlass für die Behandlung durch den homöopathischen Arzt. Laut Gesundheitsmonitor besserten sich bei mehr als 80% der Patienten mit akuten und chronischen Erkrankungen unter Homöopathika das Allgemeinbefinden und die seelische Verfassung. Am deutlichsten war laut Bajic dabei der Effekt auf die körperlichen Beschwerden, sie gingen bei 85% zurück.

Netzwerk strebt die Änderung des Arzneimittelgesetzes an

Das neu gegründete Netzwerk der Homöopathie-Kritiker hingegen will als Hauptziel eine Änderung des Arzneimittelgesetzes erreichen. „Allerdings brauchen wir dafür einen langen Atem“, räumt Grams ein. Sie moniert, dass im Arzneimittelgesetz mit zweierlei Maß gemessen werde: So gebe es die „normalen“, Medikamente, deren Wirksamkeit nachgewiesen sein muss. Daneben haben aber die „besonderen Therapierichtungen“ eine Sonderstellung. Bei ihnen wird kein Wirknachweis benötigt, damit sie die Kassen erstatten.

„90 Prozent der privaten Krankenkassen und 80 Prozent der gesetzlichen Kassen erstatten inzwischen die homöopathische Behandlung. In einem Gespräch sagte mir jüngst ein Vertreter einer Kasse: ‚Unsere Kunden sind zufrieden‘. Die Kundenzufriedenheit kann aber doch kein Maßstab dafür sein, ob eine Therapie erstattet wird oder nicht.“

Das Netzwerk plant auch eine Initiative mit dem Ziel, die homöopathischen Medikamente zukünftig nicht mehr mit lateinischen Begriffen zu bezeichnen. In einem Interview mit der Badischen Zeitung sagt Aust dazu: „Wir würden auch gerne erreichen, dass die Arzneimittel mit ihren deutschen Namen benannt werden müssen.“ Auch die verbraucherpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Mechthild Heil hofft dadurch auf mehr Transparenz. Gegenüber der Rhein-Zeitung kritisierte sie, dass sich in homöopathischen Mitteln teils abenteuerliche Inhaltsstoffe fänden: Kakerlaken, Kellerasseln, Krötengift oder faules Rindfleisch.

 
Der Grundtenor meines Buches ist deshalb, dass wir von der Homöopathie auch ein wenig lernen können – und zwar was den Umgang mit den Patienten angeht. Dr. Natalie Grams
 

Auch für die Abschaffung der Apothekenpflicht für homöopathische Mittel macht sich das Netzwerk stark: Denn deren rechtliche Sonderstellung gaukele dem Patienten eine Gleichstellung von Homöopathie und wissenschaftsbasierter Medizin vor.

Die sprechende Medizin muss gestärkt werden

Die Hinwendung vieler Patienten zur Homöopathie sieht Grams vor dem Hintergrund immer deutlicherer Defizite des derzeitigen Gesundheitssystems: „Der Grundtenor meines Buches ist deshalb, dass wir von der Homöopathie auch ein wenig lernen können – und zwar was den Umgang mit den Patienten angeht. Beim Zuhören können wir uns eine Scheibe abschneiden.“

Solange die sprechende Medizin im Gesundheitssystem so wenig berücksichtigt werde, dazu gehört auch eine angemessene Bezahlung, „solange kann ich verstehen, dass es Patienten gibt, die zu Homöopathen abwandern. Dies macht die Homöopathie jedoch nicht zu einem wirksamen Verfahren.“

 

Kommentar

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