Heidelberg – Rund 2.000 Kinder erkranken pro Jahr in Deutschland an Krebs. Die Heilungsraten liegen inzwischen bei 80%. Problematisch sind die Rückfälle, die bei rund 20% der Kinder auftreten – „hier liegen die Überlebensraten bei 0 bis 20 Prozent – trotz Operation, Chemotherapie und Bestrahlung. Daher sind grundsätzlich neue Therapien nötig“, stellte Prof. Dr. Olaf Witt auf einer Veranstaltung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar die derzeitige Situation dar [1].

Prof. Dr. Olaf Witt
Der Leiter der Abteilung Pädiatrische Onkologie am DKFZ und Arzt in der Kinderklinik des Universitätsklinikums Heidelberg ergänzt: „In den letzten 20 Jahren wurden hier keine wesentlichen Fortschritte gemacht.“
INFORM: Schnellere Analyse des Krebserbguts
Um diese Situation zu ändern, wurde 2013 das Projekt INFORM gestartet. INFORM steht für „INdividualized therapy For Relapsed Malignancies in childhood“. Mit einer Untersuchung des Tumorerbguts zum Zeitpunkt des Rückfalls (Sequenzierung des kompletten Erbguts und bestimmter epigenetischer Modifikationen) wollen Wissenschaftler herausfinden, welche Faktoren den individuellen Tumor zum Wachsen anregen.
Das Projekt teilt sich in 3 Phasen auf: Die Pilotphase ist beendet, die Machbarkeitsstudie „INFORM-Register“ läuft seit einem Jahr, und die klinische Studie Phase 1/2 soll im 1. Quartal 2017 starten. In der Machbarkeitsstudie sollen 260 Kinder innerhalb von 2 Jahren daraufhin untersucht werden, inwieweit die Erbgut-Informationen dazu beitragen können, ihnen eine bessere Therapie anzubieten.
Witt erklärte den Ablauf der INFORM-Studie: „Hat ein Kind einen Rückfall seiner Krebserkrankung, wird es operiert und danach das Tumormaterial analysiert. Ziel ist es, ein mögliches Target zu identifizieren und zu schauen, ob es ein passendes Medikament dafür gibt.“ Dieser Prozess konnte bereits beschleunigt werden: „Dauerte die Analyse bisher zwei Monate, konnten wir sie jetzt auf 21 Tage reduzieren“, berichtete Witt – und damit einen möglichen Heilversuch mit einer zielgerichteten Therapie schneller starten, falls der behandelnde Arzt sich dafür entscheidet.
„Ein Zwischenziel unserer Machbarkeitsstudie wurde erreicht: Wir haben ca.130 Fälle im ersten Jahr analysiert“, so Witt. Darunter waren rund 1/3 Hirntumoren, 1/3 Weichteiltumoren und 1/3 andere Tumoren. Bei etwa 2/3 der Proben wurden genetische Veränderungen festgestellt.
Insgesamt fanden die Forscher rund 50 verschiedene Genveränderungen, pro Krebs allerdings „nur“ 1 bis 5 Veränderungen. „Zum Vergleich: Beim Erwachsenen findet man 100 bis 1.000 Genveränderungen im Tumor“, erklärte Witt. „Bemerkenswert war auch, dass wir gleiche Mutationen in verschiedenen Krebsarten gefunden haben. Und: Im Rückfall finden wir auch neue Veränderungen im Vergleich zur Erstdiagnose.“ In 50% der untersuchten Fälle fanden sich Veränderungen, die mit zielgerichteten Medikamenten angegangen werden können.
Zielgerichtete Krebstherapie für Kinder: Teuer und nicht zugelassen
Witt stellte einige Fallbeispiele vor. So wuchs bei einem 3 Monate alten Jungen ein Gliom trotz mehrerer Operationen und Chemotherapie weiter. Die molekulare Untersuchung ergab eine BRAFV600E-Mutation. Der Junge wurde mit Vemurafenib behandelt, das bei Erwachsenen mit malignem Melanom zugelassen ist. Der Tumor wurde kleiner. Kosten des Medikaments: ca. 5.000 Euro/Monat.
„Ein Problem hierbei: Die zielgerichteten Medikamente sind noch nicht zugelassen für die Behandlung von Krebs bei Kindern. Wir wenden sie also off-label an“, berichtete Witt. Erst werde geprüft, ob es Dosisfindungsstudien bei Kindern gibt. Wenn nicht, werden die Erfahrungen aus Studien mit Erwachsenen genutzt und die Dosis entsprechend der Größe und des Alters des Kindes angepasst.
„Die Behandlung sollte nur in hochspezialisierten Zentren durchgeführt werden, da es sich um experimentelle Therapien handelt. Möglichst sollten die Kinder auch in klinische Studien aufgenommen werden und Heilversuche eher die Ausnahme sein, damit eine systematische wissenschaftliche Auswertung der Behandlungsverläufe erfolgen kann“, so Witt.
Der Kinderonkologe stellte einen weiteren Fall vor: ein 5-jähriger Junge mit Medullablastom. Nach Operation, Chemotherapie und Bestrahlung wurde er als geheilt entlassen. Ein neuer Tumor trat auf: ein Glioblastom im Bestrahlungsgebiet. Die molekulare Untersuchung zeigte eine unter der ersten Therapie neu aufgetretene MET-Fusion. Eine Behandlung mit Crizotinib (zugelassen bei bestimmtem Bronchialkarzinom bei Erwachsenen) schloss sich an. Die Kosten für das Medikament lagen bei ca. 7.400 Euro/Monat.
Der Tumor wurde zwar kleiner, aber es entwickelten sich resistente Metastasen. „Ein Problem bei diesen zielgerichteten Therapien ist, dass sich manchmal rasch Resistenzen ausbilden können. Auf diesem Gebiet ist noch viel Forschungsarbeit erforderlich“, sagte Witt.
Wer zahlt die Medikamente bei INFORM?
Wenn sich Ärzte dafür entscheiden, ihren Patienten nach dem INFORM-Ergebnis zu behandeln, stellt sich die Frage der Übernahme für die hohen Medikamentenkosten. Die Auswertung der ersten 16 Fälle ergab, dass in 12 Fällen die Kosten von der Krankenkasse übernommen wurden – nach Antrag und Einzelfallentscheidung. Wenn die Krankenkasse nicht zahlt (3 von 16 Fällen), zahlt „Ein Herz für Kinder“.
„Nur in einem Fall konnten wir den kleinen Patienten in eine klinische Studie der Pharmaindustrie aufnehmen“, beklagte Witt. Das sei im Gegensatz zu Neuerkrankungen bei Kindern – 95% sind in Therapieoptimierungsstudien – sehr wenig. „Unser Ziel ist es daher, in Zukunft möglichst alle Kinder mit einem Rückfall ihrer Tumorerkrankung in einer klinischen Studie zu behandeln.“
Zielgerichtete Therapien sind teuer: 5.000 bis 20.000 Euro pro Monat und Medikament. „Der Einsatz von zielgerichteten Medikamenten muss daher rational sein“, betonte Witt, „man sollte sie nur nach entsprechender molekularer Diagnostik des Tumors einsetzen. Die Substanzen sind nicht wirksam, wenn das Therapieziel (die Mutation) nicht vorhanden ist, oder wenn der Tumor das Therapieziel nicht für sein Überleben braucht. Dieser letzte Punkt lässt sich allerdings nur schwer feststellen – daher wirken zielgerichtete Medikamente nicht bei allen Patienten.“
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Wenn bei Kindern der Krebs zurückkommt – Analyse des Tumorerbguts und gezielte Therapie als (oft letzte) Chance - Medscape - 4. Feb 2016.
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