Berlin – Es beginnt harmlos, mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen, aber am Ende steht oft die Amputation: Das diabetologische Fußsyndrom betrifft jährlich 250.000 Menschen in Deutschland. Jeder fünfte von ihnen verliert in der Folge seinen Fuß – eine viel zu hohe Quote, betonte Prof. Dr. Ralf Lobmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Klinikum Stuttgart: „Wir könnten wesentlich besser sein.“

Prof. Dr. Ralf Lobmann
Eine Fußamputation ist nicht nur sehr belastend für den Patienten, sie erhöht auch sein Sterberisiko. Bei einer optimalen Behandlung dagegen könne die Operation oft vermieden werden: „Dafür müssen die Patienten aber deutlich schneller überwiesen werden“, sprach Lobmann bei einer Pressekonferenz der DDG in Berlin einen in seinen Augen entscheidenden Punkt an [1].
In den Niederlanden ist die Weiterleitung zum Spezialisten Pflicht
Bei Patienten mit Diabetes ist oft die Wundheilung infolge der erhöhten Blutzuckerwerte verschlechtert. Häufig kommen noch Durchblutungsprobleme und neuronale Schädigungen hinzu. So werden neu auftretende Wunden am Fuß von den Patienten oft erst verzögert bemerkt. Und wenn sie dann damit zu ihrem Hausarzt gehen, vergehen im Schnitt nochmals 12 Wochen, bis sie – etwa wegen Komplikationen – an ein Spezialzentrum weiter verwiesen werden. „Das ist deutlich zu lange“, sagte Lobmann, „denn dann ist das Syndrom meist schon weit fortgeschritten.“
In anderen Ländern habe man die Dringlichkeit erkannt und dagegen Maßnahmen ergriffen: In den Niederlanden etwa sei es gesetzlich vorgeschrieben, den Patienten nach 5 Wochen zu überweisen, wenn die Wunde nicht heilt.
In Deutschland sind bundesweit 201 ambulante und 78 stationäre Einrichtungen als „Fußbehandlungseinrichtungen DDG“ zertifiziert. Dort arbeiten Ärzte, Fußpfleger und orthopädische Schuhmacher eng zusammen, um den Fuß zu entlasten und das Auftreten neuer Wunden zu verhindern: „Das Motto ist Kommunikation statt Amputation“, sagte Lobmann.

Dr. Baptist Gallwitz
Nach einer Analyse, die er 2014 mit Kollegen erstellt hat, haben die Patienten in solchen Zentren ein deutlich geringeres Risiko, ihren Fuß zu verlieren: Nur bei 3,1% kam es zu einer Majoramputation (oberhalb der Sprunggelenks). „In der Allgemeinversorgung beträgt diese Quote 10 bis 20 Prozent“, berichtete Lobmann. Doch nicht jeder Patient finde wohnortnah ein zertifiziertes Zentrum: „Vor allem in Flächenländern wie Sachsen-Anhalt, aber auch in Baden-Württemberg gibt es große Lücken.“
Obligatorische Zweitmeinung vor Amputation gefordert
Dass offenbar zu schnell operiert wird, hängt nach Ansicht der DGG auch mit der Vergütung zusammen: Eine Amputation wird im Verhältnis besser bezahlt als der Erhalt des Fußes, der oft lange Liegezeiten im Krankenhaus erfordere. „Sinnvoll wäre daher ein Bonus, der bei Rettung des Fußes gezahlt wird“, schlug DGG-Präsident Dr. Baptist Gallwitz vor.
Lobmann forderte zusätzlich das obligatorische Einholen einer Zweitmeinung vor jeder Amputation: „Bereits diese beiden Maßnahmen könnten die Rate in Deutschland deutlich senken.“ Zumindest das Einholen der Zweitmeinung ist durch das neue Versorgungsstärkungsgesetz einfacher geworden.
Für die Patienten geht es dabei nicht nur um den Verlust ihres Fußes: Nach einer Majoramputation sterben 75% innerhalb der nächsten 5 Jahre. Zum Vergleich: Bei Brustkrebs beträgt die Sterberate „nur“ 20%. „Dennoch wird der diabetische Fuß in Deutschland so stiefmütterlich behandelt“, kritisierte Lobmann.

Prof. Dr. Annette Schürmann
Zwei Fastentage pro Woche als Schutz vor Diabetes?
Folgeerkrankungen wie der diabetische Fuß lassen sich aber am besten verhindern, wenn bereits der Entstehung des Typ-2-Diabetes vorgebeugt wird – und dafür hat die Vermeidung einer Adipositas zentrale Bedeutung, ist aber in der Praxis oft schwer zu vermitteln. Für eine erfolgreiche Ernährungsumstellung könnte das sogenannte Intervallfasten eine neue Option sein, hieß es bei der Pressekonferenz. Dabei isst der Patient an den meisten Tagen wie gewohnt. An 2 Tagen pro Woche nimmt er aber nur 500 bis 600 Kilokalorien zu sich. Zumindest bei Mäusen lässt sich so die Entstehung von Diabetes verhindern, berichtete Prof. Dr. Annette Schürmann, Vorstandsmitglied der DGG und Sprecherin des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung.
In der entsprechenden kürzlich in Biochimica et Biophysica Acta erschienenen Studie bekamen Mäuse jeden 2. Tag eine hoch kalorische Diät zu fressen, dazwischen gar nichts. Ergebnis: Fett und Fettsäurezwischenprodukte in Leber und Muskel nahmen ab. Die Fähigkeit des Körpers, auf Insulin zu reagieren, blieb erhalten – es entstand kein Diabetes. Von den Mäusen dagegen, die jeden Tag fressen konnten, erkrankten 60 bis 70%.
„Durch das Intervallfasten baut der Körper gezielt Fettreserven ab“, sagte Schürmann, die auch an der Studie beteiligt war, „und vermutlich spielen auch die verminderten Fettsäure-Zwischenprodukte eine große Rolle.“ Denn diese deaktivierten den Insulinrezeptor in der Zelle.
Studien zum Intervallfasten und dessen Auswirkungen auf Diabetes beim Menschen gibt es bislang nur wenige. Ein Review aus dem Jahr 2015 fand nur 2 klinische Beobachtungsstudien. Beide stellten eine geringere Rate von Diabetes fest. Die Autoren des Reviews empfehlen das Intervallfasten aber wegen der bislang geringen Evidenz noch nicht.
Schürmann dagegen hält einen Versuch für lohnend, immer in Absprache mit dem behandelnden Arzt: „Für viele Patienten ist das Intervallfasten erstmal leichter umzusetzen.“ Und nicht wenige berichteten ihr, dass sie mit der Zeit auch an den Nicht-Fasten-Tagen gesünder essen: „Sie merken einfach, dass es ihnen damit besser geht.“
REFERENZEN:
1. Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), 17. Februar 2016, Berlin
Diesen Artikel so zitieren: Diabetisches Fußsyndrom: Nach spätestens fünf Wochen zum Spezialisten schicken! - Medscape - 18. Feb 2016.
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