
Dr. Shari Langemak
Hermann Gröhe hat Verständnis für Ungeduld. „Deshalb haben wir beim eHealth-Gesetz Tempo gemacht“, sagte der Bundesgesundheitsminister beim Bitkom-Gründerfrühstück im Januar in Berlin. In diesem Sinne tritt nun auch ein Jahr nach Bekanntwerden des ersten Referentenentwurfs das neue Gesetz in Kraft. Was nun aber mit dem 1. Januar 2016 genau gilt, mag manch einen deutschen Digital-Health-Unternehmer immer noch nicht schnell genug gehen – denn viele Details und Entscheidungen stehen noch aus. Das eHealth-Gesetz regelt vor allem die Deadlines für diese Entscheidungen.
Heiß erwartet dürften vor allem die Entscheidungen des 30. Juni und des 30. September werden. Bis dahin muss der Bewertungsausschuss ein Verbot prüfen, dass schon lange für Unmut in der deutschen Gesundheitsbranche sorgt. Das Fernbehandlungsverbot, das im Jahr 2011 in die (Muster)Berufsordnung der Ärztinnen und Ärzte aufgenommen worden ist, soll nun endlich diskutiert werden – genauer, die telemedizinische Beurteilung von Röngtenbildern (bis Juli) und der Einsatz von Videosprechstunden (bis Oktober).
Es ist erstaunlich, dass man überhaupt so lange mit einer derartigen Initiative gewartet hat. Telemedizinische Dienste sind in vielen Ländern schon längst wichtiger Bestandteil der gesundheitlichen Versorgung – man denke zum Beispiel an MedGate in der Schweiz, DrEd in Großbritannien oder Doctor on Demand in den USA. Und selbst in Deutschland gibt es trotz rechtlicher Barrieren bereits zahlreiche Initiativen, die sogar von der Regierung gefördert werden. So unterstützt das Bundesgesundheitsministerium bereits seit 2012 das Deutsche Telemedizinportal mit insgesamt 200 Projekten.
Bleibt zu hoffen, dass Pilotprojekte wie die gemeinsame Tele-Sprechstunde vom Lübecker Startup Patientus, dem Berufsverband Deutscher Dermatologen und der Techniker Krankenkasse einen positiven Einfluss auf eine schnelle Entscheidung haben werden, und dass der sogenannte „Innovationsstandort Deutschland“ in Sachen Telemedizin bald nicht länger so weit hinterherhinkt. Wer nicht so lange warten will, kann sich mit Hilfe eines aktuellen Berichts der Bundesärztekammer darüber informieren, welche telemedizinischen Leistungen Ärzte bereits jetzt problemlos durchführen dürfen.
Telematik-Infrastruktur mit Zwang
Der wohl wichtigste – und zugleich schwierigste – Bestandteil des eHealth-Gesetzes dürfte allerdings die Installation einer bundesweiten Telematik-Infrastruktur durch die Gesellschaft für Telematik (gematik) werden. Diese hat sich in den vergangenenen Jahren vor allem einen Ruf für ihre Beschlussunfähigkeit gemacht. Kein Wunder also, dass im eHealth-Gesetz bereits zahlreiche Zweit-Fristen bei Nicht-Einhalten der eigentlichen Fristen sowie vielerlei Details zur Schlichtungsstelle festgelegt sind.
Trotzdem soll diesmal alles anders werden – denn diesmal beschränkt man sich glücklicherweise nicht allein auf das Festlegen von Deadlines, sondern knüpft diese sogleich an saftige Strafzahlungen. Erfüllt die gematik nicht bis spätestens zum 30. Juni 2016 die Voraussetzungen für das digitale Versicherten-Stammdaten-Management (VSDM), drohen den Gesellschaftern der gematik inklusive GKV-Spitzenverband und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) Haushaltskürzungen.
Allerdings sind die Funktionen dieser Telematik-Infrastruktur 1.0 noch deutlich beschränkt. Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) wird erst einmal nicht viel mehr als ein paar persönliche Angaben (Name, Geburtsdatum, Geschlecht etc.) und Informationen zum Versichertenstatus enthalten. Diese sollen aber gleich ab 1. Juli durch Vertragsärzte eingelesen und aktualisiert werden können.
Oder vielmehr: Sie müssen! Ärzte, die die Überprüfung der Versichertendaten unterlassen, bekommen ab 1. Juli 2018 eine pauschale Kürzung ihrer Vergütung um 1 Prozent. Zusätzliche Honorare statt Strafzahlungen winken dafür an anderer Stelle. Für die elektronische Versendung von Arztbriefen sollen Ärzte ab 2017 jeweils 55 Cent mehr pro versendeten Brief bekommen, und für das Einlesen nochmals 50 Cent. Krankenhäuser erhalten einen Euro mehr pro elektronischen Entlassungs-Brief.
Von Medikationsplänen über Notfalldaten bis hin zur Patientenakte
Die eGK soll aber nach Möglichkeit nicht auf Versichertenstammdaten beschränkt bleiben. Geplant ist es, die eGK ab 1. Januar 2018 zusätzlich mit Daten zur Notfallversorgung auzustatten. Somit könnten Ärzte bald jederzeit auf Informationen zu Vorerkrankungen, Allergien oder Implantaten zugreifen – allerdings nur mit Zustimmung des Versicherten (Ausnahmen sind wahrscheinlich möglich). Für das Notfalldaten-Update ihrer Patienten sollen Ärzte ab 2018 ebenso eine zusätzliche Vergütung erhalten.
Kein zusätzliches Geld gibt es dagegen für den wohl unspektakulärsten Inhalt des eHealth-Gesetzes: Papiergebundene Medikationspläne ab 1. Oktober 2016. Diese enthalten alle verschreibungspflichtigen und nicht-verschreibungspflichtigen Medikamente, sowie eventuell Hinweise auf relevante Medizinprodukte. Dokumentation und Aktualisierung dieser Pläne werden künftig Pflicht des Hausarztes. Ab Mai 2017 soll dies dann auch elektronisch möglich sein.
Der letzte und wohl wichtigste Meilenstein des eHealth-Gesetzes ist die Bereitstellung der elektronischen Patientenakte. Läuft diesmal alles nach Plan, dann gibt es dafür ab 2019 zumindest die technischen Voraussetzungen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die eGK ab Januar 2019 regelrecht Befunddaten und Behandlungsberichte enthalten wird.
Vor dem Hintergrund vergangener Bemühungen wäre dies tatsächlich einigermaßen flott. Ob Bundesgesundheitsminister Gröhe mit dem angekündigten Tempo allerdings wirklich Schritt halten kann – oder ob er allen Sanktionen zum Trotz doch über die Streitigkeiten der gematik stolpert – werden wir in den nächsten Monaten und Jahren sehen. Denn die Scheu vor schweren Entscheidungen und die Beschlussunfähigkeit – und nicht etwa Innovationsträgheit und Ideenmangel – sind die Komponenten, die den Innovationsstandort Deutschland schon viel zu lange bremsen.
Diesen Artikel so zitieren: eHealth-Gesetz: Eine Timeline zu den wichtigsten Plänen und Beschlüssen - Medscape - 9. Feb 2016.
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