Wie hängt die koronare Herzkrankheit bei einem Mittvierziger mit einem überstandenen Hodgkin-Lymphom in der Kindheit zusammen, wie Schwerhörigkeit mit einem überlebten Osteosarkom? Beides hat mit einem der größten Erfolge in der jüngeren Medizingeschichte zu tun: 4 von 5 Krebserkrankungen bei Kindern können heute geheilt werden. „Geheilt“ heißt jedoch nicht „gesund“. Die Bestrahlung des Mediastinums in der Kindheit in Kombination mit einer Chemotherapie kann die Herzkranzgefäße nachhaltig schädigen, ebenso eine platinhaltige Chemotherapie das Innenohr. Manche Folgen der Krankheit und deren Behandlung treten früh, andere erst nach Jahrzehnten auf.

Dr. Gregory Armstrong
Die Zahl der langzeitüberlebenden, ehemals krebskranken Kinder und Jugendlichen wird in Deutschland derzeit auf etwa 30.000 geschätzt. Jedes Jahr wächst diese Gruppe um etwa 1.500 junge Menschen. Sie haben mit Hilfe der modernen Medizin eine lebensgefährliche Erkrankung länger als 5, 20 oder sogar 30 Jahre überlebt und tauchen jetzt mit Beschwerden beim Hausarzt oder mit akuten Gesundheitsproblemen im Krankenhaus auf – oder auch mit einem Sekundärkarzinom. Die Verbindung zur früheren Krebserkrankung ist nicht immer gleich sichtbar. Einige Patienten haben eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, manche Beschwerden werden als „psychosomatischer Natur“ abgetan. Andere kommen mit Fragen zum Arzt wie: „Kann ich Kinder zeugen?“
Bei all den Problemen, die viele Langzeitüberlebende heute haben, gibt es auch eine positive Botschaft. Aus aktuell publizierten Daten der nordamerikanischen Childhood Cancer Survivor Study geht hervor, dass über die Jahrzehnte die Langzeitfolgen der Therapie eher abgenommen haben. Die 15-Jahres-Sterblichkeit der Überlebenden nach einer Krebsbehandlung habe sich von 12,4% (bei Behandlung in den 1970er-Jahren) auf 6,0% halbiert (bei Behandlung in den 1990er-Jahren), berichten Dr. Gregory Armstrong aus Memphis, Tennessee, und seine Kollegen im New England Journal of Medicine [1]. Der Rückgang steht vor allem im Zusammenhang mit weniger Bestrahlungen und verringerten kumulativen Chemotherapie-Dosen, zum Beispiel von Anthrazyklinen. Auch in Deutschland wird es demnächst Informationen zur Situation von Langzeitüberlebenden nach Krebs geben – erste Ergebnisse der VIVE-Studie werden im Herbst 2016 erwartet.
Aktuelle Analyse der Childhood Cancer Survivor Study Die Childhood Cancer Survivor Study hat die Daten von mehr als 34.000 Patienten erfasst, die zwischen 1970 und 1999 wegen einer Krebserkrankung im Kindesalter in den USA und Kanada behandelt wurden und mindestens 5 Jahre überlebten. In der aktuellen Auswertung wurde die Langzeitmortalität analysiert [1]. Die mittlere Follow-up-Zeit betrug 21 Jahre (5 bis 38 Jahre). Die 15-Jahres-Sterblichkeit aufgrund der Spätfolgen der Krebstherapie hat von 3,1% (bei Behandlung in den 1970er-Jahren) auf 1,9% abgenommen (bei Behandlung in den 1990er-Jahren). Besonders profitierten Patienten, die eine akute Lymphatische Leukämie (ALL) überlebten (Rückgang der Sterblichkeit von 3,2% auf 2,1%), ein Hodgkin-Lymphom (5,3% auf 2,6%) oder einen Wilms-Tumor (2,6% auf 0,4%). Dieser Rückgang geht einher mit einer weniger aggressiven Therapie: So wurden weniger Schädelbestrahlungen bei ALL durchgeführt (85% in den 1970er-Jahren, 19% in den 1990er-Jahren), seltener Bestrahlung des Brustkorbs beim Hodgkin-Lymphom (86% vs. 61%) und seltener abdominale Bestrahlungen beim Wilms-Tumor (78% vs. 43%). |
Nachsorgestrukturen befinden sich noch im Aufbau
Es ist aber noch gar nicht so lange her, da war die Nachsorge krebskranker Kinder spätestens nach 10 Jahren abgehakt. Heute kümmern sich Kinderonkologen verstärkt auch um die Langzeitfolgen onkologischer Erkrankungen bei Kindern sowie um die späten Konsequenzen therapeutischer Verfahren aus den 1970er-, 80er- oder 90er-Jahren. In der Erwachsenenmedizin werden diese Spätfolgen noch nicht ausreichend wahrgenommen. Die Nachsorgestrukturen befinden sich erst im Aufbau.
Diesen Artikel so zitieren: Langzeitfolgen von Krebs im Kindesalter: Geheilt heißt nicht gesund - Medscape - 5. Feb 2016.
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