Heidelberg – Erst kürzlich verdeutlichte eine WHO-Studie erneut, wie teuer Krebsmedikamente in Deutschland sind. Warum kosten Krebstherapeutika so viel? Ist die Krebsforschung tatsächlich so teuer? Darüber informierten Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg auf einer Veranstaltung anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar [1].

Prof. Dr. Josef Puchta
„Über viele Jahre wurde geklagt, wie wenige Innovationen es in der Krebsmedizin gibt. Jetzt erleben wir seit einigen Jahren eine neue Dimension in der Krebstherapie – und nun heißt es: Können wir uns das leisten?“, stellte Prof. Dr. Josef Puchta, Kaufmännischer Vorstand des DKFZ, die derzeitige Situation dar. Er informierte darüber, woher das Geld in der Krebsforschung in Deutschland kommt – und wofür es benötigt wird.
So betrage die öffentliche Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Deutsche Krebshilfe jährlich rund 300 Mio. Euro, mit weiteren 300 Mio. fördern die Universitäten die Krebsforschung und mit rund 750 Mio. Euro die forschenden Arzneimittelhersteller in Deutschland. Im Vergleich zu den USA sei dies sehr wenig, sagte Puchta und nannte einige Beispiele: So erhalte das National Cancer Institute (NCI) rund 5 Milliarden US-Dollar jährliche Förderung, das MD Anderson Cancer Center rund 3,7 Milliarden.
Betrachtet man nur das DKFZ, so hatte das Zentrum im Jahr 2015 Gesamteinnahmen von ca. 250 Mio. Euro: zum Großteil institutionelle Förderung, ca. 60 Mio. Drittmittel und ein vergleichsweise kleiner Teil Spenden und Erbschaften. Um Spenden kümmere sich das DKFZ zwar systematisch und intensiv: „Im nationalen Vergleich sind wir gut – unseren israelischen oder amerikanischen Kollegen haben für diese Dimension allerdings nur ein müdes Lächeln“, bemerkte Puchta. „Das Mäzenatentum gibt es hierzulande in Sport und Kunst, leider zu wenig im Bereich Wissenschaft und Forschung.“
DKFZ: „Technologietransfer ist ein mühevolles Geschäft“
Die Ausgaben des DKFZ teilen sich auf in ca. 55% Personalausgaben und ca. 45% Sachausgaben und Investitionen. Neben der permanenten Investition in Gebäudeerhaltung und Laborausstattung gehen zum Beispiel jährlich 3 Mio. Euro in die weltweit zweitgrößte Genomsequenzierungsanlage. „Mit an der Spitze marschieren heißt auch mit investieren“, so Puchta. Eine Ganzgenomsequenzierung (eines Menschen) koste insgesamt 6.000 Euro.
Bekanntlich treibt das DKFZ Grundlagenforschung – eine Substanz zu einem Medikament weiter zu entwickeln, dazu habe das Zentrum „kein Geld, keine Ressourcen und nicht das Know-how“, erklärte Puchta. Für die Weiterentwicklung gebe es im Prinzip 2 Möglichkeiten: Kooperationspartner aus der Industrie und Ausgründungen.
„Aber Technologietransfer ist ein mühevolles Geschäft“, berichtete Puchta. In den letzten Jahren müsse man Pharmafirmen in der Forschung immer mehr entgegenkommen – diese „sparen sich dadurch die frühe risikoreiche Forschung“. Das DKFZ schließe pro Jahr 3 bis 6 Lizenzverträge ab – dadurch komme irgendwann nach Jahren Geld zurück.
Ein positives Beispiel ist die HPV-Vakzine, für die Lizenzverträge mit MSD und Glaxo abgeschlossen wurden – allerdings ist das Patent schon abgelaufen. In solchen Lizenzverträgen werden Umsatzbeteiligungen vereinbart (max. 3% bei Diagnostika, max. 5% bei Therapeutika), meist aber sogenannte Milestone-Zahlungen, z.B. bei Abschluss der Phase 2.
Medikamentenentwicklung dauert lange und ist mit vielen Fehlschlägen verbunden

Dr. Thomas Höger
Ein Beispiel für eine Ausgründung aus dem DKFZ ist das Biotechnologie-Unternehmen Apogenix, die eine im DKFZ entdeckte Molekülgruppe weiterentwickelt. Derzeit wird die Wirksamkeit einer dieser Substanzen, APG101, beim Glioblastom und beim myelodysplastischen Syndrom klinisch geprüft.
Apogenix-Geschäftsführer Dr. Thomas Höger berichtete in Heidelberg, warum Medikamenten-Entwicklung und klinische Studien so teuer sind. „Auf dem langen Weg von der Entdeckung bis zum marktreifen Medikament bleiben viele Substanzentwicklungen auf der Strecke – das treibt die Kosten in die Höhe.“ Die Wahrscheinlichkeit für eine Substanz, vom Beginn der Phase 1 bis zum Markteintritt zu gelangen, betrage weniger als 12%, d.h. nur ca. 1/8 der Substanzen kommen auf den Markt. „Derzeit rechnet man mit rund 2,5 Mrd. US-Dollar für die Entwicklung eines Medikaments, wobei rund 1 Mrd. auf die präklinische und rund 1,5 Mrd. auf die klinische Phase entfallen“, sagte Höger.
Zudem nehmen die Regulationsdichte und die gesetzlichen Anforderungen ständig zu. „Eine Herausforderung ist zum Beispiel, dass sich die Anforderungen verändern, während klinische Studien laufen“, sagte Höger.
„Zwischen der Entdeckung einer Substanz und der Marktzulassung eines Medikaments vergehen nicht selten 12 bis 15 Jahre“, so der ehemalige DKFZ-Wissenschaftler. Und da Patente in der Regel 20 Jahre gelten, bleiben dann nicht mehr viele Jahre, mit dem Medikament Gewinne zu erwirtschaften. Dieses Dilemma führe zu hohen Preisen in Rest-Patentlaufzeit, denn ein Jahr nach Patentende komme es bei vielen Medikamenten zu einem Umsatzeinbruch von bis zu 80%.
Zwei Familien finanzieren Biotech in Deutschland
Konkret für sein Unternehmen Apogenix nannte Höger die größten Kostenblöcke: die Herstellung der Substanzen (Antikörper-ähnlicher Proteinwirkstoff) sowie klinische Studien. Man rechnet mit Kosten von rund 70.000 Euro pro Patient in einer Studie. „Wir beauftragen Subunternehmer für die Studiendurchführung.“ Bezahlt werden die klinischen Studien von den Medikamenten-entwickelnden Firmen.
Und woher kommt das Geld für klinische Studien bei Biotechnologie-Unternehmen? Höger erklärte zuerst, woher es nicht kommt. So gibt es kaum Wagniskapital in Deutschland: 150 Mio. Euro für rund 700 Life-Science-Unternehmen – das ergebe eine unterkritische Finanzierung für solche Unternehmen.
Kapital kommt auch nicht aus Börsengängen – seit 2006 sei kein Biotechnologieunternehmen in Deutschland mehr an die Börse gegangen. Zudem sei die Steuergesetzgebung hierzulande innovationsfeindlich. „Biotech-Unternehmen müssen daher ihre Medikamenten-Kandidaten früh lizensieren“, so Höger. Denn die Entwicklung bis zur Marktreife sei in der Regel nicht finanzierbar.
„In Deutschland finanzieren de facto nur zwei Familien Biotech-Firmen“, erklärte Höger: die Familie des SAP-Gründers Dietmar Hopp und die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann, die das Generika-Unternehmen Hexal aufgebaut und 2005 an Novartis verkauft haben. So ist die Familie Hopp auch bei Apogenix der Hauptinvestor des 2005 gegründeten Unternehmens.
Weitere Beträge kommen aus Lizenzvereinbarungen und Drittmittelförderung. „Bisher wurden ca. 100 Mio. Euro Finanzmittel eingeworben, bis zur Zulassung würden wir weitere 100 Mio. benötigen – dann könnte die Substanz APG101 etwa 2020 auf dem Markt sein“, so Höger.
APG101: Entdeckt im DKFZ, entwickelt von Apogenix Die Substanz APG101 wird zur Behandlung von soliden Tumoren und malignen hämatologischen Erkrankungen entwickelt. APG101 ist ein humanes Fusionsprotein, das aus der extrazellulären Domäne des CD95-Rezeptors und dem Fc-Teil eines IgG-Antikörpers besteht. APG101 verhindert die Bindung des CD95-Liganden (CD95L) an den CD95-Rezeptor (Fas, APO-1). CD95 und CD95L spielen eine wichtige Rolle bei der Apoptose-Induktion von Immunzellen und bei Immunreaktionen gegen Tumorzellen. Entdeckt wurde die Substanz im DKFZ, das 1995 das erste Patent für APG101 anmeldete. 2005 wurde Apogenix gegründet. Die Substanz APG101 hat Orphan-Drug-Status zur Behandlung von Gliomen in der EU und zur Behandlung von Glioblastomen und myelodysplastischen Syndromen (MDS) in den USA. Beim Glioblastom vor allem wirksam bei bestimmter epigenetischer Veränderung 2008 begannen klinische Prüfungen der Phase 1 mit APG101. 2010 bis 2014 fand eine klinische Phase-2-Studie zur Zweitlinienbehandlung von Glioblastompatienten statt. In Glioblastomzellen stimuliert die Bindung des CD95-Liganden an den CD95-Rezeptor das invasive Wachstum der Tumorzellen. Eine Blockade dieser Bindung durch APG101 soll dies verhindern. „Die Behandlung mit APG101 war in Kombination mit Radiotherapie in der Phase-2-Studie einer alleinigen Radiotherapie klinisch überlegen. APG101 war hervorragend verträglich und verdoppelte die mittlere Überlebenszeit in einer definierten Patientenpopulation“, berichtete Höger. Besonders von APG101 profitierten diejenigen Patienten, in deren Tumoren eine neu identifizierte epigenetische Veränderung in dem Gen für den CD95-Liganden – dem Target-Molekül von APG101 – nachweisbar war. Der Biomarker soll in weiteren klinischen Studien und in zusätzlichen Indikationen validiert werden, damit APG101 als zielgerichtete Therapie eingesetzt werden kann. Myelodysplastische Syndrome (MDS) 2013 begann eine klinische Phase-1-Studie mit MDS-Patienten, die bis 2016 laufen soll. Bei myelodysplastischen Syndromen ist die Bildung von Blutzellen aus Stammzellen gestört, so dass zu wenige reife Blutzellen gebildet werden – wie Erythrozyten, Thrombozyten und Leukozyten. Dies führt u.a. zu schwerer Anämie und macht häufige Bluttransfusionen nötig. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass APG101 die Häufigkeit von Bluttransfusionen bei MDS-Patienten reduziert. |
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Weltkrebstag: Was ist so teuer in der Krebsforschung und Krebstherapie? - Medscape - 4. Feb 2016.
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